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Full text of "Die Länder an der unteren Donau und Konstantinopel"

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; O 



Die 



Länder an der unteren Donau 



und 



Konstantinopel. 



-•o«- 



Reise -Erinnerungen aus dem Herbst 1868 



von 



Dr. WV^Brennecke, 

Direktor der Realschule zu Posen. 



-oooO<fi><>4 ^^g> 4<><^>00<K»- 



HAMOVER. 

Hahn*sche Hofbuchhandlung. 

1870. 



SUt-siJife' 



OCT 18 1901 



Druck von August Grimpc in Hannover. 



St. Excellenz 



dem Minister des Inneren von Rumänien 



Herrn Michael Cogalniceano, 

Ritter dea Königlichen Preassischen Rothen Adlerordens I. Classe u. s. w. 



widmet diese Sohrift • 

in ehrerbietiger Erkenntlichkeit für die ihm nach einem Zeitraum von einem Drittel Jahrhindert 

bewahrte Anhänglichkeit und Zuneigung 



sein früherer Erzieher 



Wilhelin Brenneoke. 



Ew. Excellenz 



bitte ich gehorsamst, die Widmung des vorliegenden 
Werkchens huldvoll anzunehmen, dessen Grundge- 
danke ist nachzuweisen, wie die wohlthätige Kraft 
deutschen Geistes und deutscher Gesittung in den 
Ländern an der unteren Donau, wesentlich unter 
Ihrer Aegide, schon jetzt so herrliche Früchte ge- 
zeitigt hat. Ew. Excellenz bitte ich, nachsichtig über 
manche Flüchtigkeiten und mögliche irrthümliche Auf- 
fassungen hinwegzusehen. 

Ihr Enthusiasmus für Ihr Vaterland, von dem Sie 
schon als Jüngling bis zur Schwärmerei erfüllt waren, 
ist mir in frischester Erinnerung. Sie haben Ihr 
ganzes Leben und alle Ihre Kräfte dem Dienste 



Ihres Vaterlandes gewidmet und ungeahnte Erfolge 
erzielt. Die Geschicke Ihres Vaterlandes in den 
letzten dreissig Jahren sind innig verwachsen mit 
Ihrer personlichen Thätigkeit, zu deren Anregung in 
Ihrer Jugend mitgewirkt zu haben, ich mir zum be- 
sonderen Verdienste anrechne. 
Neujahr 1870. 

Dr. W« Brennecke. 



.4M 



Vorwort. 



Gregen Ende des Sommers 1868 wurde ich ver- 
anlasst, eine Reise nach der untern Donau und nach 
Konstantinopel zu unternehmen. Meine Reise - Erinne- 
rungen habe ich theilweise als Feuilleton -Artikel in der 
Posener Zeitung veröffentlicht. Mehrfach aufgefordert, 
dieselben einem grösseren Lesepublikum zu unter- 
breiten, habe ich mich entschlossen, meine damaligen 
Beobachtungen und Erlebnisse in Betracht der welt- 
geschichtlichen Bedeutung des Orients, welcher gegen- 
wärtig sich der europäischen Kultur einreiht, indem 
er seine fernerhin unhaltbare Absonderung aufgiebt 
und sich den modernen Ideen erschliesst , in Form 
eines Werkchens zu verfassen, welches bei seinen 
geringen Ansprüchen auf die gütige Nachsicht der 
Leser rechnet. 

Mein Werkchen ist so abgefasst, dass e& zugleich 
den Zwecken der Unterhaltung und Belehrung dient 



VIII 

k 

und als ein Beitrag zur heutigen Länder- und Völker- 
künde gelten kann, auch für Leih- und Schüler- 
Bibliotheken sich eignen möchte. 

Die äussere elegante Ausstattung verdankt dieses 
Werkchen der Liberalität meines Verlegers, des Herrn 
Ober-Commerzraths Heinrich Wilhelm Hahn in 
Hannover. 



Dr. W. Brennecke, 

Realschaldirektor iu Posen. 



T 



Inhalts -Verzeichniss. 



8e(f« 

1. Die Donau 1 

2. Ofen-Pest 3 

3. Von Pest- Ofen bis Neusatz -Peterwardein 12 

4. Neusatz -Peterwardein 17 

5. Syrmien 18 

6. Mündung der Theiss 20 

7. Semlin- Belgrad 21 

8. Die banatisch- serbische Miiitärgrenze 24 

9. Serbien 25 

10. Basias 26 

11. Moldova 27 

12. Reisegesellschaft 28 

13. Die Donaukatarakten und das eiserne Thor 29 

14. Turn-Severin 38 

15. Von Turn-Severin bis Widdin . 40 

16. Widdin 41 

17. Von Widdin bis Rustschuk-Giurgewo 43 

18. Von Rustschuk-Giurgewo nach Braila 49 

19. Braila 52 

20. Braila und Galatz 54 

21. Rumänien und die Rumänen 60 

22. Ein Ausflug in die Dobrudscha 62 

23. Römische Ruinen in der Dobrudscha 70 

24. Abreise von Galatz. Die Messageries Imperiales 74 

25. Der Pruth und der Pariser Frieden (1856) 76 

26. Die europäische Donau -Regulirungs- Kommission 77 

27. Von der Mündung des Pruth bis Tulcia 78 

28. Von Tulcia nach Sulina. Delta der Donaumündung . ... 80 

29. Von Sulina über das Schwarze Meer bis Vama. Reisegesellschaft 83 

30. Die Delphine 87 

31. Die Fahrt durch den Bosporus ' 88 

32. Der erste Eindruck von Konstantinopel 93 

33. Geschichtliches 98 

34. Orientirung 100 

35. Die Moscheen 103 



X 

Heite 

36. Die Agia-Sophia 107 

37. Das Serai 115 

38. Mekteb-i-Soultani, kaiserliches ottomanisches Lyzeum .... 122 

39. Reisekaravane. Die Gasthöfe von Pera 129 

40. Die Achmedi^h .131 

41. Der Atmeidan 132 

42. Die Vernichtung der Janitscharen 133 

43. Das Museum 134 

44. Zisterne der 1001 Säulen 135 

45. Turbe des Sultans Mahmoud (f 1823) 135 

46. Kriegsministerium, Solimanieh 136 

47. Das asiatische Ufer und die himmlischen süssen Wasser von Asien 137 

48. Unvollendeter Palast. Ruinen am Bosporus 140 

49. Vüla Hansom 140 

50. Böylerb^y 141 

51. Kaiks 142 

52. Skutari 143 

53. Der grösste Friedhof auf Erden 144 

54. Ein Kadinnen- Korso 146 

55. Der Berg Bürgerin 146 

56. Nächtliche Ueberfahrt von Asien nach Europa 147 

57. Kiz-Kulessi oder Leander -Thurm 148 

58. Rückkehr nach Pera 149 

59. Die Prinzeninseln. Prinkopo 149 

60. Der Thurm zu Galata 152 

61. Goldenes Hörn und die süssen Wasser von Europa 152 

62. Besestan-Bazar 153 

63. Häuser- Ameublement 154 

64. Die Frauen in Konstantinopel 155 

65. Islam •. 156 

66. Fremde und Einheimische in Konstantinopel 156 

67. Schlussbetrachtung über Konstantinopel 159 

Anhänge. 

Notizen Über das Bahnnetz in Rumänien 161 

Notiz über Galatz . 163 

Skizzen und Bilder aus den Ländern an der unteren Donau . . . 165 



I 



1. Die Donau; 

JJie Donau ist derjenige Fluss in Europa, bei welchem 
der direkte Abstand der Quelle von der Mündung der grösste 
ist, indem er 220 deutsche Meilen beträgt, wogegen diese Ent- 
fernung bei der Wolga nur 210 Meilen gross ist. Die Donau 
hat ferner die Eigenthümlichkeit, der einzige grössere Fluss 
zu sein, welcher ungefähr parallel mit den Breitegraden un- 
seren Erdtheil durchströmt. Kein europäischer Fluss durch- 
fliesst so verschiedenartige Länder-, Racen- und Sprachgebiete 
als die Donau. Seine Hauptwichtigkeit erlangt aber dieser 
Strom durch seine weltgeschichtliche Bestimmung, die deutsche 
Bildung dem fernen Oriente zuzuführen. Schon erörtert man 
an den Donaumündungen vielseitig die Frage, welches deutsche 
Reich und welche Dynastie von der Vorsehung ausersehen sei, 
den Orient der Verwilderung zu entreissen und der Gesittung 
zuzuführen. 

Die Bevölkerung des Donau-Flussgebietes theilt sich nach 
den drei Hauptabtheilungen in drei Gruppen. Das Donau- 
Hochland ist von Deutschen (Schwaben, Bayern, Oestreichern) 
bewohnt und uraltes deutsches Kulturland, reich an deutschen 
geschichtlichen Erinnerungen. Das mittlere Donau -Becken 
bildet eine bunte Musterkarte verschiedener Nationalitäten, 
gehöi-t überwiegend den Magyaren und Slaven. Im Mündungs- 
gebiete wohnen die Rumänen und Bulgaren, befinden sich die 
Kolonien der Tscherkessen und Tartaren. Aber die Deutschen 
haben sich auch im mittleren Donau-Becken und im Mündungs- 
gebiete angesiedelt. Alle Bergleute sind ausschliesslich deutsch, 
ebenso die Bauunternehmer und alle Faktoren eines künst- 
lerischen Gewerbefleisses. Im Donau -Tief lande sollen über 
anderthalb Millionen deutscher Abkunft wohnen. Deutscher 
Einfluss, jetzt so hartbedrängt, ist für das Donauland von 'jeher 

1 



das anregende und belebende Prinzip, der Ursprung aller Ge- 
sittung gewesen. Die Donauländer verdanken den Deutschen 
zumeist ihre ganze Civilisation, die bei allen Gebildeten der 
unteren Donauländer durchaus deutschen Typus trägt. Lächer- 
lich ist es, wenn die Rum&nen jetzt so mit Frankreich ko- 
kettiren und jedes Kaffeehaus mit den lebensgrossen Gemälden 
Napoleon III. und der Eugenie schmücken. Bereise die un- 
teren Donauländer und -wenn du aufmerksam die .dortige Re- 
generation beobachtest, so wirst du mit froher Zuversicht und 
neuem Vertrauen erfüllt werden für die Kraft und die Zukunft 
deines deutschen Vaterlandes! 

Die Deutsche Donau - Dampfschifffahrts - Gesell- 
schaft, D. D.-G., wie auf den Uniformen der Beamten steht, 
bewirkt vorzugsweise den Verkehr zwischen dem christlichen 
und dem muselmännischen Europa. Der Betrieb dieser D. D.- 
Gesellschaft ist von unermesslich kommerzieller und politischer 
Tragweite, er steht in unmittelbarer Verbindung mit dem öst- 
reichischen Lloyd. Die Direktion der Gesellschaft hat ihren 
Sitz in Wien. Die Gesellschaft hat mehr denn 200 Dampf- 
schiffe von d^n verschiedenartigsten Dimensionen, die theils als 
Passagierschiffe, theils als Transportschiffe, theils als Remor- 
queurs von mehr als 500 Schleppkähnen (Platten) dienen. Vor- 
zugsweise ist die Benutzung der Eilschiffe für die orientalische 
Reise zu empfehlen. Man kann so von Wien mit Benutzung 
der Eisenbahn von Wien bis Basias die Reise nach Konstan- 
tinopel in 3 Tagen zurücklegen, bergaufwärts in 4 Tagen. Die 
Eilschiffe sind zweckmässig eingerichtet, und wird für die beste 
Beköstigung, deren Betrag in dem Passagepreis (100 Thlr. auf 
der ersten Klasse von Wien bis Konstantinopel, Dampfboot 
und Eisenbahn) eingerechnet ist, gesorgt. Die Schlaf säle, 
Herren- und Damensalons sind mit jedem möglichen Komfort 
ausgestattet, der fast an Luxus grenzt. Hat man ein durch- 
gehendes Billet, z. B. von Wien nach Konstantinopel genommen, 
so ist man jeder Sorge für sein aufgegebenes Gepäck enthoben 
und wird auf Kosten der Gesellschaft bei den Uebergängen 
auf verschiedene Transportmittel, z. B. in Varna vom Eisen- 
bahnhof zum Seedampfschiff, befordert. 

Die Dampfschifffahrt auf der Donau wird von derselben 
Unternehmung von Donauwörth bis Sulina betrieben. Die 



Donau durchläuft mit ihren Krümmungen auf dieser Strecke 
einen Weg von 343 geographischen Meilen. 

31 Landungsstationen auf der oberen, 72 auf der unteren 
Donau geben Zeugniss von dem grossen Verkehr von Reisenden 
und Gütern, die durch die Gesellschaft während der Schiffbar- 
keit des Stromes, die von Mitte December bis Ende März 
aufzuhören pflegt, befördert werden. Es ist dies ein deut- 
sches Unternehmen, dem sich kein zweites auf irgend einem 
Strome der alten und neuen Welt gleichstellen kann. Das 
westliche Europa wird durch die D. D.- Gesellschaft mit den 
unteren Donauländern und der Levante in unmittelbare Ver- 
bindung gesetzt und ein lebhafter Austausch von Erzeugnissen ^ 
der Industrie gegen Rohprodukte herbeigeführt. 

Berichterstatter hat die Thalfahrt auf der Donau von Wien 
bis zur Mündung in das Schwarze Meer auf einem Passagier- 
schiffe, die Bergfahrt von Rustschuk bis Basias auf dem Eil- 
schiffe zurückgelegt. 

2. Ofen -Pest. 

, Beginnen wir die Schilderung unserer Donaufahrt mit Ofen- 
Pest. Schon hier treffen wir auf eine Eigenthümlichkeit der 
Donau, dass nämlich immer die grösseren Städte paarweise 
einander gegenüber sich vorfinden: Ofen-Pest, Peterwardein- 
Neusatz, Belgrad -Semlin (auf den gegenüberliegenden Ufern 
der Save beim Einfluss in die Donau), Widdin-Kalafat, Giurgewo- 
Rustschuk, Braüa- Matschin u. s. w. Die Städte auf dem 
rechten Donauufer sind durch geschichtliche Erinnerungen ge- 
weihet, aber heruntergekommen von ihrem früheren Glänze; 
die Städte auf dem linken Donauufer blühen auf, schreiten vor 
durch Handel und Betriebsamkeit; die Städte auf dem rechten 
Donauufer gehören der Vergangenheit an, diejenigen auf dem 
linken der Zukunft. Im Allgemeinen ist das rechte Donau- 
ufer felsig, pittoresk, das linke eben und einförmig bis zur 
Ermüdung. 

Berichterstatter wird sich bei seiner Schilderung von Pest- 
Ofen darauf beschränken zu erzählen, was ihm am meisten 
aufgefallen ist. 

1) Die kolossale Kettenbrücke, welche die beiden 
Schwesterstädte Pest-Ofen verbindet, mit einer Aussicht auf die 

1* 



Ufer, die an Grossartigkeit bei weitem die von der Dresdener 
Eibbrücke übertrifft. Die Kettenbrücke ist 1200 Fuss lang, 
42 Fuss breit und schwebt 60 Fuss über dem Spiegel der stolz 
darunter hinströmenden grünen Donau. Diese Kettenbrücke ist 
ein Prachtwerk ; man kann sich nicht satt sehen an der Kraft 
der Pfeiler und der Ketten, muss dabei die Leichtigkeit und 
Eleganz bewundern, welche dieses Riesenwerk unseren Blicken 
darbietet. Aufgefallen ist mir der rasche Gang, das rüstige 
Vorwärtseilen und die Rührigkeit der Passagiere auf der Brücke, 
von denen, wie rasch ich auch nach meiner Meinung dahin 
eilte, ich stets bald überholt wurde. Bei den grossen in Stein 
ausgehauenen Löwen, welche über der Brücke thronen, hat 
der Bildhauer die Zungen vergessen. 

2) Der schöne, breite und hohe ausgemauerte Tunnel, 
welcher in Ofen von der Kettenbrücke unter dem Schlossberge 
1104' lang durchführt und den Verkehr zwischen Pest und 
den hinter dem Berge liegenden Vorstädten und Landwohnun- 
gen von Ofen erleichtert. 

3) Die Promenade, Nah- und Fernsicht von den Glacis 
der Festung Ofen. 

4) Die warmen Quellen, an denen Ofen einen Ueber- 
fluss hat (Schwefel-, eisenhaltige und mit Salz geschwängerte 
Quellen). B. hat das Kaiserbad besucht, dort gebadet und 
getrunken. Es werden dort 7 Quellen benutzt, deren grösster 
Wärmegrad 51^ R. ist. Die Trinkquelle zeigt 48 ^R. Wärme, 
das geschöpfte Wasser ist klar, hat einen Geruch, der an 
Schwefelwasserstoff erinnert und einen wenig salzigen Geschmack, 
eher wohlschmeckend als widerlich. Das Kaiserbad ist ein 
ganzer Komplex von Bade- und Trinkvorrichtungen, verbunden 
mit Schwimmschulen für beide Geschlechter und mit einem 
Türkenbad (allgemeinem Volksbade, nur Schwitzbäder in heisser 
Luft), wo wenige Kreuzer zu erlegen sind, während ein kom- 
fortables Bad in eigenem Zimmer einen halben östreichischen 
Gulden kostet. Die Thermen von Buda wurden schon von den 
Römern benutzt. Die meisten Schwefelquellen liegen in der 
Raizenstadt (Raizen sind ausgewanderte Serbier, berüchtigt 
durch ihre Ränke und ihre Betrügereien). Die Raizenstadt 
bildet einen grossen Stadttheil, in welchem gegen Tausend 
kleine Häuser liegen, fast alle von gleicher Grösse oder viel- 



mehr Kleinheit, welche am steilen Blocksberge in sechs ver- 
schiedenen Abstufungen oder Absätzen des Berges hinaufge- 
schichtet sind. Alle diese Häuserchen wenden ihre Vorderseite 
der Festung zu, und nehmen sich von dort aus wie die 
innere Hälfte eines Amphitheaters, wo die kleinen Häuserchen 
die Logen vorstellen. Alle grösseren ungarischen Städte, be- 
sonders die Orte an der Donau, haben Raizenquartiere, in 
welche es nicht geheuer ist, sich bei Nachtzeit als Fremder 
zu wagen, weil häufig Todschläge dort vorkommen, die meistens 
unentdeckt und unbestraft bleiben. 

Von den weitläuftigen Badeanstalten von Ofen liegen drei, 
nämlich das Blocksbad, das Brück- und das Raizenbad in 
der Raizenstadt, dagegen das Königs- und das Kaiserbad in 
Neustift. Die Türken haben, so lange Buda unter ihrer 
Botmässigkeit war, in diesen warmen Bädern geschwelgt. 
Die gemeinschaftlichen Schwitzbäder sollen namentlich im 
Winter besucht werden, wo die armen Leute die Gelegenheit 
benutzen, sich für drei Kreuzer einmal ordentlich durchzu- 
wärmen. 

5) Weiter an der Donau hinauf befindet sich auf einer 
Insel in der Donau die Schiffs werfte der D. D.- Gesell- 
schaft, mit ihren zahlreichen W^erkstätten, wo nicht nur alle 
Reparaturen ausgeführt werden, sondern auch Dampfma- 
schinen, Schiffe, Anker, Ketten neu gefertigt werden. 

6) Der Krönu'ngshügel in Pest an der Donaubrücke, 
wo der ungarische König (so nennen die Ungarn allgemein 
den Kaiser von Oestreich) gekrönt wird und mit dem blanken 
Schwerte nach allen vier Regionen Streiche führt zum Zeichen, 
dass er die Absicht hat, das ganze Land nach allen Rich- 
tungen zu schützen. 

7) Die ungarische Akademie mit ihrem prachtvollen 
von Schinkel angegebenen Frontispice. Da es Aufgabe der 
Akademie ist, die magyarische Sprache auszubilden, so sind blos 
Magyaren zu Sitzen in der Akademie berechtigt. Doch hat 
man auch ausländische Gelehrte zu Ehrenmitgliedern ernannt. 
Wissenschaftlich leistet sie nichts. 

8) Das ungarische National-Museum mit ungeord- 
neten Schätzen, Liebesgaben ungarischer Patrioten, aus dem 
Privatbesitze niedergelegt auf den Altar des Vaterlandes. Die 



6 



Magyaren sind jetzt in einer Extase, die sie zu allen Opfern 
befähigt. In ihrer Phantasie hat sich schon die Idee eines 
Kaiserreichs eingenistet, das alle Länder der unteren Donau 
umfasst, wo die Magyaren die bevorzugte Nationalität bilden 
und zur oberen Leitung und allen Ehrenämtern ausersehen 
sind. Das in der Nähe befindliche Magnaten -Kasino bildet 
den Vereinigungspunkt der hervorragenden Adelsfamilien, und 
sind darin Küche und Keller wohl bestellt. 

9) Das städtische Redoutenh aus mit seinen zwei Pracht- 
sälen übertrifft wohl an Farbenpracht in der Dekoration alle 
ähnlichen Etablissements. Die Fresko-, Decken- und Wand- 
Gemälde zeugen von italienischem, aber stark magyarisirten 
Kunstgeschmack. Aufgefallen sind uns die Gemälde, welche 
Scenen aus dem Leben des Attila darstellen, z. B. seine Ver- 
lobung, Gelage des Attila mit seinen Söhnen. Attila wird 
dargestellt, essend aus einer hölzernen Schüssel, trinkend aus 
einem Holzbecher, während die Gäste sich goldener Geschirre 
bedienen; Säuger umgeben die Familie des Attila und be- 
singen seine Heldenthaten. Attila, den wir Deutschen in un- 
serer Kindheit als grausamen Wütherich verabscheuen gelernt 
haben, ist stets als Nationalheld betrachtet und seiner wii*d mit 
Stolz gedacht. Beraerkenswerth ist auch ein Fresko-Gemälde, 
darstellend das Turnier des Corvinus, wo die Braut ihm den 
Siegeskranz aufsetzen will. Auch die Bilder der neun Musen 
tragen den alt ungarischen (hunnischen) Typus. Im kleinen 
Saale sind die vier ungarischen Hauptströme allegorisch darge- 
stellt: Donau, Theiss, Drave, Save. Elegante Gallerien um- 
geben die beiden Säle, der eine davon dient als Tanz-, der 
andere als Konzert- Saal. Ausserdem umgeben eine Anzahl 
von Salons (Spielzimmer) die grösseren Säle. In der Kredenz 
(der Restauration) sind auf grossen Tafeln die festen Preise 
der Speisen und Getränke aus der Ferne erkennbar verzeichnet. 
Ueberall prangt das Andreas -Kreuz, das Wappen der Unga- 
rischen Kronlande. Prachtvoll ist auch die königliche Hof- 
loge ausgestattet. Die kleineren Säle werden von den städti- 
schen Behörden als Sitzungszimmer benutzt, wozu das» Stadthaus 
nicht die erforderlichen Räumlichkeiten bietet. Das ganze Ka- 
sinogebäude wird bei feierlichen Gelegenheiten durch 1250 Gas- 
flammen erleuchtet. Es werden alsdann auf den mit Tep- 



pichen belegten Marmortreppen ganze Orangerien aufgestellt, 
überhaupt alle Räume durch blühende Zierpflanzen geschmückt. 
Im vorigen Winter sind zwei grosse Redouten veranstaltet 
worden, wo die prunkvollen Magnaten mit ihren kroatischen 
Brüdern fraternisirt haben, um das Feuer des Patriotismus 
zu entzünden und die gesammte Bevölkerung für die magya- 
rische Erhebung zu begeistern. Der städtischen Redoute ist 
ein grosses Kaffeehaus, Bierlokal u. s. w. für die niedere 
Bevölkerung beigefügt. 

10) Die Synagoge hat ebenfalls unsere Aufmerksamkeit 
auf sich gezogen, wir haben ihr einen längeren Besuch ge- 
widmet. Sie strahlt von orientalischer Pracht und überbietet 
weit alle christlichen Kirchen von Pest-Ofen. Die hohen Fen- 
ster, mit Glasmalereien ausgeschmückt, dämpfen das Licht und 
geben ihm eine mysteriöse Nüancirung. Es gehört die Syna- 
goge der Reformgenossenschaft an und gefällt uns mit ihren 
beiden Kuppeln eigentlich besser, als die Berliner Synagoge; 
die Pester Synagoge ist weniger überladen, man übersieht 
leichter die Harmonie des Baustils. Merkwürdig sind die 
beiden Kanzeln, welche sich gegenüberstehen, von welchen 
abwechselnd, d. h. immer von derselben deutsch und von der 
anderen ungarisch gepredigt wird. Die Synagoge wird durch 
720 Gasflammen erleuchtet. Die Juden bilden in Pest-Ofen 
eine wichtige Genossenschaft, sie sind die Inhaber des Reich- 
thums, die Besitzer der grössten Häuser und schönsten Villen 
und wetteifern in Equipagen und Kleiderpracht, namentlich 
der weibliche Theil, mit den Magnaten. 

11) Mannigfaltigkeit des Bekenntnisses und der 
Nationalität. In Ofen und Pest sind alle Nationalitäten 
und Glaubensbekenntnisse des östreichischen Kaiserstaates 
vertreten. Es giebt daher christliche Kirchen, in denen die 
Andacht in ungarischer, deutscher, slavischer, griechischer 
und walachischer Sprache verrichtet wird. Nur die Türken 
sind gewichen. Ofen war lange Zeit eine türkische Festung, 
in dem heutigen Stadttheile Wasserstadt tragen die Grund- 
mauern v^n der Hauptmoschee jetzt die Kirche der Elisa- 
bethinerinnen. Die Türken weichen überall zurück, wo sich 
eine christliche Bevölkerung agglomerirt; sie sind bereits stark 
im Rückzuge nach ihrem Heimathlande Asien begriffen, wie 



8 

dies aus dem weiteren Verlaufe unserer Reise -Erinnerungen 
erhellen wird. 

12) Die Privatwohnungen der wohlhabenden Ungarn 
gehen auf die Höfe hinaus, sie sind gewöhnlich mit gut un- 
terhaltenen Gartenanlagen verbunden. Die Privatgebäude sind 
gewöhnlich im Viereck gebaut, dessen eine Seite nach dem 
Garten zu oflfen ist; ausserdem nach dem Hofe rings herum 
mit einem überdeckten Gange versehen, was einen öfteren 
Aufenthalt in freier Luft gestattet. Man wird hier schon an 
die Gewohnheiten des Orients erinnert, auch im Ameublement 
durch die Fülle von Sophas in Form von Divans. 

13) Es giebt in Pest-Ofen viele Bildungsanstalten, z.B. 
eine Universität, eine Akademie, ein Nationalmuseum, ein evan- 
gelisches Gymnasium, eine Handelsakademie, deren Director 
der mir von .Halle her befreundete bekannte Schriftsteller 
Professor Dr. Körner ist und Pest seit 12 Jahren bewohnt. 
Als Deutscher hat der Direktor K. keine schwierige Stellung. 
Da die kaufmännische Correspondenz in deutscher Sprache 
geführt wird, so wird Deutsch neben der ungarischen Sprache 
gepflegt. Die Schule nimmt, da viele Magyaren Deutsch lernen 
wollen, jährlich an Frequenz zu und hat sich bereits einen 
solchen Ruf erworben, dass das Handelsministerium diese 
Privatanstalt des Handelsstandes mit 10,000 Gulden jährlich 
unterstützt, der Landtag dies genehmigt hat. 

14) Das Stadtwäldchen ist der unvermeidliche Ver- 
gnügungsort der Pester. Der Weg dahin führt durch die 
lange Königsstrasse, eine Geschäftsgegend, wo Laden an Laden 
sich reiht und fast in jedem Gebäude sich ein Weinschank 
befindet. Es ist das Stadtwäldchen gegen die romantisch ge- 
legenen Partien im Ofener Gebirge, nach welchem eine 
Pferdeeisenbahn führt, ein sehr bescheidenes Plätzchen, wäh- 
rend man in den Ofener Gebirgsthälern schon den Vorge- 
schmack südlicher Gegend empfinden soll. Die Vorliebe für 
das Stadtwäldchen, wohin von allen Hauptpunkten der Stadt 
an Sonn- und Festtagen gegen hundert geräumige 18 sitzige 
Gesellschaftswagen viertelstündlich für einen Fahrpreis von 
10 Kreuzern = 2 Sgr, für die Person abgehen und immer 
sogleich überfüllt werden, so dass es schwierig ist, einen Sitz 
zu erhalten, ist kaum begreiflich. 






9 

Das Stadtwäldchen ist eine in flacher Ebene liegende 
Parkanlage. Zu derselben führt eine sehr lange, schnurgrade, 
dreifache Fahrstrasse, auf beiden Seiten von einem Fuss- 
wege und drei Reihen Bäumen eingefasst. Es befinden sich 
im Stadtwäldchen eine Anzahl Wiesenplätze, auf denen sich 
das gemeine Volk umhertummelt, gewöhnlich angeregt durch 
eine Drehorgel, die überhaupt in Ungarn vorwaltet bei solchen 
Volksbelustigungen. Man hört alle Wiener W^alzer neben dem 
- Nationaltanze. Wir sahen hier Turnspiele, von der männ- 
lichen Jugend ausgeführt, bals champetres, Marionettentheater 
und allerlei öffentliche Belustigungen, überhaupt noch ein 
wahres Volksleben, wovon wir in unseren Gegenden keine Vor- 
stellung haben, weil wir der dazu erforderlichen Lebendigkeit 
und Phantasie entbehren. 

15) Gasthöfe ersten Ranges sind der „Erzherzog 
Stephan", der „König von Ungarn", die „Königin von Eng- 
land", „Hotel Frohner", wo wir unser müdes Haupt nieder- 
legten, an der Szechenyi -Promenade. Letzterer Gasthof ent- 
hält 120 Logierzimmer, Bäder, grosse Restauration (nur ä la 
carte), Kaffeehaus u. s. w. ; Alles in einem Style und mit 
einer Sumptuosität ausgestattet, wie kaum irgend welches 
grössere Hotel in Berlin. Eben so sind eine grosse Anzahl 
Kaffeehäuser vorhanden, reich mit Spiegeln dekorirt, in einem 
Umfange und mit einer Pracht, die unsere gewöhnlichen An- 
sprüche an solche Etablissements weit überbietet. Man unter- 
scheidet hier schon Kaffeehäuser nach den Nationalitäten 
(serbische, walachische u. s. w.). 

Dem heiteren magenfüllenden Lebensgenüsse soll in Pest 
stark gefröhnt werden, derselbe soll an Leichtsinn und Ent- 
sittlichung grenzen, die Thatkraft lähmen und den wahren 
Fortschritt in der Civilisation hemmen. Dass ein übermässi- 
ger Luxus in Pest getrieben wird, fällt jedem aufmerksamen 
Beobachter sogleich in die Augen. Man sieht Toiletten und 
Equipagen glänzender und prächtiger, als in London oder 
Paris. 

Früher war das deutsche Theater in Pest bekannt durch 
vorzügliche Kunstleistungen, jetzt wird es von dem Direktor 
verwahrlost, und Kunstgenüsse sind so selten, wie im natio- 
nalen ungarischen Theater, das auf alle Weise bevorzugt 



10 



wird. Ueberall in Ungarn macht sich das Deutschthum 
geltend, namentlich in der Industrie. Merkwürdig ist da- 
bei, dass man auf der Gasse meist Deutsch sprechen hört, 
und alle Maueranschläge in deutscher und ungarischer Sprache 
verfasst sind. Es ist mehrfach von uns bemerkt worden, dass 
zwei Ungarn in eine deutsche Unterredung vertieft waren, so- 
bald aber ein Fremder hinzutrat, zur ungarischen Sprache 
übergingen und sich einen sichtlichen Zwang auflegten. 

16) Vergleich zwischen Ofen und Pest. Während 
die Häuser des alten Buda malerisch an Hügeln gruppirt 
sind, während Schloss, Citadelle und Blocksberg einen reizen- 
den Anblick gewähren, im Hintergrunde die Ofener Gebirge 
mit Weinbergen, Waldungen und grünen Saatfeldern das an- 
muthige Panorama vervollständigen, liegt das neue kokette 
Pest mit seinen regelmässigen geraden Strassen in einer sandi- 
gen Ebene. 

Was aber die Natur der Stadt Pest versagte, hat der 
Mensch durch Fleiss und Betriebsamkeit anderweitig ersetzt. 
Wir finden in Pest moderne Häuser, Palästen gleich, schöne 
Kaufmannsläden und an der Donau einen herrlichen Quai 
(10 Ruthen breit und über 200 Ruthen lang). Derselbe ist 
in seiner bisherigen Länge von der D. Dampfschifffahrts- 
Gesellschaft erbaut. Grüne Plätze in der Mitte der Stadt 
mit Gartenanlagen bringen eine angenehme Abwechselung 
hervor und verbessern die Luft. Unter den Gebäuden nimmt 
das der Direktion der D. D.- Gesellschaft durch seine 
Grösse und seinen Umfang eine imponirende Stellung ein. 
Es liegt an der Donauzeile, die durch ihre grossartigen Bau- 
lichkeiten und den darauf herrschenden Verkehr ganz das 
Gepräge einer Weltstadt trägt. 

Nächst der Donauzeile und der Waitznerstrasse verdient 
die Landstrasse Erwähnung. Es ist die längste Strasse, 
theilt Pest fast in zwei Hälften und endet an dem Bahnhofe 
der k. k. privilegirten Staatseisenbahn. Auf der Landstrasse 
werden die vier berühmten Jahrmärkte von Pest abgehalten. 
Besonders rühmliche Erwähnung verdient die vorzügliche 
Pflasterung von Pest mit grossen viereckigen, ebenen, gut be- 
hauenen Granitblöcken und Trottoirs, welche die ganze Breite 
des Bürgersteiges einnehmen. 



11 



Wenn Ofen an Ungarns glänzende Vergangenheit erinnert, 
so vergegenwärtigt Pest die zunehmende Wohlfahrt und Aus- 
beute der unerschöpflichen Hülfsquellen von Ungarn. Wenige 
Städte auf dem Kontinente haben sich in der Neuzeit so 
schnell entwickelt wie Pest, dessen Einwohnerzahl auf 200,000 
gestiegen ist, sich also in den letzten dreissig Jahren mehr 
als verdreifacht hat, während Ofen stabil geblieben ist. 

Pest ist eine Weltstadt, eine Handelsstadt ersten Ranges, 
es trägt das Gepräge des Reichthums; Ofen ist eine Provin- 
zialstadt, wo sich Alles in gewöhnlicher Wiederkehr des bür- 
gerlichen Lebens bewegt. In Pest beabsichtigt der nord- 
deutsche Bund ein General -Konsulat zu errichten, um die 
dortigen wichtigen Handelsinteressen seiner Angehörigen zu 
schützen und zu fördern. Es besteht schon in Pest ein fran- 
zösisches Konsulat u. s. w. Die Schweizerkolonie in Pest 
nimmt eine hervorragende Stelle ein, wie überhaupt die 
Schweizer im Orient durch ihr Zusammenhalten eine grosse 
Rolle spielen. 

17) Vergangenheit und Zukunft von Pest-Ofen. 
Vor der türkischen Eroberung hatte schon Buda-Pest eine 
glänzende Periode. Aber wo das Pferd eines Türken hin- 
tritt, wächst in hundert Jahren kein Gras, wie das Sprich- 
wort sagt. Aus den Händen der Türken ging sie in die der 
Oestreicher als ein Schutthaufen über. Alles lag in türki- 
scher Unordnung und Unreinlichkeit , alle noch vorhandenen 
Gebäude waren niedrige Hütten und Ställe. Buda-Pest ging 
verloren, wurde von den Türken wieder erobert, bombardiiii, 
verbrannt, zurückerobert. 

Die Haupterhebung in Pest fing mit der Regierung der 
Maria Theresia an und hat seitdem in seiner Entwickelung 
und seinem Wachsthum mit der Energie des ganzen Lebens 
in Ungarn gleichen Schritt gehalten. Noch zur Zeit der 
Maria Theresia war Pest beschränkt auf die jetzt so genannte 
innere Stadt, die nicht einmal den 7. Theil des jetzt von Pest 
bedeckten Flächenraums einnimmt. Jetzt hat Pest fünf weit 
ausgedehnte Stadtviertel, die ihre Namen erhielten nach den 
vier letzten ungarischen Königen, unter deren Regierung 
sie entstanden, und heissen Theresien-, Joseph-, Leopold- 



12^__ 

und Franzenstadt. Das beispiellos schnelle Wachsthum von 
Pest liefert einen richtigen Maassstab für die schnelle Ent- 
wickelung von ganz Ungarn, die Zunahme seiner Bevölke- 
rung, seines Gewerbefleisses und die Regsamkeit des ganzen 
Landes. 

Heute blicken die Ungarn mit gerechtem Stolze auf ihre 
Hauptstadt und setzten es durch, dass ihr König von Zeit 
zu Zeit in Ofen residirt. 

Die Augen der ganzen gebildeten Welt sind jetzt auf die 
Vorgänge von Pest gerichtet, wo oflfenbar die Fäden gespon- 
nen werden für die Zukunft der östreichischen Gesammt- 
monarchie und das Geschick seiner Dynastie, nachdem der 
Schwerpunkt der östreichischen Gesammtmonarchie aus 
Deutschland entrückt, die Dynastie den deutschen Interessen 
entfremdet und ihr der Einfluss darauf entzogen worden ist. 
OiFenbar stehen die Vorgänge in Pest im innigen Zusammen- 
hang mit der Lösung der orientalischen Frage, die mit Recht 
eine brennende genannt werden muss wegen ilirer Dringlich- 
keit und der Gefahr, dass sie die Brandfackel des Krieges 
entzündet, der ganz Europa in zwei feindlich gestellte Lager 
theilen würde. 

3. Von Pest -Ofen bis Neusatz -Peterwardein. 

Das Dampfboot von Wien nach Pest ist nur LokalschifF. 
Von Pe*st aus beginnt das internationale DampfschiiF seine 
Fahrten lyid setzt dieselben bei hohem Wasserstande der 
Donau ohne Unterbrechung bis Galatz fort. Im Jahre 1868 
war der Wasserstand der Donau so niedrig, wie nicht seit 
Menschengedenken. Wir waren daher gezwungen, auf unserer 
Fahrt öfter kleine Dampfschiffe zu besteigen, sogar einen 
kleinen Theil des Weges zu W^agen zurückzulegen. 

Von Pest an fliesst die Donau mit geringem Gefälle zum 
Theil zwischen morastigen Ufern durch die weit ausgedehnte 
Tiefebene bis unterhalb Neusatz, wo sie in die Militärgrenze 
eintritt und die Gegend anfängt romantischer zu werden. 
Von Pest abwärts durchfliesst sie ein Gebiet, das vorzugs- 
weise auf Viehzucht angewiesen ist, wo immer noch ein 
reicher Segen von Naturproduction sich findet. 



13 



Auf einer Strecke von 50 Meilen fliessen Donau und 
Theiss in einem Abstände von ungefähr 12 Meilen parallel. 
Während das rechte Donauufer immer noch einige Abwechse- 
lungen und Erhebungen darbietet, ist das Land zwischen 
Donau und Theiss flach. Die Theiss ist der eigentliche 
Hauptfluss von Ungarn, „doi*t entsprossen und erstorben" ; wo 
sie nämlich im Begriff ist, das Land zu verlassen, erstirbt 
sie in der Donau, indem sie auf ihrem ganzen unteren Laufe 
fast gar kein Gefälle mehr hat. Still und friedlich windet 
sich die Theiss durch grüne Ufer. Der segnende Strom wirkt 
aber auch verheerend. Da weder die Donau noch die Theiss 
eingedämmt sind, sind ihre flachen Ufer nicht vor Ueber- 
schwemmungen geschützt. Da die eigenen Quellen der Theiss 
hoch in den Karpathen liegen, ihre Zuflüsse (Samosch, Körösch 
und Marosch) ebenfalls auf den hohen Siebenbürger Alpen 
entspringen, so schwillt die Theiss oft plötzlich an. Dann 
ertönen die Sturmglocken, verzweifelte Hülferufe hört man 
erschallen: „Das Wasser kommt!*' Nicht blos im Frühlinge, 
sondern auch ganz unerwartet, wenn in den Gebirgen starke 
Regen gefallen sind, überschwemmen reissende Wasserfluthen 
die Landschaft. 

Von Pest abwärts die Donau bis in die Tüi'kei verspürt 
man den Fischreichthum der Donau an der table d'hote des 
Dampfschiffs, wo man vorzugsweise mit Fischen gefüttert 
wird (Spierl, Hausen oder Donaukarpfen, wovon der dortige 
Kaviar, Lachse). Das tiefe, stille, schlammige und nahrungs- 
reiche Wasser zieht die Fische an und veranlasst *sie, vom 
schwarzen Meere aus bis in das Innerste des Kontinents hin- 
auf zu steigen. 

Auffallend für uns war der Reichthum an Viehheerden 
(Hornvieh, Schafe), welche sich der Donau näherten, um ihren 
Durst zu stillen und sich abzukühlen, namentlich gewahrten 
wir auch ungeheure Schweineheerden. Federwild schwärmt 
an den Ufern der unteren Donau in Myriaden: viele Enten- 
und Gänseflüge, Pelikane, Strandläufer, Reiher, Rohrdommeln 
ziehen das Auge des Zuschauers auf sich. Deutschland ge- 
genüber, wo kaum noch Platz ist für ein friedliches Schnepfen- 
paar, um Eier auszubrüten, erscheint dieser Kontrast seltsam. 

Die Donau setzt lässig in vielen Krümmungen ihren Weg 



^ I 



14 



fort, hier und da eine Sandbank bildend. Auf einer solchen 
sassen wir auf, und mussten die Nothdampfpfeife ertönen 
lassen. Endlich erschien ein Remorqueur, der Johannes 
Baptista, nach amerikanischem System (mit der Maschine oben 
auf dem Verdeck) und machte uns nach einigen Anstrengun- 
gen wieder flott. Das Fahrwasser auf der Donau ändert sich 
fortwährend, so dass oft Sondirungen der Tiefe vorgenommen 
werden müssen. 

Die Gegend (die pannonisch-dacischen Steppen) sieht auf 
beiden Seiten öde und verlassen aus. Nur einzelne Thurm- 
spitzen von Kirchdörfern erblickt man aus weiter Entfer- 
nung vom Ufer, Städte und Dörfer sind im Innern des Lan- 
des angebaut; die Inseln allein sind mit üppigem Baumwuchs 
(meistens Weidengebüschen) bedeckt und schwärmen von Feder- 
vieh. Auffallend für uns waren die vielen Tausende von 
Wassermühlen auf der Donau, welche die Schifffahrt beengen. 

Das rechte Ufer der Donau (die pannonische Seite) ist 
durchweg höher als das linke ; die meisten Dörfer und Markt- 
flecken zeigen sich daher auf dieser Seite. Földvar, Tolna, 
wo ein Donaudurchstich gefnacht und dadurch die Fahrt um 
1 */2 Stunden abgekürzt worden ist, Baksch und Mohacs liegen 
alle auf dem rechten Ufer der Donau und ziemlich nahe am 
Fluss. Die linke Seite nach der Theiss zu, von beiden Seiten 
den Ueberschwemmungen ausgesetzt, ist meistens wüste, mit 
Sümpfen, Gebüsch und Steppe bedeckt. Daher geht auch 
die Landstrasse von Pest nach Slavonien auf dem hohen 
rechten Ufer. Wie die Menschen, haben auch die meisten 
Vögel auf dem rechten Donauufer sich niedergelassen. Man 
sieht die lehmigen Ufergewände überall von grossen Löchern 
durchbohrt. Es sind dies die Eingänge zu den Nestern vieler 
Arten von Vögeln, z. B. von Schwalben. Indessen hatten die 
Schwalben, wie die Störche, die sich hier in Unzahl im Som- 
mer einfinden sollen, wegen der vorgerückten Jahreszeit schon 
ihre Wanderungen nach dem Süden angetreten. Während 
Schwalben, Störche u. s. w., welche sich schon mehr dem 
Menschen anschliessen , das rechte Ufer bewohnen, wo auch 
zahme Gänseheerden , Entenschaaren und Truthühnerarmeen 
die Dörfer umweiden, nistet und brütet das wilde Geflügel 
auf der ungastlichen linken Seite. Dort zeigen sich auch 



i 



15 



Züge von dicken fetten Trappen, welche ihren niedrigen Flug 
über die Steppen ausbreiten, über den Schilfwäldern. 

Die erste Hauptstation von Pest aus ist die Stadt Baja 
auf dem linken Donauufer in einer ziemlichen Entfernung 
davon gelegen, auf der Donau voraus angekündigt durch eine 
Unzahl im Strome befindlicher Wassermühlen. In der Provinz 
Posen merkt man es an der grossen Zahl von Windmühlen, 
dass man sich einer Stadt nähert, auf der Donau an den 
Wassermühlen. 

Hinter Baja beginnen auf dem rechten Ufer wieder die 
Weingärten und an jedem Landungsplatze werden den Passa- 
gieren die süssesten Weintrauben zum Spottpreis angeboten. 
Namentlich geschah dies in Mohacs, wo unser Dampf boot 
Kohlen einnahm. Von Pest, wo wir um sechs Uhr Morgens 
abgefahren waren, bis Mohacs, wo wir um vier Uhr Abends 
eintrafen, hatten wir 10 Stunden gebraucht. Hier blieben 
wir eine Stunde liegen, um neue Kohlen einzunehmen. Zahl- 
reiche Arbeiter, hauptsächlich Frauen, alle baarfuss, beeilten 
sich, die Nahrung der Dampfmaschine, die Steinkohlen, mit- 
telst Schiebkarren an Bord zu bringen. Welches rege, mun- 
tere Treiben! Die Arbeiter laufen im Sturmschritt, um mög- 
lichst viel in kurzer Zeit zu verdienen, da sie in Akkord ar- 
beiten und nach Anzahl der Schiebkarren bezahlt werden. 
Am Ufer liegen Berge von Steinkohlen, denn Mohacs ist der 
Hafen für das im Inneren liegende grosse Steinkohlenberg- 
werk, welches der D. Dampfschifffahrts- Gesellschaft gehört. 
Von hier führt eine Eisenbahn nach dem 5 Meilen fernen 
Fünfkirchen und zu dem Steinkohlenbergwerke. 

Die Schlacht bei Mohacs am 29. August 1526 entschied 
auf lange Jahre das traurige Schicksal von Ungarn. Denn 
die Eroberung des Landes durch die Türken, d. h. die mehr 
als hundertjährige Bedrückung der Hälfte Ungarns, war die 
Folge dieser verlorenen Schlacht. König Ludwig von Ungarn 
versank auf ermattetem Pferde in einem Sumpfe. Indessen 
gewannen die Ungarn im Jahre 1686 durch eine bei demselben 
Orte Mohacs durch den Herzog von Lothringen gewonnene 
Schlacht ihre Unabhängigkeit wieder. 

Mohacs ist ein durch geschichtliche Erinnerung geweihter 
Ort, es liegt aber in einer an fettem Thone so reichen Ge- 



16 

gend, dass man am Ufer, da es gerade etwas regnete, fast 
versank, also das Schicksal des Königs Ludwig wohl begrei- 
fen konnte. 

In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch passirten wir 
die Mündung der Drave bei Draueck, von wo aus ein Lokal- 
Dampfschiff die Verbindung mit der Stadt Esseg an der Drave 
unterhält. Bei Tagesanbruch zeigte das Ufer der Donau an- 
muthige Landschaften in reicher Abwechselung, in der Ferne 
die Umrisse der Gebirge von Syrmien, die Drave und Save 
von einander trennen. Land und Leute auf dem rechten 
Donauufer trugen nicht mehr das ungarische Gepräge. Die 
Kirchthürme mahnen uns an die nunmehr zahlreichen Beken- 
ner des nicht unirten griechischen Glaubens. Wir passirten 
Vukovar, den schönsten Marktflecken von Syrmien, und ge- 
wahrten in der Ferne die grosse Gebirgskette von Fruszka- 
Göra längst dem rechten Donauufer, mit Eichenwäldern und 
Weingärten bedeckt. In Vukovar (die Accente in ungarischen 
Worten bedeuten immer, dass die Vokale lang gesprochen 
werden müssen) gewahrten wir am Ufer vieles Holzwerk, 
Fassdauben, Planken, Balken u. s. w. Es war fast lauter 
syrmisches und slavonisches Eichenholz. Slavonien und 
Kroatien sind nämlich berühmt durch ihre herrlichen Eichen, 
welche dort grosse Wälder bilden. Oestreichs Forstenreich- 
thum ist unglaublich und hat auf der Pariser Ausstellung 
in Erstaunen gesetzt, kein Land in Europa kann sich darin 
mit ihm messen. 

Das Land zwischen Theiss und Donau würde man Me- 
sopotamien nennen können, aber das wüste Mesopotamien, 
das Land der umherschweifenden Jazygen, der ungarischen 
Tschikosen (Pferdehirten). Ganze Heerden halbwilder Pferde 
waren vom Schiffe dort zuweilen zu sehen. Gegen die Mün- 
dung der Theiss endet dieses Plateau in ein ganz niedriges 
angeschwemmtes Land, bestehend aus fruchtbarem, fettem 
Weizenboden, welches von den Ungarn oft unter dem Namen 
der „Hatschka" den Fremden angepriesen wird. Es ist 
dort fast aller Boden Ackerland und wird vorzugsweise von* 
Deutschen angebaut, die es zu grosser Wohlhabenheit ge- 
bracht haben sollen. Die Römer müssen schon die Frucht- 
barkeit der Batschka geschätzt haben, indem sie hier die 



17 

Donau als Vertheidigungslinie verliessen und einen grossen, 
mächtigen, noch vorhandenen 13,000 Ruthen langen Wall auf- 
warfen und so dieses fette Land in ihre eingeschanzten und 
gegen die Hirtenvölker vertheidigten Gebiete hineinzogen. 

4. Neusatz - Peterwardein. 

Mittwoch, den 15. September, gegen 8 Uhr Morgens, tra- 
fen wir in Neusatz-Peterwardein ein, wo wir uns von unserer 
bisherigen interessanten Reisegesellschaft von Pest her trenn- 
ten , die meistens aus Offizieren mit ihren Damen , die von 
Badereisen in ihre Garnison zurückkehrten, bestand. Wir 
hatten daher unterweges so viel von Neusatz gehört, dass wir 
äusserst gespannt waren, diesen interessanten Ort kennen zu 
lernen. 

Peterwardein-Neusatz bilden einen frappanten Parallelis- 
mus mit Ofen-Pest. Neusatz ist eine emporblühende Han- 
delsstadt. Vor hundert Jahren noch ein ärmliches Dorf, zählt 
es jetzt über 20,000 Einwohner, darunter Armenier, Serben 
u. s. w., jedoch ist die deutsche Sprache die herrschende. 
Die Einwohner von Neusatz amüsiren sich nach Kräften und 
gleichen in ihrem Frohsinn und Lebensgenuss den lEinwohnern 
von Pest. Die Offiziere der Besatzung von Peterwardein ver- 
leben in Neusatz ihre glücklichsten Stunden; gewöhnlich 
wohnen auch die Offizierfamilien daselbst. Man ist sehr mu- 
sikalisch in Neusatz und kultivirt dort die Kränzchen, wovon 
die auf dem Dampfschiffe befindlichen Neusatzer Damen Wun- 
der zu erzählen wussten. 

Während Neusatz im Emporblühen begriffen, ist Peter- 
wardein eine blosse Kaserne. Beide Städte sind durch eine 
420 Fuss lange Schiffbrücke verbunden. Peterwardein liegt 
auf einem schroffen Vorgebirge der Fruszka-Gora, um welches 
die Donau rund herum einen Bogen beschreibt, so dass man 
die Festung von allen Seiten zu Gesicht bekommt. 

Peterwardein ist wohl die stärkste Festung neben Komorn 
an der Donau, heisst daher auch das ungarische Gibraltar; 
sie ist vorzugsweise in den Türkenkriegen von grosser Bedeu- 
tung gewesen. Das Wohnen in den Kasematten von P. soll 
aber sehr ungesund sein, daher die östreichischen Soldaten 



^ I 



18 

die Festung scherzweise nennen: „Peter scharr ein." P. be- 
sitzt ein mit türkischen Trophäen geschmücktes Zeughaus und 
eine Pfarrkirche mit vielen Heldengräbem. 

Wir fuhren rund um Peterwardein herum und verloren 
es erst spät aus den Augen. P. ist die Gebieterin der Mi- 
litärgrenze. Der Ort ist durch den Sieg des Prinzen Eugen, 
des tapfem Ritters, unvergesslich. Hier schlug der kaiserliche 
Feldherr den Grossvezier Ali am 5. August 1716. 

5. Syrmieii. 

Gleich hinter Peterwardein eröffnet sich auf dem rechten 
Ufer eine amphitheatralisch aufsteigende Landschaft mit der 
Hauptstadt von Syrmien, Karlowitz, Sitz des Patriarchen 
der serbisch-griechischen nichtunirten Kirche der ganzen öst- 
reichischen Monarchie. Man hat also hier auf kleinem Räume 
drei Metropolen der östreichischen Militärgrenze: eine des 
Handels, Neusatz; eine der Militärmacht, Peterwardein; und 
eine des Kultus, Karlowitz. Der Erzbischof von Karlowitz 
ist eins der fünf gänzlich von einander unabhängigen Ober- 
häupter der griechischen Kirche in Europa, er bedeutet im 
Kultus für Oestreich dasselbe, was der Kaiser in Russland 
vorstellt oder der Patriarch von Konstantinopel. Karlowitz 
wimmelt daher von griechischen Geistlichen, deren hier eine 
Anzahl, lauter wohl konditionirte Leute *), aus- und einsteigen. 

Wo die Geistlichkeit ihre Wohnsitze aufgeschlagen hat, 
pflegt der Wein gut zu gedeihen. So ist es auch hier, der 
Karlowitzer Wein gehört zu den besten Südungarns. Der 
Kaiser Probus verpflanzte hierher cyprische Weinstöcke. Aus 
der Karlowitzer Gegend wurden Weinreben nach Tokay ver- 
pflanzt, so dass der berühmte Tokayer Ausbruch seinen Ur- 
sprung verdankt den Reben, die aus Karlowitz dorthin ver- 
pflanzt worden sind. Für den Geschmack der Kenner soll der 
Karlowitzer Ausbruch noch heute den Vorzug verdienen. 

In der Nähe von Karlowitz befinden sich eine Anzahl von 
Dörfern, welche von wohlhabenden Deutschen, die der evan- 

*) Die hier befindliche Auskunft über Karlowitz verdanke ich der 
gütigen Mittheilung meines Reisegefährten, eines höheren serbisch -grie- 
chischen Geistlichen aus Karlowitz. 



19 



gelischen Kirche angehören, bewohnt werden. Diese Dörfer 
liegen inmitten zahlreicher anderer Nationalitäten. 

Das Land Syrmien, dessen Hauptstadt Karlowitz ist, er- 
scheint als ein wahres Paradies. Es erstreckt sich in einer 
Länge von 18 Meilen und in einer Breite von 3 Meilen längs 
der Donau. Schon zu den leiten der Römer waren die Vor- 
züge dieses Landes bekannt. Strabo spricht von der Haupt- 
stadt Sirmium, die jetzt in Ruinen liegt, es war der wichtigste 
Platz in Pannonien; daneben der Lieblingsaufenthalt des Kaisers 
Probus und mehrerer seiner Nachfolger. Von allen den 26 
griechischen Klöstern, die sich in ganz Slavonien befinden, 
liegen 23 in Syrmien in den Thälern und auf den Abhängen 
der Fruszka-Gora, immer an den schönsten und fruchtbarsten 
Plätzen. Die Fruszka-Gora heisst daher das heilige Gebirge 
und geniesst eines weiten Rufes in ganz Ungarn und den an- 
grenzenden Provinzen. Diese Klöster sind sämmtlich reich, 
und von weither wallfahrten die gläubigen griechischen Christen 
zu ihnen und bringen Geschenke. 

Die Weinlese hatte seit zwei Tagen (13. September) in 
der Umgegend von Karlowitz begonnen, es herrschte daher 
eine rege Geschäftigkeit in den Weinbergen, wo fast die ganze 
Bevölkerung den reichen Segen dieses herrlichen Weinjahres 
einsammelte. 

Das Ländchen Syrmien besitzt noch eine andere Merk- 
würdigkeit, die auch in weiteren Kreisen bekannt ist. Es ist 
eins der hauptsächlichen Schweinemagazine, aus denen der 
Grossschweinhandel in Ungarn seine Waare bezieht. Die 
Schweineausfuhr von Syrmien ist bedeutend. Es ist eine Race 
mit kurzen Beinen und krauswolligen Haaren. Diese Sorte 
Schweine ist in Berlin wohl bekannt und auf dem dortigen 
Schweinemarkt gesucht, sie heissen dort Bachonen (Bakonier), 
auch die Posener Fleischer wissen von dieser Schweinesorte 
zu erzählen. Sie sollen die Strapazen gut vertragen und weit 
marschiren können, dabei soll ihr Speck angenehm sein in 
Folge der Mästung mit türkischem Weizen (Kukurutz). Haupt- 
sächlich werdeu diese Schweine aber wohl in den herrlichen 
Eichenwäldern von Syrmien gemästet. 

2* 



20 



6. Mündung der Theiss. 

Am Mittwoch (15. September) Mittag erreichten wir die 
Mündung der Theiss. Ich hatte den Steuermann lange vorher 
darum gebeten, mich auf die Einmündung der Theiss auf- 
merksam zu machen; sonst wäre mir dieselbe entgangen, so 
klein und unscheinbar kam sie mir bei dem niedrigen Wasser- 
stande vor. Ich hatte wenigstens eine grössere Ortschaft dort 
vermuthet. Allein weit und breit war von einer menschlichen 
Ansiedelung keine Spur. Es sind wohl die ungeheuren Sümpfe, 
worin die Theiss ihr Haupt versteckt, an dieser Einöde schuld. 
Nur aus weiter Feme war der hohe Thurm der Stadt Titel 
an der Theiss wahrzunehmen, wohin von unserem grossen 
Dampfschiffe Passagiere auf einem Theiss-Lokalboote, welches 
uns schon erwartete, ausgeschifft und von dort her einge- 
nommen wurden. Titel ist die Hauptstadt des gleichnamigen 
Regimentsbezirkes. Die Theiss nimmt acht Meilen oberhalb 
ihrer Mündung, ehe sie sich in die nach Osten fliessende 
Donau ergiesst, einen südöstlichen Lauf und bildet bei ihrer 
Mündung mit der Donau einen spitzen Winkel. Das Ende 
dieses Winkels, gegen 16 Quadratmeilen sumpfigen Landes, 
wird von den sogenannten Tschaikisten bevölkert, welche die 
Besatzung der östreichischen Kriegsflotte auf der Donau bilden. 
Sie haben aus ihrer Mannschaft ein Bataillon für die Flotte 
eingeübter Leute zu stellen, und sind mit der Beschiffungs- 
weise auf der Donau vertraut, wo ihnen ein regelmässiger 
PatrouiUendienst anvertraut ist. Sie haben kleine Schiffe, 
Kanonierboote, mit einem lateinischen Segel und Ruderbänken 
versehen. Diese Schiffe heissen Tschaiken, woher der Name 
der Landschaft. Die Tschaikisten müssen sich auch auf den 
Brückenbau und das ganze Pontonnierwesen verstehen, be- 
sonders das Ueberschiffen der Truppen von einem Ufer zum 
andern leiten; sie nehmen in der östreichischen Wehrver- 
fassung noch eine besondere Stellung ein, obgleich sie ur- 
sprünglich wohl blos gegen die Türkei bestimmt waren. 

Sollen wir nun schliesslich die Frage beantworten, welches 
der schönste Punkt auf dieser hier zuletzt beschriebenen Donau- 
tour gewesen ist und auf uns den angenehmsten Eindruck ge- 
macht hat, so antworten wir, ohne einen Augenblick zu zaudern, 



' 21 

„Karlowitz." Natur und menschlicher Fleiss, vorzugsweise aber 
deutscher Anbau, haben sich dort vereinigt, diese Gegend in 
ein Paradies umzuschaffen. Jeder Fussbreit Erde ist dort 
nutzbar gemacht worden zur Hervorbringung der herrlichsten 
Erzeugnisse. In Karlowitz verabschieden wir uns gewisser- 
maassen von der höheren europäischen Gesittung. 

7. Semlin- Belgrad. 

Von der Mündung der Theiss bis nach Semlin sind die 
Ufer der Donau flach, die Donau verzweigt sich und bildet 
viele Inseln, die Landschaft erscheint öde. Erst kurz vor 
Semlin, wo die Donau eine Biegung macht, wird die Gegend 
interessanter. Wir befinden uns am Einflüsse der Save in 
die Donau. Auf dem linken Ufer der Save liegt Semlin, auf 
dem rechten, gerade gegenüber, die alte berühmte Festung 
Belgrad, in Terrassen einen ziemlich hohen Berg aufsteigend. 

Zunächst fallen uns in Semlin die schwimmende Werk- 
statt der D. D. -Gesellschaft auf, und eine Anzahl hier vor 
Anker liegender Dampfschiffe, z. B. die „Maria Anna", „Marie 
Nr. 105", „Hermine" u. s. w. 

Semlin ist die letzte Stadt und Festung in Slavonien, 
überhaupt in Ungarn; Belgrad die erste und zugleich die 
Hauptstadt von Serbien. Hier ist die Gegend, an welche Göthe 
dachte, wenn er sprach: „Wenn hinten, fern in der Türkei, 
die Völker auf einander schlagen." Hier ist das mittlere 
Hauptthor der Donau. Von hier aus ergossen sich die un- 
gestümen Schaaren der Janitscharen und der asiatischen Ein- 
dringlinge über die ungarischen Viehtriften und verbreiteten 
Schrecken und Tod. Der türkische Name von Belgrad be- 
deutet: „Das Haus des heiligen Krieges." Von hier aus drang 
die Pest in das ziviHsirte Europa, auch die geistige Pest, — 
die Türkenherrschaft! Von hier aus bis Mohacs liegen zahl- 
reiche mit Blut getränkte Schlachtfelder, wo Türken und Un- 
garn sich mit einander maassen und sich gegenseitig erwürgten. 
Von Semlin aus hat der edle Ritter, Prinz Eugen, Belgrad 
erobert. 

„Der da wollt' dem Kaiser wiederum kriegen Stadt und Festung Belgarad!" 
„Bei Semlin liess er schlagen einen Brücken, 
„Dass man kunnt' hinüberrucken 
„Mit der Armee wohl vor die Stadt." 



22 - 

Die Türkenkämpfe haben früher die deutsche Phantasie 
stark beschäftigt und haben noch heute für die Jugend einen 
eigenthümlichen Reiz. 

Semlin liegt in der Ebene, ist daher als Festung weniger 
bedeutend als Belgrad, das auf stolzem Felsen thront und die 
ganze Gegend beherrscht; Belgrad ist die wichtigste militä- 
rische Position in diesem Theile von Europa, es beherrscht 
das Viergespann der vier Flüsse: Donau, Save, Drave und 
Theiss. Seit fünf Jahren sind die Türken überhaupt aus 
Serbien gewichen, seit drei Jahren haben sie das Recht der 
Besatzung der Festung Belgrad aufgegeben, sie sind stark im 
Rückzuge aus Europa begriffen. Das Türkenviertel von Belgrad 
ist verlassen, von der Spitze der früheren Moscheen ist der 
Halbmond entfernt worden, aus den Luken der zahlreichen 
schlanken weissen Minarets, welche den türkischen Städten 
ein so eigenthümliches Gepräge verleihen, ertönt nicht mehr 
der Ruf der Muezzins, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen. 
Belgrad war der nördlichste Punkt, wo die Türken auf eigenem 
Grund und Boden ihren Propheten anriefen, jetzt ist Belgrad 
eine ganz christliche Stadt. Hoch oben auf dem Berge sieht 
man ein grosses gelbes Haus, in dem der Pascha früher seine 
Residenz hatte. 

In Semlin kamen die ersten Türken auf unser Schiff, 
auch eine türkische Frau mit ihrem Manne, einem türkischen 
Major. Die Passagiere betrachteten neugierig die verschleierte 
Frau, nur die Augen und die Nasenspitze waren sichtbar, der 
untere Theil des Gesichts mit einem feinen weissen Tuch ver- 
bunden, ebenso die Stirn. Bei näherer Bekanntschaft wurden 
wir gewahr, dass sie stark geschminkt war, wie fast alle tür- 
kischen Damen, die uns später zu Gesicht kamen. Das tür- 
kische Ehepaar mit einem vierjährigen Sohne war aus Belgrad 
gekommen, wo sie frühere Besitzangelegenheiten geordnet hatten; 
sie fuhren mehrere Tage bis Rustschuk mit uns, der Ehemann 
war zärtlich um seine Gattin besorgt. Weniger Sympathien 
bewiesen die europäischen Damen für sie, die mit ihr zu- 
sammen den Damen-Salon bewohnten ; die Unglückliche schien 
schwindsüchtig zu sein und, obgleich ganz jung, doch ihrer 
baldigen Auflösung entgegen zu gehen. Es ist dies ein Ge- 
schick vieler türkischen Damen, wie überhaupt der ganze 



23 



Islam auf dem Aussterbe-Etat steht. Der kleine Türke war 
sehr ungezogen , seine Eltern mussten ihm oft den Mund 
stopfen mit Näschereien und Früchten; mit besonderer Vor- 
liebe verzehrte er rohe Gurken. 

Die wenigen Passagiere, welche aus Belgrad auf unser 
Schiff von dem dortigen Lokalboote, welches die Verbindung 
zwischen beiden Ufern der Save beständig unterhält, hinüber- 
kamen, konnten nicht genug von den Vexationen erzählen, 
denen die Fremden dort ausgesetzt sind. Die Ermordung des 
Fürsten hatte ausserordentliche Vorsichtsmaassregeln hervorge- 
rufen, Belgrad war gewissermaassen im Belagerungszustand. 
Auch unser Dampfschiff legte dort nicht an wie sonst, um 
Weitläuftigkeiten zu vermeiden. Es waren damals die öffent- 
lichen Zustände noch sehr unsicher. Wir fuhren im Halb- 
kreise um Stadt und Festung Belgrad herum, dicht an dem 
sandigen Vorsprunge des Donauufers, wo vor einigen Wochen 
die 14 vermeintlichen Mitschuldigen des Fürstenmordes mit 
Pulver und Blei begnadigt worden waren; es war eine abge- 
legene Gegend, eine halbe Stunde vom Mittelpunkte der Stadt, 
Donau abwärts, wo diese Unglücklichen den auf ihnen ruhen- 
den Verdacht mit dem Tode büssten. 

Indessen wussten die Passagiere, die von Belgrad kamen, 
mir eine andere Merkwürdigkeit zu erzählen, die mich ganz 
besonders interessirte und mich lebhaft an Posen und die 
Liberalität unseres Stadtraths Berger erinnerte. Das schönste 
Gebäude in Belg|-ad, erzählten sie mir, sei das dortige Gym- 
nasium. Dasselbe hat ein Privatmann, dessen Namen wir 
vollständig hersetzen, er heisst Kapitän Micha Anastasievich, 
denn der Name eines solchen Ehrenmannes muss zu allen 
Zeiten bei allen Völkern immer wieder genannt werden, ganz 
auf eigene Kosten bauen lassen und seinem Vaterlande zum 
Zwecke einer serbischen Gelehrtenschule geschenkt. Ich zeigte 
dem Erzähler dieser Thatsache die Photographie unseres 
Realschulgebäudes, welche ich immer bei mir zu führen 
pflege, und horte die Aeusserung, dass unser Kealschulge- 
bäude doch wohl noch schöner sein müsse, als das Belgrader 
Gymnasium, 



24 



8. Die banatisch-serMsche Militärgrenze. 

Von Belgrad aus haben wir zur Rechten das bergige 
serbische Ufer, zur Linken das flache Ufer des Banats (die 
banatisch- serbische Militärgrenze). Unsere Aufmerksamkeit 
wird von jetzt an beschäftigt durch die auf dem linken Ufer 
befindlichen Grenzwachthäuser, die in ununterbrochener Folge 
bis jenseits Galatz, d. h. in einer Länge von mehr als hun- 
dert Meilen, uns begleiten. Ein solches Wachthaus heisst 
Csartake (Tschartake), es kommt daher wohl auch der Name 
Tscharteke, um ein baufälliges elendes Gebäude zu bezeich- 
nen, obgleich diese Wachthäuser auf östreichischem Gebiete 
sich zuweilen ganz stattlich ausnehmen, während sie in Ru- 
mänien (Walachei und Moldau) die Nebenbedeutung von 
Tscharteke rechtfertigen. Diese Grenzwachthäuser sind gegen 
die Türken gerichtet, gegenwärtig im östreichischen Banat 
gegen die Serben. Zunächst soll diese Grenzbewachung den 
Schmuggelhandel verhindern, dann ist es eine polizeiliche 
Maassregel gegen Diebe und Räuber, diente früher auch wohl 
gegen die Einschleppung der Pest, Es giebt grosse und kleine 
Grenzwachthäuser, die grösseren dienen als Mittelpunkt einer 
Wachtabtheilung, die kleineren für die einzelnen Posten. In 
Oestreich hat man angefangen, die grösseren Wachthäuser 
massiv aufzubauen, doch giebt es auch noch deren, nament- 
lich die kleineren, die aus Holz gebaut sind (einsame Block- 
häuser) und der Ueberschwemmung wegen auf einem Unterbau 
von Holz ruhen, mit Treppen von aussen. Auch die kleineren 
Schilderhäuser stehen gewöhnlich auf Pfeilern, damit der Po- 
sten sich vor dem Wasser retten könne. In der Regel stehen 
die Posten nur so weit auseinander, dass sie sich bei Tage 
sehen und bei Nacht zurufen können. Die grösseren Wacht- 
häuser in Oestreich haben als Besatzung einen Lieutenant, 
einen Feldwebel, 2 Korporale und 16 Gemeine; man gewahrt 
in ihrer Nähe immer 3 Boote, wovon das eine zum Revidiren, 
das andere zum Eskortiren, das dritte zum Privatgebrauch 
bestimmt ist. Die grösseren Wachthäuser haben einen äusse- 
ren überdachten Umgang; in den vier Wänden der Schilder- 
häuser befinden sich halbrunde Löcher, um nach allen Him- 
melsgegenden auszuschauen. Wenn das Land weit und breit 



25 

überschwemmt ist, mag ein solcher Posten in einem engen 
Häuschen, rund vom Wasser umgeben, ziemlich unbehaglich 
und langweilig sein. 

In der Militärgrenze sind alle Männer vom 20. Jahre an 
wehrpflichtig. Die besondere Wehrpflicht der Grenzer besteht 
in der Bewachung und Vertheidigung der Reichsgrenze, in der 
Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Innern, und in 
der Pflicht, auch ausser Landes ins Feld zu rücken. Der 
Grenzsoldat erhält vom Staate vollständige Bekleidung, Be- 
waffnung und Munition ; den Sold jedoch nur im Felddienste. 
Für die Grenzbewachung ist der Grenzer in der Regel eine 
Woche im Dienste und zwei Wochen bei seiner Wirthschaft. 
Im Falle der Noth bilden die Grenzer ein Kriegsheer von 
100,000 Mann guter Truppen. Sie sind ein tapferer Men- 
schenschlag und pflegen in ihrem Gebet Gott zu bitten, „dass 
sie Gott im Kriege und mit bewehrter Hand, ihre Feinde aber 
auf dem Bette wolle sterben lassen!" Sie haben sich immer 
durch Treue gegen ihren Landesherrn ausgezeichnet. So weit 
wir später die Grenzer kennen lernten, sind sie aufge- 
weckte, gebildete Leute. Obgleich ein slavischer Dialekt ihre 
Muttersprache ist, thun sie sich doch etwas darauf zu Gute, 
Deutsch zu verstehen und zu sprechen. 

9. Serbien. 

Nachdem wir einige Stunden Belgrad passirt hatten, ge- 
wahrten wir am serbischen Ufer die Festung Semendria. Die 
Weinberge, der türkische Begräbnissplatz mit seinen Cypressen, 
die im Grünen gelegene, von Baumwuchs umgebene Stadt (wie 
alle türkischen Ortschaften), die Kuppeln der griechischen 
Kirche gewähren einen anmuthigen Anblick. Von grossem 
Interesse ist aber die in Form eines Dreiecks gebaute, von 
14 Thürmen umgebene Festung. Uns fielen die ausgezackten 
Zinnen der im griechischen Style gebauten Mauern und Thürme 
auf, welche noch vollständig konservirt sind. 

Zu unserm Leidwesen landete das Dampfschifl* nicht in 
Semendria, wie überhaupt nicht am serbischen Ufer. Die 
misstrauische serbische Regierung hat sich dies verbeten und 
stellt die Verbindung zwischen ihren an der Donau gelegenen 



26 

Ortschaften und dem Auslande durch eigene Dampfboote her, 
welche unter specieller polizeilicher Kontrole stehen. Es ist 
dies für die Touristen sehr zu bedauern, weil das östreichi- 
sche Ufer flach und eben, das serbische gebirgig, romantisch 
und idyllisch ist. Am serbischen Ufer sieht man Vieh auf 
die Weide treiben, die Ochsen werden in der Donau getränkt, 
in den Dörfern schlagen die Mädchen die Wäsche, auf Booten 
gewahrt man serbische Schiffsknechte in malerischen Trach- 
ten u. s. w. 

Das von den Türken gereinigte und dem Christenthume 
ganz zurückgegebene Serbien hat eine grosse Zukunft, gegen- 
wärtig sind aber die dortigen Zustände noch in der Gährung 
begriffen. 

Hinter Semendria gewahrten wir die Einmündung der 
Morava, welche tief aus der Türkei kommt und ganz Serbien 
in der Mitte durchströmt. Die Donau theilt sich hier wieder 
in mehrere Arme und zeigt schön bewaldete Inseln, z. B. die 
Ostrova- Insel; dieselbe ist sechs Meilen lang, mit vielen 
Csartaken versehen ; man gewahrt den Pestkirchhof mit seinen 
Baumgruppen. Auf dem serbischen Ufer sieht man Pferde 
zu Hunderten, Rindvieh zu Tausenden weiden. Wir erblick- 
ten das serbische Dorf Rama mit seinen Ruinen aus der 
Römer Zeit. 

10. Basias. 

Gegend Abend (Donnerstag, den 16. September) passirten 
wir Basias im Banate, wo wir anlegten, um die mit der 
Eisenbahn aus Ungarn angekommenen Passagiere aufzunehmen. 
Basias ist nämlich der Endpunkt der ungarischen Eisenbahnen 
und wird als solcher wohl noch zu grosser Bedeutung gelan- 
gen, da mit der Eisenbahn von Pest nach Basias die Dauer 
einer Reise nach dem Orient bedeutend abgekürzt wird. Man 
reist nämlich von Wien bis Basias mit besonderen Kurier- 
zügen, die sich an die Eilboote nach dem Oriente anschlies- 
sen, in 18 Stunden, während man auf der Donau drei Tage ge- 
braucht, um diese Strecke zurückzulegen. Basias war früher 
ein kleines ärmliches Dorf. Nachdem es Endpunkt der Eisen- 
bahn- und Anfangspunkt der Eil-Dampfschifffahrten auf der 



27 



Donau geworden ist, sieht es einer grossen Zukunft entgegen, 
die sich schon dokumentirt durch viele Neubauten, neue 
Hotels und neue Kaffeehäuser u. s. w., während bis vor Kur- 
zem kaum ein ärmliches Unterkommen dort zu finden war. 
Da wir auf unserer Rückreise das Dampfboot in Basias ver- 
liessen, um per Eisenbahn nach Posen zurückzukehren, haben 
wir den Weg, welcher uns jetzt zu beschreiben übrig bleibt, 
doppelt zurückgelegt, sind also um so besser informirt. 

11, Moldova. 

Bald bei einbrechender Dunkelheit ging unser Dampf- 
schiff bei dem Dorfe Moldova vor Anker, es hatte das Ende 
seiner Fahrt erreicht. Am nächsten Morgen sollten wir auf 
ein kleines Dampfschiff übersiedeln, um die Donaukatarakten 
zu befahren. Da die Schifffahrt dort gefährlich wird, mussten 
wir bei Moldova übernachten. Es war noch zeitig am Abend, 
ich entschloss mich daher, mit einigen Begleitern einen Streif- 
zug in das grosse Dorf zu unternehmen, um nähere Bekannt- 
schaft mit den braven Grenzern zu machen. 

Man geleitete uns in ein Wirthshaus, wo wir die Hono- 
ratioren versammelt fanden, namentlich auch den Ortsgeist- 
lichen, der im traulichen Gespräche mit seinen Pfarrkindern 
bei einem Seidel Wein begriffen war, wovon wir freilich nichts 
verstanden, da die Unterhaltung in einer slavischen Mundart 
geführt wurde. Nachdem wir uns vom besten Wein, 16 Kreu- 
zer (etwas über 3 Sgr.) die Flasche, hatten geben lassen, ver- 
suchten wir es, den Herrn Pfarrer um Auskunft über die 
Verhältnisse seiner Gemeinde zu befragen. Er war der deut- 
schen Sprache mächtig und ging bereitwillig auf unser An- 
sinnen ein. Er erzählte uns, dass er der griechischen nicht 
unirten Kirche angehöre, wie alle Bewohner der Umgegend. 
In Karlowitz wohne ihr geistliches Oberhaupt. Der Nationa- 
lität nach sei die hiesige Bevölkerung serbo- illyrisch. „Wir 
wollen keine Oestreicher sein, wir sind Ungarn", sprach der 
erglühende Patriot mit lebhafter Begeisterung. 

Wir musterten die Nebenzimmer der Wirthschaftsstube und 
sahen Schuss- und Hiebwaffen aufgehängt. Die Grenzer sind 
ein wirkliches Volk in Waffen. 



28 



Das Dorf Moldova hat 250 saubere Häuser, davon manche 
massiv, eine schön gebaute Kirche, 1600 Einwohner. Seine 
Bewohner beschäftigen sich mit Acker-, Weinbau und Vieh- 
zucht, treiben auch Gewerbe, z. B. giebt es dort, wie man uns 
mittheilte , einen ßegentropfenableitungswerkzeugsbeflissenen, 
was wir uns in ßegenschirmfabrikanten übersetzten. 

13. Beisegesellschaft. 

Da wir in eine neue Phase unserer Reise übergehen, wol- 
len wir vorerst noch unsere bisherige Reisegesellschaft, d. h. 
die noch in Moldova auf dem Dampfschiff zurückgeblieben 
war, mustern. Wir hatten eben Zeit dazu, da unser Schiff 
stillstand, und wir am langen Abeiid nichts Besseres zu thun 
wussten. Unter den Passagieren waren nur noch wenige 
Deutsche zurückgeblieben. Es waren einige französische Tou- 
risten anwesend, die nach dem Orient zielten; die Frau eines 
walachischen Bojaren, eine geborene Engländerin, die mit 
ihrer englischen Gesellschafterin zu ihrem Gatten von Karls- 
bad zurückkehrte ; drei junge walachische Architekten, die von 
ihren Studien aus Deutschland zurückkehrten, um bei den 
Eisenbahnbauten in ihrem Vaterlande Beschäftigung zu finden ; 
gleiche Absicht hatte ein englischer Baumeister, der mit seiner 
Frau nach Bukarest reiste; Serben und Griechen (Kaufleute); 
eine italienische Familie, bestehend aus einem reichen Kauf- 
mann A. M. Crosti aus Mailand, mit Frau, Bruder, Neffe; 
ein italienischer Impresario mit zwei italienischen Sängerinnen 
aus Turin, die für die ganze Wintersaison in Braila im Vik- 
toriahotel engagirt waren ; eine böhmische Musikgesellschaft, die 
aus fünf Männern und vier Mädchen bestand, die nach Konstan- 
tinopel für ein Cafe chantant bestimmt war; eine Anzahl un- 
glücklicher böhmischer Auswanderer nach Südrussland über 
Odessa, geführt von einem Entrepreneur (Seelenverkäufer); 
einige Türken, die sich die späte Abendstunde mit Hazard- 
kartenspiel vertrieben, wofür die Türken überhaupt eine grosse 
Vorliebe besitzen. 

Es war ein wahres Pandämonium. Von dieser Gesellschaft 
gehörten nur wenige, z. B. der Mailändische Kaufmann mit 
Familie, dem ersten Platz an, die übrige Gesellschaft hatte ein 



29 



klägliches Unterkommen auf dem zweiten Platze , wo sie auf 
der Erde und auf Tischen schliefen; die böhmischen Auswan- 
derer dagegen befanden sich auf dem dritten Platz, mussten 
die Nacht auf dem Verdecke unter Gottes freiem Himmel zu- 
bringen, wurden dabei von ihrem Entrepreneur schlecht er- 
nährt mit gekochten Erbsen, Brot und Wasser. Als ich mich 
mit dem Kapitän über seine Passagierladung unterhielt, theilte 
mir derselbe mit, dass die Reisegesellschaft auf dem ersten 
Platze in der Walachei eine wesentlich veränderte Physio- 
gnomie annehmen würde; da geht es lebhaft und fidel zu, in 
einer Stunde sind Alle mit einander bekannt, ein Herz und 
eine Seele. Wir Deutsche sind zu langweilig, sagte der Ka- 
pitän, die Rumänen dagegen leichtsinniger und erregbarer^ 
schliessen sich leichter an, benutzen mehr die Gunst des Au- 
genblicks, sind muntere Gesellschafter. Die Voraussagungen 
des Kapitäns wurden gerechtfertigt. Schon am folgenden Tage, 
als in Orsova unsere Reisegesellschaft sich durch mehrere 
rumänische Familien vermehrte, die aus dem Bade Mehadia, 
dem Baden-Baden des Ostens, heimkehrten, stieg die Tem- 
peratur der Konversation auf dem ersten Platze bald über 
den Gefrierpunkt. 

13. Die Donaukatarakten und das eiserne Thor. 

Bei Moldova hört die Donau (Danubius) der Alten auf, 
und der Fluss führt bei ihnen fortan den Namen Ister. Ei- 
gentlich müsste man sagen, was wir Donau nennen, besteht 
aus zwei Flüssen, deren einer von der Quelle bis Moldova geht; 
dann kommt eine Unterbrechung der Schiflffahrt von 17 Mei- 
len bis zur rumänischen Grenze ; darauf die zweite Hälfte der 
Donau, welche bis zu ihrer Mündung ins Schwarze Meer der 
Schifffahrt kein Hinderniss mehr in den Weg legt und ruhig 
zwischen flachen Ufern dahinfliesst, sich vielfach spaltend und 
wieder vereinigend. Der Zwischenraum zwischen diesen bei- 
den gesonderten Theilen der Donau heisst die Klissura (obere 
und untere). Es giebt hier ein „hüben" und „drüben". Die 
Anwohner der Donau diesseits Moldova können in Beziehung 
auf die Rumänen und Bulgaren sagen: „Zwischen uns und euch 
ist eine grosse Kluft befestigt, dass die da wollten von hinnen 



30 



hinabfahren zu euch, können nicht; und auch nicht von dan- 
nen zu uns herüberfahren." 

Die Donau besteht aus zwei so gesonderten Flüssen, dass 
z. B. mit Segelschiffen jeder Verkehr zwischen beiden eine 
Unmöglichkeit ist. Man nennt daher die Passage oder viel- 
mehr den engeren Theil derselben das „Eiserne Thor", um 
die Absperrung zu bezeichnen. 

Diesem üebelstande, der Südost-Europa in zwei geson- 
derte Theile trennt, wäre nur durch grossartige Felsen sprengungen, 
die einen ausserordentlichen Kostenaufwand erfordern würden, 
abzuhelfen: freilich wären aber die Vortheile für Handels- 
und Völkerverkehr unberechenbar. 

Um von diesseits nach jenseits der beiden Donauhälften 
zu gelangen, hatten die Eömer auf dem rechten Ufer eine 
Strasse gebaut, deren Spuren noch an vielen Stellen wahrge- 
nommen werden. Der Kaiser Trajan soll diese Strasse gebaut 
haben, die damals wohl vorzugsweise als „Treppelweg** für 
diß Schiffe gedient hat, welche nach aufwärts gezogen wurden. 
Man sieht daher stellenweise Reihen von grossen viereckigen 
Löchern in den Fels eingehauen, die eine brückenartige Er- 
weiterung des Weges, eine Gallerie nach aussen trugen. In 
dem Munde des Volkes heisst diese Landstrasse der „Trajans- 
Weg". Ihre Herstellung mag schwierig gewesen sein. Das 
Pulver war damals noch nicht erfunden, um Felsen zu spren- 
gen , und die Felsen mit dem Meissel zu bearbeiten , muss 
viele Mühe gekostet haben. 

Auf dem linken Ufer ist nun auf Veranlassung des un- 
garischen Grafen Szechenyi von Moldova nach Turn-Severin 
eine Landstrasse unmittelbar am Donauufer gebaut worden, 
welche dem Verkehr wesentliche Dienste leistet. Oder, wie 
sich die Leute ausdrücken: „Den rechten also hat der Tra- 
jan g'moacht, und den linken Weg der Szechenyi g'moacht." In 
der That hat Graf Szechenyi nur die Arbeit ins Werk gesetzt , 
welche von der D. D. -Gesellschaft ausgeführt worden ist. 
Das Volk hält ihn jedoch als die Seele des Unternehmens für 
den eigentlichen Erbauer, und redet von „Szechenyi's Weg". 

Als wir von Moldova am Morgen abgefahren waren, wur- 
den wir bald durch einen Nebel zum Stillstande gebracht. Es 
war am hellen Tage bis gegen 11 Uhr kaum möglich, die 



31 

Hand vor Augen zu sehen, so dick war die Finstemiss. Nebel ist 
auch auf der See das Haupthinderniss der SchifFfahrt und wird 
mehr als Sturm gefürchtet. Auf dieser gefährlichen Strecke, 
wo der breite Strom durch die felsigen Ufer zusammenge- 
zwängt und durch emporstrebende Felsenspitzen gefährlich wird, 
gebietet die Vorsicht bei Nebel Stillstand. Unsere Franzosen 
waren jämmerlich entmuthigt, als man ihnen sagte, dass die 
Jahreszeit der Nebel gekommen sei, sie wollten sich ausschif- 
fen lassen und nach Moldova zu Fuss zurückkehren, ihre Reise 
in den Orient aufgeben. 

Als der Nebel sich zertheilte, entfaltete sich die pracht- 
vollste Gebirgslandschaft vor unseren Augen. Am serbischen 
Ufer ruhte der Blick auf einer alten römischen Bergfestung 
Kolumbacz (Taubenschloss) mit wohl erhaltenen Thürmen, von 
der Spitze einer Anhöhe am Abhänge derselben sich ausbrei- 
tend. Diese Ansicht ist ebenbürtig der romantischsten Rhein- 
partie. In der Mitte des Stromes entsteigt demselben ein 
Felsen Babakay (vulgo, Papagey). Die Sage knüpft an diesen 
Felsen die Geschichte von dem Fluche eines Vaters, auf dessen 
Geheiss zwei Liebende dort ausgesetzt wurden und ihren Tod 
fanden. Babakay soll aber auch „das böse Weib" bedeuten. 
Es ist ein über 100 Fuss hervorragender Felsen, zerhackt, zer- 
klüftet, mit spitzen Zacken. Wie konnte sich auch der schmucke 
Donaustrom mit diesem garstigen alten Weibe vermählen, das, 
wenn er ihm seine Kinder, die* Schiffe, an die Brust legt, sie 
zerschellt. Die Vermählung bekommt ihm aber schlecht, denn 
von nun an ist es mit seiner Ruhe für einige Zeit vorbei. 
Hinter dem Babakay tritt man ein in das Gebiet der Wirbel 
und Brandungen, wovon selbst die Luft nicht unberührt bleibt, 
denn es herrscht an einigen Stellen ein unaufhörlicher starker 
Zugwind. Felsen, welche sich am Ufer bis zur Höhe von 1800 
Fuss erheben, begrenzen den Strom; sie werden von Schluch- 
ten und wilden Thälern durchschnitten, sind öfter zu Vorge- 
birgen geformt und fallen meistens jäh zum Wasser herab. 
Die Höhen sind unbewohnt und unbebaut. Hier und da ge- 
wahrt man Löcher in den Felsen über der Oberfläche des 
Wassers, kleine Höhlen, in welche das Wasser hineinspült, 
wo wir oft Fischerboote beschäftigt sahen, den Hausen zu 
fangen. 



32 



Auf Felsen, die aus dem Flusse sich erheben, sind 
oft Wamungssignale angebracht , um anzudeuten , dass die 
Schiflffahrt an dieser Stelle gefährlich sei. 

Bis Drenkova ist durch Felsensprengungen manches Hin- 
derniss schon aus dem Wege geräumt worden. Dort mussten 
wir aber auf einen vierrädrigen kleinen Dampfer übersiedeln, 
der die Passagiere des Kurierzuges von Konstantinopel, welche 
jenen Ort vor zwei Tagen verlassen hatten, bis hierher geführt 
hatte. Sie stiegen jetzt über auf das von uns von Moldova 
aus benutzte Schiff. Es war darunter der Sohn Ismail des 
Vicekönigs von Egypten, einstiger Thronerbe, welcher mit Be- 
gleitung nach Paris zu seiner weiteren Ausbildung geschickt 
wurde. — Wir waren jetzt dem eigentlichen Orient um so 
viel näher gekommen. 

Bei der wundervollen Witterung und dem uns bevorstehen- 
den Naturgenusse Hessen wir unsern Tisch zum Mittagsmahle 
auf dem Verdecke herrichten, um mit der Mailändischen Kauf- 
mannsfamilie fortan gemeinschaftliche Sache zu machen. Be- 
sagte Familie war grossmüthig genug, aus landsmännischen 
Rücksichten dem heruntergekommenen Turiner Impresario mit 
seinen Sängerinnen ein reichliches Mittagsessen nach dem Style 
des ersten Platzes zu spendiren, welche Liberalität freudig und 
dankbar acceptirt wurde. 

Jetzt wurde die Landschaft schauerlich. Wir waren zu 
den gefährlichen Katarakten gelangt. Der Donaustrom 
wird hier von den Felsenspitzen eines breiten Riffs durchsetzt, 
welches die Donau durchschneidet, und über welches sich der 
Fluss wie über eine Marterbank hoch aufschäumend und wild 
strudelnd dahinwälzt. Das Schiff muss mit ganzer Dampf- 
kraft fahren, um nicht Gefahr zu laufen, von den vielfachen 
Wasserwirbeln fortgerissen und an den Felsen zerschellt zu 
werden. Das Auge gewahrt nur einen Theil des Wirrwarrs 
auf der Oberfläche, die Seele ahnt aber, was in der Tiefe vor- 
geht, wo die zahlreichen widerstrebenden Ströme und Wasser- 
stürze sich einander bekämpfen. Die Walachen nennen 
Bulbuku (Aufbrodelungen) die mächtigen Anschwellungen des 
Wassers, welche aus der Tiefe aufsteigen, dann einen Augen- 
blick wie breite Halbkugeln erscheinen und sich in weiten 
konzentrischen Kreisen vertheilen. 



33 



Islaz, Tachtalia und Jutz (Schnelle) sind die walachischen 
Namen für die drei gefährlichen Stellen, wo das Flussbett am 
engsten und die Strömung am ungestümsten ist; es sind eigent- 
lich die Namen von Felsen, welche hier die Donau durch- 
brechen. Das Wasser tobt hier in einem wahren Tumulte. 
Die Donau ist hier so enge, dass man ihre Breite auf kaum 
500 Fuss schätzt, während dieselbe bei Pest das Sechsfache 
betragen soll. Der Fluss ist unwillig über die ihm angelegte 
Zwangsjacke, schlägt riesige Wellen, sprudelt und tobt in schäu" 
mender Brandung gegen die felsigen Ufer. Der Dampfer glei- 
tet pfeilschnell über die gefahrvollen Stellen hinweg. Die Ufer 
sind unwirthlich und unbewohnt, nur Adler horsten auf den 
hohen einsamen Felsenspitzen und beschäftigen die Aufmerk- 
samkeit des Reisenden, während die Natur in eine geheimniss- 
volle Stille versenkt ist. Man glaubt sich in eine amerika- 
nische Urlandschaft versetzt, die von der Kultur noch nicht 
in Angriff genommen und beleckt worden ist. Solche Er- 
innerungen soll diese Gegend auch in weitgereisten Ent- 
deckern ferner Welttheile aufgefrischt haben. Sicher ist, dass 
kein europäischer grosser, von Dampfschiffen befahrener Strom 
ähnliche wilde und pittoreske landschaftliche Schönheiten 
bietet, keiner darin mit der Klissura den Vergleich aushält, 
alle sich dagegen zahm und idyllisch ausnehmen. 

Die jetzt beschriebenen heissen die oberen Donaukatarak- 
ten und bilden das kleine eiserne Thor. Mit einem Male er- 
weitert sich wieder der Strom, einen wahren See bildend. Nichts 
desto weniger schäumt der See und Alles deutet darauf hin, 
dass hier in der Vorzeit eine gewaltige Erschütterung der Berge 
und Felsen stattgefunden haben muss, als sich die Wassermasse 
gewaltsam Bahn brach. Es heisst diese Passage der „Gr eben". 

Die eigentliche Menge des aus der oberen Klissura her- 
vorschiessenden Wassers zu bestimmen, ist unmöglich; die 
Tiefe des Stromes über diesem ungleichen felsigen Grunde ist 
sehr verschieden ; an einigen Stellen beträgt sie, nach Aussage 
der Schiffer, Hunderte von Füssen, an andern stösst das flach 
gehende Schiff in der Tiefe von kaum zwei Fuss auf die empor- 
strebenden Felsen, und versetzt so die Passagiere in Angst 
und Schrecken. So ganz unbegründet ist die Angst nicht, 
denn Unglücksfälle sind hier genug vorgekommen. Noch im 

3 



34 

Sommer 1839 fand hier eine ganze Reisegesellschaft auf einem 
grösseren Ruderschiffe einen ruhmlosen Tod und ein kühles 
ruheloses Grab, darunter Fremde aus allen Weltgegenden, Han- 
delsreisende aus Kleinasien und ein amerikanischer Tourist. 

Nach den wissenschaftlichen Hypothesen hat wirklich die 
Donau früher aus zwei hier ganz gesonderten Hälften bestanden. 

Die siebenbürgisch - walachischen Bergketten nämlich, 
welche sich in südwestlicher Richtung in das Gebirgsland Ser- 
bien fortsetzen und dort verzweigen, haben die beiden grossen 
Ebenen, die mittlere ungarische und die untere walachische, 
auseinander gehalten und abgeschlossen. Die ungarische Tief- 
ebene bildete wohl damals einen Binnensee, dessen noch jetzt 
zum grossen Theil sumpfigen Boden die Magyaren bewohnen. 
Dagegen wurde wohl die walachische Ebene, wie das südliche 
Russland, vom Schwarzen Meere überfluthet, was die heute 
noch dort befindlichen Salzsteppen beweisen. Nach langem 
und furchtbarem Ringen mag es nun dem ungarischen Binnen- 
see gelungen sein, die Schranken zu durchbrechen und in der 
jetzigen niederen Donau abzufliessen. Die Frage ist, ob Nep- 
tun ohne Hülfe des Vulkan diese Arbeit allein zu Stande ge- 
bracht hat, wie viel Zeit darüber verflossen ist, und in welchem 
Abschnitte der christlichen Zeitrechnung das Werk zu Stande 
gebracht worden ist. Jetzt liegt es aber dem menschlichen 
Erfindungsgeiste, seiner rastlosen und ausdauernden Thätigkeit 
ob, das vom Neptun vollbrachte Werk zum Nutzen und From- 
men der Handeltreibenden und reisenden Menschheit weiter 
auszubilden und eine bequeme, gefahrlose Heerstrasse mittelst 
des Flusses herzustellen: aus den beiden getrennten Hälften 
der Donau ein zusammenhängendes ununterbrochenes Ganze 
zu vollenden. Die Vorsehung scheint dem deutschen Volke 
diese Arbeit vorbehalten zu haben: die D. D. - Gesellschaft 
hat sich auch schon rüstig ans Werk gemacht. Das Zustande- 
kommen wird durch das hier stattfindende Zusammenstossen 
von vier Ländergebieten, die vier verschiedenen Herrschern ge- 
horchen, als da sind : Oeströich, Serbien, Walachei und Türkei, 
erschwert. 

Nach dieser geologischen Abschweifung kehren wir aus 
dem Gebiete der Theorie und Spekulation wieder auf das der 
Thatsachen und der Realität zurück. 



g5 

Mit dem „Greben" ist der erste Kampf beendet; der 
Greben kann als Felsenthor, das die Donau passirt hat, be- 
zeichnet werden. Nachdem wir Stunden lang, mit Ausnahme 
einiger Csal'taken auf der östreichischen Grenze und Spuren 
von Holzherunterschleifung von den Bergen am serbischen 
Ufer, kaum ausserhalb unserer Welt im Kleinen (des Schiffes) 
menschliche Thätigkeit gewahrt hatten, erblicken wir jetzt links 
Swinitza, die südlichste Ortschaft von Ungarn (denn jetzt wen- 
det sich die Donau plötzlich nach Norden), und rechts das 
serbische Milanowitz, von wo aus wir den seltenen Anblick 
einer neuen Strasse geniessen, die im Zickzack über die 
Berge führt. 

Jedoch die Strecke, wo die Donau ruhig und in einförmi- 
ger Strömung dahin fliesst, dauert nicht lange. Während man 
sich noch lebhaft der grausigen Naturschönheiten der über- 
standenen oberen Klissura erinnert, treten bald wieder hohe 
Berge an den Fluss heran, und die untere Klissura beginnt. 
Es scheint die Donau sich hinter einem von senkrecht hervor- 
tretenden Felsen gebildeten Thore in einen schmalen Streifen 
zu verlieren. Die höchste Bergkuppe von Serbien, tier Berg 
Sterbecz, erhebt sein 3100 Fuss hohes Haupt. Der mächtige 
Strom rauscht in einem so engen Bette, dass man glaubt, von 
einem Ufer zum anderen mit Steinen werfen zu können; die 
Breite der Donau gleicht hier der der Warthe bei unserer Stadt. 

Der Reisende sieht, staunt und schweigt, überwältigt von 
dem Eindrucke des Engpasses, welcher Kasan (Kessel) heisst. 
Der Eingang des Kessels ist wunderschön. In der Mitte des 
Stromes steht ein hoher Felsen, der von tobenden Gewässern 
umbraust wird. Er heisst der„Kalnik". Die Tiefe der Donau 
soll hier durchschnittlich 180 Fuss betragen. Es ist sicher, 
dass die Donau auf ihrem ganzen übrigen Lauf keine Strecke 
von ähnlicher Tiefe aufzuweisen hat. Die Ufer sind hier 
freundlicher und mit Laubholz bewaldet ; oft sieht man Quel- 
len aus den Felsen hervorsprudeln, auch wird die Gegend 
durch anmuthig gelegene Dörfer (Dubova, Ogradina) belebt; 
wir kamen sogar bei einer serbischen Löffel- Wassermühle vor- 
bei; die Schaufeln des Wasserrades sind nämlich nach Art 
der Suppenlöffel ausgehöhlte Klötze, die schief in den horizon- 
talen Kamm des Rades eingesetzt und so gegen den Wasser- 

3* 



strahl gestellt sind, dass sein Stoss gegen diese Löffel das Rad 
herumdrehen muss. — Unwillkürlich drängte sich uns der Ge- 
danke auf: wie mag es hier im Winter, abgeschieden von aller 
Welt, zu leben sein, wo die Verbindung auf dem Wasserwege 
aufhört und die Eismassen sich aufthürmen, während die hohen 
schroffen Berge überhaupt jede Verbindung mit dem inneren 
Lande absperren. 

In dieser Gegend auf dem serbischen Ufer wird die be- 
rühmte Tafel des Kaisers Trajan (Ikonalui Trajan) von Alter- 
thumsforschern besucht. Es ist eine Inschrift, welche Trajan 
hier in den Felsen hat einmeisseln lassen, wahrscheinlich zur 
Erinnerung an die Mühen seiner Legionen beim Bau seiner 
Kunststrasse. Besagte, in manchen Theilen unkenntliche und 
unleserliche Inschrift, ist der Gegenstand vieler Kommentare 
und Konjekturen gewesen, und hat bis jetzt vergeblich den 
Scharfsinn und die Gelehrsamkeit der Philologen auf die Probe 
gestellt. 

Das Strombett wird wieder breiter ; die Donau, nicht ein- 
geengt und durch Felsenriffe im Laufe gehemmt, fliesst ruhig 
weiter, während in der Ferne die walachischen Gebirge sich 
erheben. 

Wir gelangen endlich nach Alt-Orsova, dem letzten östreichi- 
schen Orte, dem Sitze des k. k. Grenzzollamts, wo man uns 
bei unserer Rückkehr gehörig durchsuchte und für einige aus 
der Türkei mitgebrachte Kleinigkeiten schwer brandschatzte. 
Jetzt fuhren wir nach kurzer Anlandung ohne Ingrimm weiter, 
weil eine Durchsuchung nicht stattfand. 

Es ist Alt-Orsova die letzte östreichische Skala, wie un- 
sere Italiener sagten, oder Skella, wie die jetzt auf das Schiff 
eintretenden Rumänen, die aus dem 2^/2 Meile von hier be- 
findlichen Bade Mehadia heimkehrten, sich ausdrückten. Skala, 
Skella, oder französisch echelle, heisst Landungsplatz ; man be- 
dient sich dieses Ausdrucks im ganzen Orient. Es war Skella- 
Orsova, welche wir jetzt passirt hatten. Ce sont les echelles 
de rOrient ou Pon achete les marchandises, erklärte mir un- 
ser französischer Reisegefährte. Auch hier bot man uns Pfeifen- 
röhre aus Kirschbaumholz zum Verkaufe an, angefertigt aus 
jungen Kirschbäumen, die in dieser Gegend wild üppig wuchern. 

Nach kurzer Fahrt erreichten wir die Höhe von Neu-Orsova; 



i 



37 



es ist dies eine auf einer Insel in der Donau gelegene Festung, 
welche heute noch von den Türken besetzt ist. Hier wehte 
eine mit dem Halbmonde geschmückte Fahne. Türkische Ka- 
nonen richteten ihre Schlünde flusseinwärts. Aus Gebüschen 
und Mauerwerk ragte ein schlanker Minaret in die Luft. Der 
Pascha, w:elcher hier residirt, hat eine schwarze Bedienung. 
Es ist dies wohl der am weitesten vorgeschobene Posten des 
Islam. Dass die Festung in einem erbärmlichen, verfallenen 
Zustande war, konnten wir ohne Mühe vom Schifif aus be- 
merken. 

Die Donau fliesst von hier fast in gleicher Breite zwischen 
hohen felsigen Ufern. Wir nahen uns dem eigentlichen „eiser- 
nen Thore", d. h. einem mächtigen Felsenriff. Es heisst la- 
teinisch porta ferrea, türkisch Demir kapi, walachisch Porta 
di fern. Es wird der ganze Fluss von Felsen durchsetzt, zwi- 
schen denen oft nur eine ganz schmale Durchfahrt sich be- 
findet. Ganz kleine Fischerboote können bei kundiger Füh- 
rung ohne Gefahr passiren. „Und es wallet und siedet und 
brauset und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt." 
Schon in ansehnlicher Entfernung vernimmt man das Getöse. Es 
ist ein eigentlicher Wasserfall. Man sieht gleichsam eine Linie 
quer über das Wasser gezogen, hier und da ragen Felsspitzen 
hervor. Die Höhe des Wasserfalls beträgt 16 Fuss, die Ge- 
schwindigkeit des Stromes nachher 15 Fuss in der Sekunde, 
die Länge der ganzen Strecke, welche das eiserne Thor ge- 
nannt wird, etwas über eine Viertelmeile. In der Mitte des 
Stromes auf felsigem Grunde liegt der Rumpf des türkischen 
Kriegsdampfers „Silistria", als Illustration, wie die Verwegen- 
heit, diese Strecke befahren zu wollen, gestraft wird. Das 
Wrack ist in die Felsen so eingebohrt, dass es mit ihnen zu- 
sammengewachsen zu sein scheint. 

Sowohl auf der Hin-, wie auf der Rückreise hat uns denn 
auch die D. D.-G. fürsorglich ausgeschifft und schon von 
der rumänischen Grenze aus auf Wagen nach Turn-Severin 
befördert. Wir befanden uns jetzt in einer für uns neuen 
Welt. In den Adern der Rumänen rollt das Blut schneller, 
wie in den unsrigen, ihre Pulse schlagen stärker. Dies fand 
auch seinen Ausdruck in der Art und Weise, wie unser Kut- 
scher im gestreckten Galoppe mit uns davonfuhr, dass uns 



38 

auf dem holprigen Wege auf unserem Leiterwagen ohne Fe- 
dern die Rippen im Leibe knackten. Die 2^/2 Meilen Weges 
wurden, obwohl wir uns mehrere Minuten in einem Dorfe auf- 
gehalten hatten, in der Zeit von Einer Stunde ventre ä terre 
zurückgelegt. Wir erreichten Turn-Severin am Freitag Abend, 
am 18. September, vor einbrechender Dunkelheit. 

14. Turn-Seyerlii. 

Tum-Severin (Turnul Severinului) hat seinen Namen von 
dem Severus-Thurm, dessen verfallenes Mauerwerk mit park- 
artigen Anlagen umgeben ist. Man findet bei diesem Städt- 
chen Ueberbleibsel von altem römischen Gemäuer, von Schan- 
zen, Gräben und Wällen, die einst zur Vertheidigung der merk- 
würdigen Trajansbrücke, die hier über die Donau führte, ge- 
dient haben. Die letzte feste Brücke über die Donau ist ge- 
genwärtig bei Pest-Ofen, die letzte Schiffsbrücke bei Neusatz- 
Peterwardein. 

Unwillkürlich wirft man sich die Frage auf: warum sind 
die Ufer der unteren Donau so öde und verlassen, während 
die Ufer des unteren Rheines im Städteschmuck prangen und 
überall einen reichen Anbau aufweisen? Die Natur trägt nicht 
die Schuld, denn Klima, Boden > Lage sind an der unteren 
Donau viel günstiger, als am unteren Rheine. Die Anwohner 
der Donau tragen selbst die Schuld. Rumänien und Bulgarien, 
zwischen welchen Ländern unser Schiff fortan fährt, sind un- 
wegsam. Der rumänische Bojar verpachtet sein Gut auf zwei 
Jahre, lässt sich den Miethszins im Voraus zahlen, verspielt 
denselben schon in zwei Tagen, wenn er es nicht vorzieht, ihn 
in zwei Wochen in Paris zu vergeuden. Ebenso sind die Bul- 
garen wüthende Spieler, Tag und Nacht ergeben sie sich auf 
dem Dampfschiffe diesem Laster. Sowohl auf der Hin- wie 
auf der Rückreise begegneten wir auf dem Dampfschiffe solchen 
Bauernfängern, welche die niedrigen Leidenschaften der rumä- 
nischen und bulgarischen Reisenden zu ihrem Nutzen ausbeu- 
teten. Auf der Rückreise waren wir Augenzeuge, wie ein solcher 
Schwindler, mit dem rothen Ordensbande der Ehrenlegion im 
Knopf loche geschmückt, mit einer Grafenkrone auf seiner 
Reisetasche, die in fetter Schrift signirt war: le comte de 
C. . . ., dem Sekretär von Mustapha Pascha im Kartenspiel 



39 

40 Pfd. Sterling in kürzester Frist abnahm. Besagter Industrie- 
ritter war mehreren Personen unserer Keisegesellschaft als ein 
notorischer konstantinopolitanischer Schwindler bekannt. Dass 
bei solchen Sitten und Gewohnheiten der Aristokratie eines 
Landes der Anbau vernachlässigt wird und das Land verödet, 
ist erklärlich. 

Tum-Severin ist eine Oase in der Wüste. Es ist dieser 
Ort im raschen Emporblühen begriffen. Die D. D.-G. hat 
hier ein Bureau ihrer Verwaltung, eine bedeutende Schiffs- 
werfte und grosse Werkstätten eingerichtet. Deutsche Kolo- 
nisten haben sich hier zahlreich angesiedelt und durch ihren 
Fleiss und ihre Tüchtigkeit eine neue Schöpfung begründet. 
Schon jetzt hat der Ort mehr als 500 Häuser und über 4(X)0 
Einwohner, während es früher kaum ein Dorf zu nennen war. 
Die Deutschen haben hier eine katholische und eine evange- 
lische Gemeinde gebildet, und bezahlen die Geistlichen aus 
ihren eigenen Mitteln. Dass in Turn-Severin eine gute deutsche 
Bierhalle besteht, ist selbstverständlich ; ebenso ein Volksgarten, 
wie wir ihn später in allen grösseren Ortschaften, auch unter die- 
sem Namen vorfanden. Viele neue Häuser waren im Bau begriffen. 
Da unser Dampfer hier eine Anzahl Stunden liegen blieb, hatten 
wir Gelegenheit, uns den Ort gründlich anzusehen, auch ein 
Kaffeehaus zu besuchen, wo wir wahrnahmen, dass von jetzt 
an bis tief in den Orient Kaviar eins der gewöhnlichsten 
Nahrungsmittel ist. 

Auffallend waren uns hier die strengen militärischen Vor- 
kehrungen, die starke walachische Besatzung, die ängstliche 
Küstenbewachung der Donau, die Rücksichtslosigkeit der zahl- 
reichen Schildwachen, einem sogleich das Bajonet vor die 
Brust zu strecken, als ob an einem Menschenleben gar nichts 
gelegen sei. Indessen wurden uns diese Maassregeln später er- 
klärlich. Rumänien ist in der Krisis, es sind innere und 
äussere Feinde zu bekämpfen, es besteht daher eine volle 
Kriegsbereitschaft, wie wir uns ausdrücken würden. Die jetzige 
Regierung ist nicht stark genug, kokettirt mit Konstitutiona- 
lismus, der in einem Lande, wie Rumänien ist, wo eine so 
grosse Sittenverderbniss herrscht, übel angebracht ist. Hier 
können nur die Diktatur und rücksichtsloses Vorgehen des 
Regenten die eingewurzelten Missbräuche ausrotten und heilsame 



40 

Reformen einführen. Aber auch gegen die Türkei ist Rumänien 
in Kriegsgefahr begriffen. Die Banden, welche Bulgarien revolu- 
tioniren und von der türkischen Herrschaft loszureissen drohen, 
organisiren sich in Rumänien und setzen von dort über die 
Donau. Kurz vor unserer Ankunft in Rustschuk hatte man 
dort acht Insurgenten aufgehängt. . In der Irenen-Kirche (dem 
Arsenal) in Konstantinopel fanden wir mit frischem Blute be- 
fleckte Fahnen, welche bulgarischen Insurgentenbanden neulich 
entrissen worden waren. So fanden wir von Turn-Severin bis 
Sulina auf beiden Ufern der Donau links einen walachischen, 
rechts einen türkischen Grenzkordon und gewahrten zahlreiche 
Patrouillen. Jede Anlandung ist daher mit vielfachen Vexa- 
tionen verknüpft, und war es nicht mehr gerathen, irgendwo, 
selbst bei längerem Aufenthalte des Passagierschiffes, dasselbe 
zu verlassen, ohne sich den grössten Gefahren preiszugeben 
sowohl auf walachischem wie auf türkischem Boden. 

•s. 

15. Von Turn-Seyerin Ms Widdin. 

Zu Turn-Severin wurden wir auf einem Dampfschiffe von 
den Dimensionen eines Seedampfers einquartirt. Es sollte bis 
zum Ziele der Donaufluss-Schifffahrt , d. h. bis Galatz, kein 
Wechsel mehr eintreten. Der breite und tiefe Donaustrom ist 
bis Galatz befähigt, die grössten Fahrzeuge, selbst bei so nie- 
drigem Wasserstande, wie er in diesem Jahre stattfand, zu 
tragen. Von jetzt ab beginnt allmälig ein grosser Verkehr mit 
Segelschiffen, von denen gegenwärtig die „Donaumündungen'' 
besonders bei Braila und Galatz zu Hunderten wimmeln. 

Die Einrichtungen auf diesem grossen Dampfschiffe ge- 
währten mehr Bequemlichkeit, wie auf den früheren kleineren 
Dampfern. Es waren in den Kabinen und im Herren -Salon 
mehr als 80 gute Betten aufgeschlagen. Es konnte sich die 
Gesellschaft in verschiedene Salons vertheilen und sich eine 
gemüthliche und behagliche Existenz verschaffen. 

Die deutsche Sprache hört jetzt auf die kurrente zu sein, 
an ihre Stelle tritt die italienische, die im ganzen Orient die 
eigentliche Verkehrssprache ist und mit der rumänischen 
vielfach übereinstimmt. Domine und Servus sind die Worte, 
die hier stets gegeneinander ausgetauscht werden. 

Auf dem rechten Ufer ziehen einige freundliche serbische 



41 

Ortschaften mit rothen Ziegeldächern unsere Aufmerksamkeit 
auf sich, z. B. Brza-Palanka. Palanka bedeutet Umzäunung 
und ist ein oft gebrauchter Zusatz bei orientalischen Orts- 
namen. Wir gelangen an den kleinen Fluss Timok, welcher 
Serbien und Bulgarien trennt. Fortan haben wir rechts tür- 
kisches, links rumänisches Gebiet, bis fast zu den Donaümün- 
dungen; schliesslich nur türkisches, nachdem Russland durch 
den Pariser Frieden in Folge des Krimmkrieges weit von den 
Donaumündungen zurückgedrängt worden ist. 

Bei Tagesanbruch befanden wir uns zwischen Kalafat und 
Widdin. Bei Kalafat in der Walachei fanden wir am Lan- 
dungsplatz eine Menge Maschinen für den Ackerbau (Säe-, 
Dresch-Maschinen u. s. w.) aufgehäuft, was sich fast in allen 
walachischen Orten an der Donau wiederholte. Es findet ein 
ungeheurer Absatz von landwirthschaftlichen Maschinen nach 
Rumänien statt, was als ein erfreuliches Zeichen der fort- 
schreitenden Kultur zu begrüssen ist. Die meisten dieser 
landwirthschaftlichen Geräthe sind englischen Ursprungs, wie 
wir davon auch grosse Magazine in Braila und Galatz zu sehen 
Gelegenheit hatten. In der Türkei haben wir von landwirth- 
schaftlichen Maschinen nichts wahrgenommen. 

Bei Kalafat sahen wir, was sich später immer wiederholt, 
eine Anzahl Frauen mit der Wäsche in der Donau beschäftigt. 
Das Wasser der unteren Donau, welches mit fettem Thone 
gesättigt ist, erspart die Seife, was sich auch beim Baden im 
Flusse bemerkbar macht, wie wir selbst empfunden haben bei 
unseren öfteren Schwimmfahrten in der Donau von dem Ufer 
in der Dobrudscha aus. 

16. Widdin. 

Widdin ist die erste grössere türkische Festung, die wir 
auf unserem Wege antrafen. Die Donau war schon bei den 
Römern eine stark erprobte Vertheidigungslinie. Das rechte 
(bulgarische) Ufer der Donau hat den Vorzug, dass es das 
linke (walachische) stets überragt; das rechte Ufer ist felsig, 
das linke flach. Die zahlreichen Flussinseln liegen sämmtlich 
dicht am walachischen Ufer, der Feind ist daher genöthigt, 
seinen Uebergang über den Fluss über den breiten Hauptarm 
am rechten Ufer unmittelbar unter dem nächsten Frontbereich 



42 

der Vertheidigung zu bewerkstelligen. Bulgarien ist jetzt der 
Hauptwall des osmanischen Reiches gegen alle Angriffe von 
Norden her. 

Die vergoldeten Spitzen der weissen schlanken Minarets 
von Widdin glänzten im hellen Scheine der Morgensonne; 
eben so interessirten uns die in der Form eines Quadrates ge- 
bauten mit ziemlich flachen Dächern versehenen Moscheen, deren 
mehrere vom Schiffe aus sichtbar waren, sowie das Serail des 
Pascha mit drei Rossschweifen. Die am Ufer befindlichen 
türkischen Kaffeehäuser waren schon mit zahlreichen rauchen- 
den miissigen Gesellen gefüllt, die neugierig die Schiffsvorgänge 
beobachteten. 

In Widdin wurden von Türken grosse Quantitäten von 
Rauchtabak zum Verkaufe auf das Schiff gebracht und ohne 
weiteren Handel vertrauensvoll baar bezahlt: im Allgemeinen 
sollen nämlich die Türken im Geschäft ganz zuverlässig sein. 
Der türkische Tabak ist gegen den bei uns üblichen von vor- 
züglicher Qualität und verbreitet einen angenehmen Wohlgeruch, 
so dass man bei der Rückkehr aus dem Orient den hiesigen 
Qualm unerträglich findet. Freilich ist der türkische Tabak 
an Ort und Stelle schon eine kostspielige Waare und wird 
gute Waare auf 3 preuss. Thaler per Zollpfund gerechnet. 

In Widdin wurden grosse Quantitäten von Weintrauben 
und Wassermelonen aufs Schiff gebracht. Letztere sind eine 
Lieblingsnahrung der Türken, die sich mit Brot, Wasser und 
Melonen begnügen und damit für ihre Ernährung vollständig 
zufrieden sind, wie wir das auf dem Schiffe, wo gegen hun- 
dert Türken sich jetzt auf dem Verdeckplatze befinden und 
Tage lang uns begleiten, haben wahrnehmen können. 

Von jetzt ab beginnt beim Besteigen des Schiffes eine 
eigene Prozedur. Ein besonderer Beamter ist dafür angestellt, 
den türkischen Passagieren für die Dauer der Fahrt die Waf- 
fen abzunehmen (Schuss- und Hiebwaffen, Dolche und lange 
Messer, Yatagans genannt), womit die Gürtel gespickt sind, 
und sicher und unschädlich einstweilen zu verwahren. Ich 
war erstaunt über die Waffenvorräthe , die hier aufgehäuft 
wurden, indem selbst die kleinen Buben mit den gefährlichsten 
Mordwerkzeugen ausgestattet waren. 

Bei der Abfahrt im Bogen um die Stadt und Festung 



43 



hatten wir Gelegenheit, das Panorama, das vor uns ausgebrei- 
tet war, näher zu beschauen, den türkischen Begräbnissplatz 
mit seinen Cypressen, das Serail des Pascha u. s. w., so wie 
die vielen am Donauufer neu gebauten massiven Häuser. Der 
lebhafte Verkehr, in welchen die an der Donau gelegenen tür- 
kischen Orte mit der übrigen Welt treten, äussert seinen re- 
formatorischen und civilisirenden Einfluss. 

Unser türkischer Major, der seit Semlin unser Reisege- 
fährte war, hatte in Widdin Kriegskameraden aufgesucht (er 
selbst war mehrfach dekorirt und immer mit seinen Orden ge- 
schmückt) und sich am Lande verspätet, so dass das Dampf- 
schiff abfuhr ohne ihn. Auf das lamentable Geschrei seiner 
Gattin und seines unartigen kleinen Sohnes fand sich der 
Schiffskapitän indessen veranlasst, anzuhalten und das nach- 
rudernde Boot abzuwarten, in welchem vier Mann alle ihre 
Kräfte anstrengten, den Major an Bord des Dampfers zurück 
zu bringen, was ihnen endlich auch gelang. 

17. Von Widdin bis ßnstschuk-Oinrgewo. 

Wir befinden uns jetzt schon mitten im Orient. Wir haben 
rechts die Türkei, links die W^alachei. In beiden Ländern ist 
es unruhig. Eine Katastrophe hier könnte das übrige Europa 
in seinen Grundfesten erschüttern, und würde selbst Asien und 
Afrika in Mitleidenschaft ziehen. 

Die Donau fängt an, von zahlreichen Segelschiffen belebt 
zu werden, von denen nicht wenige unter griechischer Flagge 
fahren, wie die Griechen überhaupt als geschickte Segelschiffer 
gelten. 

Wir passiren die freundlich im Grünen gelegene türkische 
Ortschaft Lompalanka. Es befinden sich hier viele liebliche 
Gärten, leider mit hohen Umzäunungen umgeben (Palanka 
bedeutet Umzäunung), so dass nur die Bäumgruppen hervor- 
ragen. Zugleich wird der Blick der Reisenden auf die von 
der Donau umspülten Inseln mit grünem Weideland hingelenkt. 
Diese Inseln sollen im Frühjahre von zahlreichen Nachtigallen 
belebt sein. 

In Widdin hatte sich ein türkischer Oberst mit drei gol- 
denen Strichen auf dem Aermel der Uniform mit uns einge- 
schifft. Er sprach die französische Sprache dans la perfec- 



44 



tion, eben so auch die italienische, so dass er sich in eine 
animirte Unterhaltung mit unserer Mailänder Reisegefährtin 
vertiefte. Es war ein noch jüngerer eleganter Herr von den 
ungezwungensten Manieren. Wir bemerkten seine Leutseligkeit 
im veiiraulichen Verkehr mit niederen türkischen Militärs auf 
dem Schiffe, welche sich auch nicht weiter genirten. Im Pri- 
vatverkehr macht sich bei den türkischen Militärs auch der 
Rangunterschied nicht geltend, nur im Dienst wird die Etiquette 
beobachtet. Unser Oberst war sehr liebenswürdig, die Unter- 
haltung mit ihm war eben so anziehend wie belehrend. Sein 
Reiseziel war Konstantinopel, wohin ihn der Sultan gerufen 
hatte. 

Wir passiren die Mündung des die Walachei durchströ- 
menden Flusses Schyul. 

Wir haben schon mehrfach Bekanntschaft mit redseligen 
Bojaren angeknüpft. Mit Erstaunen hören wir, dass der Pan- 
slavismus sich dort mächtig rührt : es sind ja aber die Rumä- 
nen gar keine Slaven, vielmehr die echtesten Romanen, welche 
es giebt; dennoch möchte Russland sie in ihr Netz ziehen. 
Das neue Ministerium, das vor einigen Wochen in Thätigkeit 
getreten ist, wird jedoch gewiss diese Richtung bekämpfen. 
An seiner Spitze steht als Premier mein ehemaliger Zögling 
Michael Cogalniceano, dessen Erziehung und Ausbildung mir 
in den Jahren 1835 — 1837 anvertraut war. Ich kenne seine 
russischen Antipathien, er schwärmt für die Selbstständigkeit 
seines Vaterlandes; es ist mir geglückt, ihm deutsche Sympa- 
thien einzuflössen. Er spricht und schreibt auch die französische 
Sprache mit grosser Gewandtheit und mit gutem Geschmack. 

Michael Cogalniceano, Sohn eines einflussreichen Bojaren 
der Moldau, wurde zusammen mit den Söhnen Dimitri und 
Gregor des damaligen Hospodaren der Moldau, Michael 
Stourdza, und mit dem Schwager desselben (in Folge zweiter 
Ehe), dem Fürsten Alexander Vogorides von Samos, erzogen. 
Anfänglich wurden sie in ihrem Vaterlande unterrichtet, später 
nach Luneville in Frankreich geschickt, wo sie der Leitung 
eines Abbe, des früheren Gouverneurs des Hospodaren Stourdza, 
anvertraut waren. Im Frühjahre 1835 wurden diese vier 
jungen Leute auf Veranlassung des russischen Staatsrathes 
Barons Alexander von Stourdza in Odessa, Schwiegersohns des 



45 



damaligen Geheimenrathes Professors und königlichen Leib- 
arztes Hufeland (Verfassers der Makrobiotik), nach Berlin ge- 
schickt, und dort der Führung des Verfassers dieser Schrift 
übergeben. Der berühmte Rechtsgelehrte Professor v. Savigny 
bewies eine lebhafte Theilnahme für die Ausbildung dieser 
jungen Leute. Er wirkte namentlich darauf hin, sie russischem 
Einflüsse zu entziehen, indem der damalige russische Gesandte 
zu Berlin Graf Ribeaupierre sich sehr um sie bemühte. Es 
wurden ihnen die besten Lehrer gehalten, die Geldmittel 
dazu (über 10,000 Thaler jährlich) reichten dafür aus. In 
Berlin sind sie nun drei Jahre geblieben (1835, 1836, 1837) 
und dann in ihre Heimath zurückgekehrt. Michael Cogalni- 
ceano war der älteste dieser jungen Leute ; als er nach Berlin 
kam, war er 17 Jahre alt und schon im Besitz eines Offizier- 
patents, er sollte seinen Kameraden als Muster und Vorbild 
dienen. 

Michael Cogalniceano hat nun in den letzten dreissig 
Jahren seine volle Thätigkeit dem Dienste seines Vaterlandes 
gewidmet und einen hervorragenden Antheil an der Ent- 
wickelung desselben genommen. Es hat sich seitdem nichts 
von Bedeutung in jenen Ländern ereignet, ohne dass er dabei 
mitgewirkt hätte. Ihm gebührt vorzugsweise das Verdienst 
der Vereinigung der Donaufürstenthümer zu einem einzigen 
Reiche (Rumänien); er hat durch eine Verfügung vom 2. Mai 
1864 viermal Hundert Tausend Leibeigene in selbständige 
Besitzer umgewandelt. Ihm verdankt man die Einführung 
des Code Napoleon, der Geschworenen -Gerichte, der Civil- 
ehe, des unentgeltlichen und allgemeinen verbindlichen Volks- 
schulunterrichtes. Er hat dem preussischen Einflüsse in jenen 
Regionen die Bahn gebrochen, ist auch von Sr. Majestät dem 
Könige von Preussen durch Verleihung des rothen Adler- 
ordens I. Klasse ausgezeichnet worden. 

Michael Cogalniceano hat sich im Jahre 1852 verheirathet. 
Aus dieser Ehe sind entsprossen vier Kinder, das älteste ist 
eine Tochter von 16 Jahren, welche im Institute der Fräulein 
V. Schepke in Dresden erzogen wird; die andern drei Kinder 
sind Söhne, von welchen die beiden ältesten sich im Vitz- 
thum'schen Stiftsgymnasium zu Dresden befinden. 

Am rechten Ufer steigt ein halb türkisches, halb bulga- 



46 



risches Dorf, Rahowa, den Berg hinan. Die Erdhöhlen der 
Bulgaren sind armselig, sie gleichen mit Stroh bedeckten Eis- 
kellern; die türkischen Häuser sind wenigstens theilweise aus 
Stein und Lehm erbaut. 

Am linken Ufer liegt die Stadt Piquet, der Hafenort von 
Krajova, welches die Hauptstadt der kleinen Walachei ist. 
Piquet ist ein wichtiger Verladungsort für enorme Getreide- 
massen. Hunderte von Wagen primitiver Bauart, mit Ochsen 
bespannt, sind am Ufer aufgefahren und schleppen das Ge- 
treide (die Frucht^ wie man sich hier ausdrückt) heran, das 
übergeladen wird auf die vielen bereit stehenden Segelschiflfe 
und auf die der Deutschen Donau -Dampfschiff- Gesellschaft 
gehörigen eisernen Schleppkähne, welche ihre Ladung die 
Donau abwärts nach Braila und Galatz dem Welthandel zu- 
führen; es sind bei diesem Verkehr auch viele türkische Schiffe 
engagirt, leicht kenntlich durch ihr hohes Hintertheil, während 
sie in der Mitte tief eintauchen. Die Getreideverschiffung 
würde noch viel bedeutender sein, wenn die Walachei und 
Türkei sich guter Landstrassen erfreuten, um schwere Frach- 
ten aus dem Inne?:n des Landes an den Fluss zu transportiren. 

Wir erreichten den türkischen Ort Oreawa, Piquet gegen- 
überliegend. Ein eigenthümliches Schauspiel bot sich unseren 
Augen dar, das die ganze europäische Eeisegesellschaft höch- 
lichst belustigte. Ein türkischer Raseur war an der Donau 
beschäftigt, seinem Klienten unter Gottes freiem Himmel das 
Haupthaar zu scheeren und ihm nur den kleinen Haarbüschel 
stehen zu lassen, bei welchem er am Tage des jüngsten Ge- 
richtes von dem Propheten ergriffen werden soll, um in den Ort 
der Glückseligkeit geschleppt zu werden. Das Einseifen geschah 
mit Donauwasser, die Operation wurde mit einem grossen 
Schlachtmesser unbarmherzig vorgenommen. Der Patient war 
an der Erde niedergekniet und sein Kopf zwischen den Schen- 
keln seines Henkers eingeklemmt, dass er Gott gedankt haben 
mag, als er fand, dass die Operation ihm nur einen Ohrzipfel 
gekostet hatte. Unser Schiff hielt lange genug, um den Schluss 
der Prozedur abzuwarten, wobei der Kopf des Schlachtopfers 
in die Donau untergetaucht wurde, um die Blutspuren vor- 
läufig abzuwaschen. 

Auffallend ist die fast gänzliche Abgeschlossenheit zwischen 



47 



den Walachen und Türken, welche nur durch die Donau ge- 
trennt werden. Es herrscht zwischen beiden Nationalitäten 
eine grosse Abneigung. Die Türken haben sich allmählig 
ganz aus Rumänien zurückgezogen. Gegenwärtig sind beide 
Nationen sur le qui vive. Die Grenzwachen in der Türkei 
sind hier sehr verstärkt. Die Bulgaren kampiren in Zelten, 
welche in kurzen Zwischenräumen von einander abstehen. 

In Bulgarien gewahren wir viele Schafheerden, welche von 
grossen Schäferhunden bewacht werden, um sie gegen die 
Wölfe zu vertheidigen , die namentlich im Winter aus den 
Gebirgen hinabsteigen. Da der Wolf ein furchtsames Thier 
ist, greift er Menschen nur an, wenn der äusserste Hunger 
ihn dazu treibt. Wir bemerken auch grosse Gänseheerden 
ohne Hirten. Die Gänse haben einen Instinkt, der ihnen die 
Tagesstunden bemerklich macht; sie kommen rechtzeitig alle 
wieder nach Hause, und keine Gans wird vermisst. Die Schaf- 
und Gänseheerden beleben etwas die sonst baumlose Land- 
schaft. Die Wälder längs der Donau sind längst verschwun- 
den, nur die grösseren Ortschaften sind mit Baumanpflanzun- 
gen umgeben. Die flache Landschaft ist höchst einförmig. 
Es sind viele Heumiethen aufgerichtet, ohne dass man mensch- 
liche Wohnungen bemerkt. Die Landschaft ist so flach, dass 
man den Eauch von Dampfschiffen Meilen weit im Voraus 
sieht. Wir begegneten auch hier einem griechischen Dampf- 
schleppschiffe, Sophia genannt, in alt-griechischen Lettern am 
Hintertheile angemalt; dieser griechische Schleppdampfer nahm 
sich gegen die östreichischen aber nur elend aus. 

Wir sehen Kranichheerden im Dreieck fliegen , ebenso 
Schaaren wilder Gänse. Wir knüpfen eine kulinarische Un- 
terhaltung an über die Essbarkeit der wilden Gänse. Man 
belehrt uns, dass sie einen guten Braten abgeben, wofern sie 
nur gehörig gebeizt (in Essig gelegt und mit Gewürz behan- 
delt) werden. 

Am flachen walachischen Ufer bemerken wir grosse Weiden- 
anpflanzungen gegen das Abreissen und Wegspülen des Lan- 
des, welche es aber nicht immer verhindern. 

Am türkischen Ufer gewahren wir öfter zahlreiche Büffel- 
heerden. Es begegnet un$ auch das türkische Dampfpassa- 
gierschiff, das dem deutschen Konkurrenz macht, auch niedrige 



48^ _ 

Fahrpreise hat, aber schmutzig sein soll: man ist darauf in 
Gefahr, sich Parasiten anzuwerben. Wir wundern uns daher, 
später dem Dr. Strousberg, dem Eisenbahnmillionär, auf einem 
solchen türkischen Dampfboote zu begegnen. 

Als Sonderbarkeit fällt es uns auf, dass die walachischen 
Grenzwachen das Gewehr vor den vorüberfahrenden Dampf- 
schiffen präsentiren, und so lange in ehrerbietiger Positur 
bleiben, als sie gegen das Dampfschiff stehen. 

Der Wasserstand war so niedrig, dass man es für rath- 
sam hielt, öfter durch lange Stangen die Wassertiefe zu er- 
forschen und nach Grund zu suchen. 

Wir gelangten an die Mündung der Aluta, deren Quellen 
in Siebenbürgen liegen, dessen südliche Alpenbegrenzung sie 
in dem rothen Thurmpasse durchbricht. Die Aluta trennt die 
kleine Walachei von der grossen. 

An den Ufern der unteren Donau sieht man mehr Vieh 
als Menschen, so sind uns die vielen Esel am türkischen Ufer 
aufgefallen ; nicht selten haben wir Türken auf Eseln am Ufer 
entlang traben sehen. In der Walachei soll die Eselzucht 
ganz vernachlässigt werden. Auf der türkischen Seite werden 
zahlreiche Büffelheerden in der Donau getränkt. 

Wir kommen wieder zu einer Doppelstation. Auf dem 
flachen rumänischen Ufer liegt Turnu-Marjarelle, ein Freihafen, 
wo viel Getreide verladen wird, und auf dem türkischen ber- 
gigen (Kreidefelsen) Ufer die Bergfestung Nikopoli, herunterge- 
kommen von ihrem früheren Glänze, während Turnu aufblüht. 
So geht es den ganzen Weg, auf der türkischen Seite „Ver- 
gangenheit", auf der rumänischen „Zukunft". Nikopoli ist der 
Sitz eines griechischen Erzbischofs und eines katholischen 
Bischofs. Die Bulgarei ist vorwiegend christlich. Nikopoli ist ma- 
lerisch zwischen zwei steilen Berghöhen gelegen ; auf einem Hügel 
der Stadt erblickt man das verfallene Schloss (Akropolis), von 
dem sich die Festungsmauer nach der Donau hinzieht. . — In 
Nikopoli trafen wir eine bulgarische Obstverkäuferin, welche 
uns in gutem Deutsch ihre Waare anpries. 

Wir passiren darauf die bulgarischen Städte Bellina, dann 
das in einer Waldung von Platanen gelegene Städtchen Sistow. 
Alle diese türkisch bulgarischen Städte haben eine reizende 
Lage, von aussen gesehen. Die Donau bildet zahlreiche Inseln. 



4^ 

Sistow gegenüber liegt der walachische Marktflecken Simnitza 
mit einem stattlichen Quarantaine-Gebäude. 

Bei einbrechender Nacht erreichen wir die Hauptstation 
der unteren Donau : Rustschuk auf dem türkischen, Giurgewo 
auf dem walachischen Ufer. Hier verlässt uns der grösste 
Theil unserer Reisegesellschaft. Die einen steigen aus in 
Rustschuk, um mit der Eisenbahn bei Schumla (der berühm- 
ten Bergfestung) vorbei nach Varna zu fahren, und von dort 
nach Konstantinopel per Dampfschiff; die anderen (Walachen), 
um nach der Hauptstadt Bukarest, wohin von hier aus eine 
regelmässige Postverbindung stattfindet, zu reisen. 

Es wurden hier auch viele Eilgüter ausgeschifft, z. B. 
14 grosse Tonnen Schwechater (Wiener) Märzenbier nach Kon- 
stantinopel. Die Türken sind ausgezeichnete Lastträger, eilen 
mit Koffern dahin, die mehrere Centner schwer sind, als ob 
es Spielbälle wären, während im Vergleich dazu die Walachen 
faul und ungeschickt sind. In Rustschuk war ein fürchter- 
liches Gedränge, weil fast alle Güter dort ausgeladen wurden; 
das bekannte „Guarda" (nehmt euch -in Acht) erfüllte die 
Lüfte. Das ursprünglich italienische Wort ist ganz von den 
Türken adoptirt worden. 

18. Ton Rustschuk -Giurgewo nach Braila. 

In Rustschuk veränderte sich unsere ganze Reisegesell- 
schaft. Die Verdeckplätze wurden von Türken eingenommen, 
von denen jeder sein Bett unter dem Arme trug. Die Türken 
sind durchschnittlich wenig bemittelt, oder besser gesagt, sehr 
genügsam ; ihre Bedürfnisse sind einfach und leicht befriedigt. 
Für den ersten Platz kam eine griechische Familie auf das 
Schiff, Herr Sterio Kaloudis aus Braila, ein reicher Kaufmann, 
mit Frau und zwei Töchtern, von dem eine verheirathet war und 
schon selbst Kinder nebst Bedienung mit sich führte. Bei 
den griechischen Damen fiel uns die pose theatrale auf, mit 
welcher wir uns später vertraut machten als mit einem cha- 
rakteristischen Zuge der griechischen Nationalität. Jeder 
Grieche, und noch mehr jede Griechin, ist eitel, sie will glän- 
zen und bewundert werden. Die Hauptkoketterie dokumentirt 
sich bei den Griechen und Griechinnen in der chaussure und 
coiffure; die letzten Mittel werden aufgewendet, um Fussbe- 

4 



50 



kleidung und Kopfbedeckung elegant auszuwählen und pikant 
darzustellen. 

Wir passirten die Doppelstation Tuturkan (türkisch) und 
Oltenizza (walachisch). Die bulgarische Stadt Tuturkan ist 
lieblich anzusehen, ihre rothen Ziegeldächer zwischen grünen 
Bäiimen laden zum Besuche ein: der Ort ist aber ohne allen 
Verkehr; obgleich er 6000 Einwohner zählen soll, ist noch nie 
von dort ein Passagier auf das Dampfschiff eingestiegen. Die 
Türkei stirbt ab und aus. Ganz anders ist es mit Oltenizza. 
Grössere Segelschiffe und viele Platten (Schleppkähne) zeigen 
hier den massenhaften Getreide -Export der Donauf ürstenthü- 
mer an. Es sind dies gesegnete Länder, welche nur der Ver- 
vollkommnung ihrer Kommunikationen und einer festen inneren 
Organisation harren, um einen ungeahnten Wohlstand zu ent- 
wickeln, wahre Kornkammern für den durch Boden und Klima 
weniger begünstigten Occident zu werden und uns Uebe.rfluss 
an Mundvorrath zuzuführen. 

Zwischen Inseln und Wald -bekränzten Ufern (die Inseln 
sind meistens mit üppigen Weidenbäumen bepflanzt, welche das 
Material für das vielfache Flechtwerk liefern, welches man in 
der Türkei so mannigfach verwendet) setzen wir die Reise 
fort und gelangen nach der berühmten Festung Silistria. Auch 
sie ist heruntergekommen von ihrem früheren Glänze, die Ein- 
wohnerzahl hat sich von 20,000 auf 9000 verringert in Folge 
von Belagerungen und Verheerungen durch die Pest. Betrach- 
tet man heute die verfallenen Befestigungen, so sollte man 
kaum vermuthen, dass Silistria so oft den russischen Belage- 
rungsarmeen einen erfolgreichen Widerstand geleistet hat. 

Unterhalb Silistria gelangen wir an die Grenze von Bul- 
garien und der Dobrudscha. 

Bevor wir von Bulgarien scheiden, wollen wir unseren Lesern 
noch einige Winke geben über die Bedeutung dieser Provinz 
für die Türkei. Bulgarien ist eine fruchtbare Provinz. Zu 
dem Reichthum an Getreide kommen herrliche Waldungen, 
ausgedehnter Weinbau, Ueberfluss an Schlachtvieh (Ochsen 
und Büffel), an Pferden, Eseln u. s. w. Bulgarien bringt über 
24 Millionen Franken an Steuern auf, welche grösstentheils 
von den Rajahs (Nichtmuselmännern) erhoben werden. Noch 
wichtiger ist Bulgarien in strategischer Beziehung. Früher 



j 



51 

war es die Basis für alle aggressiven Unternehmungen gegen 
den Norden, so lange im Süden der Donau in römischer, by- 
zantinischer und türkischer Zeit die expansiven Kräfte noch 
nicht erlahmt waren. Seit dem Ermatten der türkischen Na- 
tionalkraft ist die Bulgarei der Hauptwall des osmanischen 
Reiches gegen alle Angriffe von Norden her geworden. Seit- 
dem Serbien sich frei und unabhängig von der türkischen 
Botmässigkeit gemacht hat, ist die Bedeutung der Bulgarei 
noch gestiegen. Aber die Ereignisse in Serbien wiederholen 
sich in der Bulgarei, die slavische Bewegung macht täglich 
Fortschrittö , das Feuer des Aufstandes und der Auflehnung 
glüht unter der Asche und wird bald hell auflodern. Die 
Bulgarei ist nach unserer Ueberzeugung für die Türkei un- 
rettbar und unwiederbringlich verloren. Der Islam verliert in 
Bulgarien die Donau- und Balkanlinie, und jeder ernsthafte 
Kampf wird vor den unmittelbaren Thoren von Stambul be- 
gonnen werden, dessen dreifache Mauerumgürtung einen ohn- 
mächtigen Schutz gegen gezogene Kanonen bietet. Von der 
Geschichte der europäischen Türkei ist schon das letzte Blatt 
aufgeschlagen, es ist aus mit dem Islam in Europa, er wird 
bald nur noch in der Erinnerung fortleben. 

Wir gelangen nach Rassowa, wo sich noch Ueberreste der 
Mauern vorfinden, welche von den römischen Kaisern bis zum 
Schwarzen Meere gebaut waren. Die Donau hat sich bis auf 
8 deutsche Meilen dem Schwarzen Meere genähert, macht aber 
jetzt eine Biegung nach Norden und verzögert ihre Einmündung 
noch durch einen unteren Lauf von gegen 30 deutschen Meilen. 
Wir erreichen Czemawoda, von wo eine Eisenbahn in kürze- 
ster Entfernung die Donau mit dem Schwarzen Meere bei 
Kustendje verbindet. Diese Eisenbahn hat eine mächtige Rivalin 
in der Bahn von Rustschuk nach Varna erhalten, die gegen- 
wärtig schon den grossen Weltverkehr an sich gerissen hat, so 
dass die Eisenbahn Czemawoda-Kustendje nur noch eine lokale 
Bedeutung behalten hat. Wir freuen uns, nicht in Czernawoda 
übernachten zu müssen, indem man uns Schrecken erregende 
Dinge von einem Aufenthalte in dem dortigen ersten und ein- 
zigen Gasthofe erzählt, wo man vom Ungeziefer ungefähr auf- 
gefressen werden soll. Wir fühlen uns um so wohler auf 
unserem komfortablen Dampfer. 

4* 



I 

[ 



52 

Am rechten Donauufer laufen kahle Berge längs des 
Flusses, während endlos scheinende Ebenen das linke Ufer kenn- 
zeichnen. Wenig Abwechselung, grosse Einförmigkeit. Wir 
passiren bei der Stadt Hirsova, oder besser gesagt, bei ihren 
Ruinen, an einer tiefen Schlucht, wo die Ueberreste eines 
türkischen Kastells uns den gegenwärtigen Verfall der früheren 
türkischen Glorie versinnlichen. 



19. Braila. 

Wir gelangen nach Braila, wo die Mastbäume von Hun- 
derten von Segelschiffen uns die Grossartigkeit des dortigen 
Handelsverkehrs vor die Augen stellen. Unser Schiff landet 
an, wir verliessen dasselbe, nachdem wir von Dienstag Morgen 
von Wien ab Tag und Nacht auf der Reise auf der Donau zu- 
gebracht hatten. Es war Sonntag Nachmittag um 4 Uhr, am 
20. September, als wir das vorläufige Ziel unserer Reise erreicht 
hatten und uns jetzt von schweren Anstrengungen ein wenig 
ausruhen konnten. Acht volle Tage haben wir uns dann in 
Braila, Galatz und auf der türkischen Seite in der Dobrudscha 
herumgetummelt und einen genaueren Einblick in die dortigen 
Verhältnisse gewonnen. 

Das schöne Sonntagswetter hatte ausser Hunderten von 
Geschäftsleuten eine Anzahl müssiger Neugieriger an die Skala 
(Landungsbrücke) des Dampfschiffs gelockt. Es war daher 
schwer, sich durch das Gedränge einen Weg zu bahnen. Der 
Ausgang war militärisch besetzt, die uniformirte und geheime 
Polizei liess uns jedoch ungehindert passiren, unsere ehrbare 
Erscheinung hatte sie jedes Verdachtes überhoben, wie uns 
später der Chef der Sbirren bei einem Seidel deutschen Biers 
näher auseinandersetzte, indem er uns umständlich seine Wahr- 
nehmungen in Bezug auf unsere Persönlichkeit erzählte. Wir 
erkannten daraus, welchen Gefahren wir unbewusst mit heiterer 
Miene entgangen waren. 

Jetzt galt es, eine Droschke zu erobern. Durch ein Miss- 
verständniss wurden wir nämlich nicht am Laudungsplatze er- 
wartet, und waren die Fuhrwerke sehr in Anspruch genommen. 
Die Schwierigkeit war um so grösser, als wir der rumänischen 
Sprache nicht mächtig sind. Wir waren an die Adresse eines 



i 



53 



Architekten Albert Schwanhäuser, eines unserer früheren 
Schüler in Kottbus, gewiesen, den aber Niemand am Hafen 
kennen wollte. Später erfuhren wir, dass man den genannten 
Herrn mehr nach seinem Vor- als Vatersnamen kannte. Es 
kam uns jedoch der glückliche Gedanke, unsere elegante 
Droschke, die wir einstweilen aufgetrieben hatten, nach dem 
deutschen Bierhause zu dirigiren. Es war ein weiter Weg, 
immer bergauf steigend auf schlecht gepflasterten und unge- 
pflasterten, zum Theil kothigen Strassen, obgleich es seit Wochen 
nicht geregnet hatte. Wir erreichten das deutsche Bierhaus, 
wo uns Herr Ulrich Waibl, Brauhausbesitzer, schon ungeduldig 
als längst verheissene Gäste erwartete und mit deutscher Freund- 
lichkeit und Herzlichkeit aufnahm. Er kannte schon unsere 
ganze Lebensgeschichte, Hess uns in das benachbarte Haus 
von Albert Schwanhäuser führen, wo meine Begleitung Woh- 
nung nahm, während ich es vorzog, bei dem Herrn Waibl 
mich einzuquartieren; der Mann hatte mir zu gut gefallen. 

Ein deutsches Bierhaus in Rumänien ist der Tempel der 
guten Sitte, die Zufluchtsstätte der Solidität. Die rumänischen 
Gasthöfe, als da sind in Braila: Hotel de Paris, de Lon- 
dres u. s. w., vor allen Dingen aber Victoria-Hotel, sind prunk- 
voll eingerichtet, im Grunde aber doch unsauber und sollen, 
so erzählt man, Spiel- und Lasterhöllen sein. Im Brauhause 
des Herrn Waibl war es aber vortrefflich ; gutes Logis, nahr- 
hafte Kost, deutsches Bier, prompte Bedienung, honette Gesell- 
schaft, z. B. eine Anzahl deutscher Ingenieurs, die Baumeister 
der von Dr. Strousberg in Angriff genommenen Eisenbahnen, 
gewährten einen behaglichen Aufenthalt und Hessen uns die 
wilden ungeordneten Verhältnisse, die uns umgaben, vergessen. 

Nach Säuberung und Erfrischung wurde unter Führung 
des Herrn Schwanhäuser ein Spaziergang in die Stadt unter- 
nommen, auf den grossen Platz, den Mittelpunkt des geschäft- 
lichen und geselligen Verkehrs. Das prunkvoll eingerichtete 
Kaffeehaus von Stonajovich und Marinesco fesselte zunächst 
meine Aufmerksamkeit. Man glaubt sich versetzt nach Paris 
in eins der grossen Kaffeehäuser am Boulevard des Italiens. 
Man findet Spiegel und Marmortische im Ueberflusse, zahlreiche 
Kunden im Freien vor dem Hause beschäftigt, Domino zu 
spielen, dabei den Kaffee zu schlürfen oder Eis oder Sorbets 



54 



zu geniessen. Um die Aehnlichkeit zu vervollständigen, waren 
die lebensgrossen Bildnisse des Kaisers Napoleon III. und 
seiner Gattin Eugenie im Salon aufgehängt. Nur die mehr- 
fach in grossen Lettern angebrachte Inschrift: Nu est e credit, 
d. h. hier wird kein Kredit gegeben, ist in Disharmonie mit 
Paris, wo man dergleichen Hinweisungen als gröbliche Unge- 
zogenheit erklären würde. Ebensowenig würde die Zigeuner- 
Musik einem kunstsinnigen Pariser Ohre schmeicheln; auch 
die Beleuchtung mit Petroleumlampen in Ermangelung der 
Gasbeleuchtung, wovon die Pariser Kaffeehäuser strahlen, würde 
bald enttäuschen. Die aus Herren, namentlich auch Offizieren 
mit ihren Damen bestehende Gesellschaft gab jedoch Paris 
nichts an Eleganz nach. 

Die Hauptmerkwürdigkeit in Braila ist das russische Denk- 
mal; es ist an dieser Stelle ein russischer General begraben, 
der dort 1825 am 6. Juni getödtet wurde. Das Denkmal ist 
eine Pyramide aus Gusseisen mit Inschriften, es erinneii an 
die Vertreibung der Türken, welche bis 1829 Braila als Festung 
inne hatten. Die Spitze der eisernen Pyramide ist gekrönt 
durch einen Halbmond, über welchen das christliche Kreuz 
gewissermassen hervorragt und den Halbmond überwältigt. 
Das Denkmal liegt eine Viertelmeile von der Stadt auf einer 
künstlichen Anhöhe, ist umgeben mit Baumanpflanzungen und 
Blumenbeeten und wird bewacht von einem daselbst wohnhaften 
Invaliden, der Erfrischungen feil hält. Man hat von der An- 
höhe eine weite Fernsicht über eine unermessliche flache Ebene, 
die im Norden von den Abhängen der Karpathen begrenzt 
wird, welche uns als die Gebirge von Buseo bezeichnet wurden. 
Der Blick schweift hier über weite Strecken unbebauten Lan- 
des, das nur zur Viehweide benutzt wird. Wir waren hier Zeugen 
eines Sonnenunterganges, der sich auf dieser überall einförmigen 
flachen Ebene wunderbar ausnahm. 

30. Braila und Oalatz. 

Die Städte Braila und Galatz, wo ich mich längere Zeit 
aufgehalten habe, gehören gewissermaassen zusammen. Es sind 
die Ausfuhrhäfen für die Erzeugnisse der Donaufürstenthümer. 
Was die äussere Physiognomie betrifft, so steigen beide von 
der Donau amphitheatralisch am Berge hinauf und imponiren 



55 



von Weitem gesehen. Ihre Entfernung beträgt nur 2^/2 deutsche 
Meilen. Braüa gleicht mehr unseren Städten, während Galatz 
ein überwiegend orientalisches Gepräge trägt. Braila hat 
ungefähr 40,000 Einwohner, Galatz deren 90,000. Beide Städte 
waren früher unter türkischer Botmässigkeit; nachher hatte 
sich Russland ihrer (1829) bemächtigt, das Kreuz hat über 
den Halbmond gesiegt ; jetzt gehören sie zu Rumänien, welches 
unter türkischer Oberhoheit steht. Ausser den türkischen 
Konsulaten leben aber nur wenig Türken (Muselmänner) in 
Rumänien ; Muselmänner können sich wegen ihrer abweichenden 
Sitten und Gebräuche immer nur in kompakter Masse er- 
halten. 

Braila und Galatz werden durch regelmässige Dampfschiff- 
fahrt verbunden auf der hier tiefen Donau. Ein in jeder 
Jahreszeit fahrbarer chaussirter Landweg zur Verbindung zwi- 
schen beiden Städten ist nicht vorhanden. Bei Regenwetter 
versinkt man in dem fruchtbaren fetten Erdreich, selbst mit 
leichtem Fuhrwerk ist nur mit Ochsengespannen durchzu- 
kommen. Im Herbste fährt das letzte Dampfschiff von Braila 
Nachmittags um 3 Uhr, von Galatz um 5 Uhr. Hat man 
später noch die Reise zu machen, so bleibt kein anderes Aus- 
kunftsmittel, als sich ein Fuhrwerk zu miethen, das für diese 
kurze Strecke mit zwei Dukaten bezahlt werden muss. Alle 
Dienstleistungen, wozu Vieh oder Menschen gebraucht werden, 
sind hier fabelhaft theuer. Dabei muss man durch eine Fähre 
über den Fluss Sereth gesetzt werden, der zwischen Braila 
und Galatz in die Donau mündet. Am Sereth finden sich 
hier ergiebige Weinberge (leider findet gar keine Veredelung 
der Weinstöcke statt, sie wachsen, so zu sagen, wild), wie er 
überhaupt fruchtbare Gegenden durchfliesst, aber nicht schiff- 
bar ist und nur zum Holzflössen benutzt werden kann. 

In diesem gesegneten Lande sind die Lebensmittel billig, 
weil im üeberfluss vorhanden. Ein Pfund Fleisch kostet nach 
unserem Gelde wenig über einen Silbergroschen. Geflügel wird 
gewöhnlich nur paarweise verkauft. Zwei fette Gänse werden 
für 3 Silber-Zwanziger = 20 Sgr. verkauft. Im Jahre 1867 
konnte man wegen Futtermangels eine Kuh mit ihrem Kalbe zu- 
sammen für 1 Dukaten kaufen, während man jetzt 8 bis 9 Dukaten 
für eine gute Kuh bezahlen muss. Englische Spekulanten hatten 



56 

daher zwischen Br. und G. eine grosse Schlächterei in gross- 
artigem Maassstabe eingerichtet, um Fleisch einzusalzen, einzu- 
pökeln und nach England zu versenden. Dieses Unternehmen 
ist aber auch missglückt, und stehen die weitläuftigen Baulich- 
keiten davon jetzt unbenutzt. 

Interessant ist ein Besuch auf dem Wochenmarkte. Ganze 
Berge von Wassermelonen sind dort aufgehäuft und werden zu 
einem Spottpreise von 15 Zentimen oder Pfennigen ausge- 
boten. Im vorigen Herbste gab es einen üeberfluss von Wein- 
trauben. Auf dem Markte waren Weinpressen angebracht, und 
wurde der frisch bereitete Most verkauft, woran sich die 
Marktbesucher labten. 

In Braila und Galatz fehlt es an gutem Trinkwasser, die 
Quellen liefern brakiges Wasser. Es wird daher das Donau- 
wasser filtrirt, namentlich mit Alaun geklärt, um es geniessbar 
zu machen. Das Wasser wird durch einspännige Fuhrwerke 
aus der Donau geholt und durch die Stadt vertrieben, auch 
durch die Gefangenen und Sträflinge unter militärischer Es- 
korte. Dagegen ist der Wein billig und gut, wenigstens un- 
verfälscht, kein chemisches Präparat, wie bei uns in der Regel. 
Man sieht daher viel Schilder mit der Inschrift: OlvoiroXeTov 
(Weinverkauf). Ein theurer Artikel ist die Feuerung, am bil- 
ligsten sind noch die englischen Steinkohlen, da der Land- 
transport von den Abhängen des Gebirges, wo sich in Rumänien 
ausserordenlich reiche Steinkohlengruben finden, wegen der 
Unwegsamkeit des Landes viel theurer zu stehen kommt, als 
der Transport zu Wasser von England aus. Holz ist unglaub- 
lich theuer. Unsere Klafter kommt in den Städten auf 12 Duka- 
ten zu stehen. Bei der luftigen Bauart der Häuser und der 
strengen Winterkälte, die an den Mündungen der Donau wider 
alles Erwarten eintritt, muss man oft 3 Mal am Tage heizen, 
um eine erträgliche Temperatur im Zimmer herzustellen. 

Braila hat noch ein einigermaassen europäisches Ansehen, 
obgleich doch auch schon dort, noch mehr aber in Galatz, Pa- 
läste mit Hütten, Ruinen, Misthaufen auf offener Strasse in 
echt orientalischer Weise abwechseln. Die Schweine und Hunde 
versehen die Funktionen des Schinders. 

Es befinden sich in beiden Städten Braila und Galatz 
grosse Judengemeinden, namentlich in Gälatz. Das gemeine 



57 



Volk ist in jenen Ländern noch so roh und ungesittet, dass 
die Juden vielfacher Unbill und Misshandlungen ausgesetzt 
sind. Dennoch sind die Zeitungsartikel über dortige Juden- 
hetzen oft tendenziös übertrieben und zum Theil erlogen, wie 
wenigstens der preussische Konsul in Galatz versichert. 

In Braila und • Galatz ist das Getreidegeschäft vorherr- 
schend. Es werden ungeheure Getreideverkäufe dort effektiv 
und fingirt abgeschlossen, man spielt ä la baisse und ä la 
hausse. Die Kommunal - Verwaltung in Braila besteuert ein 
jedes solches Geschäft mit anderthalb Prozent und verzichtet 
auf anderweitige Kommunalabgaben, wird dadurch aber reichlich 
entschädigt. Die Stadt Braila weiss factisch nicht, wie sie 
ihre Einnahmen verwenden soll. Es ist daher auf städtische 
Kosten ein Volksgarten eingerichtet worden zum Vergnügen 
der Einwohner; ebenso ist der grosse Platz in der Mitte der 
Stadt in einen schönen Park verwandelt worden. Dabei sind 
auf Kosten der Stadt eine Menge Schulen und Wohlthätigkeits- 
anstalten gegiündet worden. Eine grosse Oekonomie soll je- 
doch im städtischen Haushalt nicht beobachtet werden, noch 
weniger eine strenge Kontrolle. Der Oberbürgermeister ist 
bei allen städtischen Unternehmungen entweder Haupt-Entre- 
preneur oder wenigstens Kompagnon und wird dadurch in kurzer 
Zeit ein reicher Mann. Der Getreide-Export ist so bedeutend, 
dass bei unserer Anwesenheit über 400 Segelschiffe zwischen 
beiden Städten lagen, um Korn (Weizen und Mais hauptsäch- 
lich) zu verladen und zu exportiren. 

Im Jahre 1867 wurden 538,648 Wispel Weizen und Mais 
aus den Donaufürstenthümem exportirt, wovon über Sulina 
nach den Verbrauchsländern gingen 289,257 Wispel Weizen 
und 142,250 Wispel Mais. Im Jahre 1868 hat man den Be- 
trag des effectiven Getreidegeschäfts in Braila und Galatz auf 
40 Millionen preussische Thaler berechnet. In Verbindung mit 
dem Getreidehandel stehen die vielen Kornspeicher (granarium 
oder granaio), die man in Braila und Galatz findet, auch wird 
das Bäcker- und Müllergewerbe in grossartigem Maassstabe fa- 
brikmässig zum Export betrieben. 

Weder Braila noch Galatz haben Gasbeleuchtung, es bren- 
nen in beiden Städten hier und dort vereinsamte Petroleum- 
Lampen. In Braila giebt es wenigstens gute Nachtwächter, so 



58 



dass man bei nächtlicher Weile auf der Strasse für Sicherheit 
der Person nichts zu fürchten hat. Der Zustand der Strassen 
in Braila ist viel besser als in Galatz, wo man in dem Kothe 
an einigen Stellen ertrinken kann. 

In Galatz stecken die Häuser halb in der Erde, und sind 
nicht die unangenehmsten Räumlichkeiten, . z. B. die Speisesäle, 
selbst bei den Vornehmen, dort angebracht. Die eigentlichen 
Keller sind tief in die Erde gegraben, es sind oft nur in Lehm 
ausgehauene Gänge ohne alle Vermauerung und Verkleidung. 
Wir haben eins der grössten Weinlager von Galatz so besucht, 
wo wir mit brennenden Lichtern eine weite Wanderung durch 
unabsehbare unterirdische Gänge mit den Ingenieuren des 
Herrn Dr. Strousberg unternahmen, um die verschiedenen 
Jahrgänge zu prüfen. Die Moldau liefert ungeheure Weinerträge, 
trotz dieses Ueberflusses ist das Podagra dort unbekannt. 

Um die Unsicherheit des Lebens und Eigenthums in Ga- 
latz darzuthun, wollen wir nur einige Vorgänge aus der jüngst 
vergangenen Zeit mittheilen. Es wurde die Frau eines Bäckers 
Puhlmann (eines Schweizers, deren es in Galatz viele giebt, 
die eine eigene Kolonie bilden) in der Nähe der evangelischen 
Kirche in der Nacht in der Abwesenheit ihres Ehemannes, um 
das Haus zu berauben, ermordet. Der Verdacht fiel auf einen 
Lampenanzünder, indessen unterblieben geeignete Nachfor- 
schungen, weil die Polizei zu lau ist. Vor einem halben 
Jahre wurde aus der evangelischen Kirche ein silbernes Kru- 
zifix und ein Leuchter gestohlen, Geschenke eines Berliner 
Geheimsekretärs, im Werthe von 500 Thalern. 

Das bedeutendste Exportgeschäft in Galatz ist das von 
Secchiara Argenti mit Filialen in Konstantinopel und London. 
Die grössten Norddeutschen Firmen sind Lüddemann und 
Römer, Pauli und Jarchow {Getreideexportgeschäfte). Es ist 
in Galatz eine Bank, jetzt Banque de Roumanie genannt, früher 
Banque Ottomane, mit Kommis aus Berlin. 

Die evangelische Kirche hat nebst Pfarrhaus 3000 Duka- 
ten gekostet, welche von 300 Mitgliedern der Gemeinde auf- 
gebracht worden sind. Das grösste Verdienst um diesen Bau 
hat der preussische Konsul Blücher sich erworben. Wir haben 
dort einem Sonntagsgottesdienste beigewohnt und so den evan- 
gelischen Prediger Oskar von Kretschmann und den Lehrer 



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Hornig kennen lernen ; in Braila heisst der evangelische Pfarrer 
Hornemann. 

Das preussische Konsulat in Galatz ist hier in der Callea 
Trajan. Für den römischen Kaiser Trajan ist längs der Donau 
ein wahrer Kultus. 

Die Namen der Strassen sind in beiden Städten an den 
Ecken angeschlagen. Unser Landsmann Ulrich Waibl wohnt 
in Braila in der Strada Prusiana sub Urba St. Petru. 

Jede Nationalität hat hier ihre eigene Postanstalt, die 
Deutschen werden von der östreichischen Post bedient, sonst 
giebt es eine französische, englische und russische Post. Alle 
Hauptorte von Rumänien sind indessen durch Telegraphen- 
Dräthe verbunden und findet eine geregelte Depeschen-Beför- 
derung statt. 

Die Musik wird von den Zigeunern besorgt, die in beiden 
Städten eigene Stadtviertel bewohnen, in welche es nicht ge- 
heuer ist, sich bei Dunkelheit hineinzuwagen. Ausserdem ist 
fast in jedem grossen Hotel eine kleine italienische Sängerge- 
sellschaft für den Winter engagirt, um allabendlich durch Ge- 
sangvorträge die Gäste zu erheitern. In jeder der beiden 
Städte geben auch ambulante Schauspielergesellschaften in 
italienischer oder deutscher Sprache Vorstellungen, wo mei- 
stens die niedere Posse blüht und Oflfenbach ein dankbares 
Publikum für seine Operetten findet. 

In Braila und Galatz wird ein bedeutender Handel mit 
landwirthschaftlichen Maschinen getrieben, es sind dort Kom- 
manditen von Clayton, Shuttleworth u. Comp, aus England, 
geleitet von Walker und Hartmann, vorhanden. 

Es ist nach Braila und Galatz, wo Geldüberfluss ist, immer 
noch ein gutes Geschäft auch von hier aus zu machen. So 
haben wir erfahren, dass die hiesige Firma Kronthal und Söhne 
dorthin Möbel exportirt. 

Unwillkürlich drängt sich uns der Gedanke auf, was wohl 
aus so günstig gelegenen Städten, wie Braila und Galatz sind, 
werden könnte, wenn Gesittung und Bildung dort auf derselben 
Stufe, wie in Deutschland ständen: es müssten dort Gewerb 
fleiss, Handel, Kunst und Wissenschaft blühen und allgemeiner 
Wohlstand herrschen. 



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31. Bumänien und die Rumänen. 

Die Donaufürstenthümer umfassen in ihrem jetzigen Areal 
ein Gebiet von 2100 rh. Quadratmeilen mit 4 Millionen Ein- 
wohnern. 

Der Rumäne ist im Allgemeinen träge und genügsam. 
Das Unglück ist, dass er zu wenig Bedürfnisse hat, welche er 
bei der üppigen Ergiebigkeit und dem milden Klima seines 
Heimathlandes zu leicht befriedigen kann. Den ganzen Werth 
des Anzuges eines gewöhnlichen Walachen kann man in der 
guten Jahreszeit auf einen preussischen Thaler veranschlagen. 
Auf Kleidung geben die Wulachen sehr wenig, ihre Körper- 
konstitution ist stark genug, um ohne Schutz den Witterungs- 
einflüssen Trotz zu bieten. Ihre Kleidung ist einfach; so sahen 
wir selbst walachische Soldaten als Schildwachen auf Posten 
in grünen oder rothen wollenen Kamisolen : helle Farben schmei- 
cheln ihrem Geschmack, denn jeder Walache ist ein gebomer 
Dichter mit ausschweifender Phantasie. 

Die Natur hat den Rumänen reiche Hülfsquellen gespen- 
det, deren Ausbeutung und Verwerthung sich leider noch in 
der Kindheit befindet; z. B. fliessen an den Abhängen der 
Karpathen in Rumänien reiche Petroleumquellen. Es existiren 
in Bra'ila und Galatz Raffinerien von Petroleum, Fabriken ge- 
nannt, in Braila eine französische und eine englische Unter- 
nehmung. Das walachische Petroleum ist als Maschinenöl 
dem amerikanischen vorzuziehen. 

Der ganze Gewerbefleiss ist in den Händen fremder Na- 
tionalen, der solide Handwerkerstand wird von evangelischen 
Deutschen gebildet, die Fabrikindustrie meistens von Franzo- 
sen und Engländern geleitet; die Handelsvortheile kommen 
den Juden und Griechen zu Gute, die in grosser Anzahl hier 
leben, und zwar betreiben die Griechen den Grosshandel. Der 
landesübliche Zinsfuss ist zwölf vom Hundert. Die Rechnungs- 
legung geschieht gewöhnlich auf dem Tische mit Kreide oder 
auf dem Rücken der Brieftasche mit Bleistift. 

Der wohlhabende Handwerker- und Baumeisterstand wird 
in Rumänien von evangelischen Deutschen gebildet, welche 
aus eigenen Mitteln sich Kirchen gebaut haben und ihre Geist- 
lichen und Schullehrer besolden. Es sind neun deutsche evan- 



61 

gelische Kirchsprengel in den Donaufürstenthümem und den 
umliegenden damit in Verbindung stehenden Gebieten vorhan- 
den und zwar in 1) Jassy, wo ein früherer Posener Lehrer, 
Namens Wagner, den Kirchengesang leitete, 2) Bukarest, 
3) Galatz, 4) Brai'la, 5) Ploesti-Piteschti, 6) Krajova, 7) Turn - 
Severin, 8) Belgrad und 9) in der türkischen Dobrudscha. Diese 
neun evangelischen Kirchsprengel stehen unter einem Oberkir- 
chenrath, der sie alle zwei Jahre zu einer Konferenz versammelt. 
Es giebt hier eine Menge religiöser Bekenntnisse: 

1) Orthodoxe und Reform-Juden, 

2) Lipowanen; sie zerfallen in zwei Klassen, nähern sich der 
griechischen Kirche, wählen sich aus ihrer Mitte einen Geist- 
lichen, haben keine eigentliche Popen; die orthodoxe Partei 
hält starr an ihren Grundsätzen fest, wonach das Tabakrauchen 
verboten ist, überhaupt die grösste Massigkeit und Enthaltsam- 
keit vorgeschrieben, Umgang mit Fremden ausgeschlossen wird, 
so dass das Gefäss, woraus ein Fremder getrunken hat, für 
unrein gilt. 

3) Armenische Christen, zerfallen in a. orthodoxe, b. ka- 
tholische, c. evangelische. 

4) Katholiken (Römische). 

5) Evangelische Christen, darunter entschieden Reformirte 
(Ungarn). 

6) Griechische Christen, a. orthodoxe, b. walachische. 

7) Baptisten. 8) Methodisten. 9) Muselmänner, aber ohne 
Moschee, haben eigene religiöse Zusammenkünfte. 10) Micha- 
laner, oder die Heiligen der letzten Tage, auch Stundengänger, 
ist eine Sekte, gestiftet in Kronthal in Würtemberg von Hoflf- 
mann, welche Jerusalem wieder aufbauen wollen. 

Die Walachen haben wunderbare Gebräuche bei Todes- 
fällen. Es wird 40 Tage nach dem Tode einer Person von 
den Angehörigen ein Handtuch herausgehängt, womit sich der 
Todte abtrocknen soll. Es finden Pomanen, d. h. Leichen- 
schmausereien, statt, wo jedes Uebermaass im Essen und 
Trinken gestattet ist. Das erste Festgelage findet statt 7 Tage, 
das zweite 7 Wochen, das dritte 7 Monate und das vierte 
7 Jahre nach dem Tode. Beim Begräbniss werden Klagewei- 
ber bezahlt, die die Luft mit ihrem Wehegeheul erfüllen und 
sich anstellen, als ob sie ins Grab hineinspringen wollten und 



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nur mit Gewalt davon zurückgehalten werden. (Reine Komö- 
die !) Allgemein ist der Glaube an Vampyre (herumwandelnde 
Leichen) verbreitet. 

Die Interessen der Deutschen stehen unter dem Schutze 
des Norddeutschen Bundes, der in Bukarest einen General- 
konsul, in Jassy einen Konsul, in Galatz einen Vizekonsul 
unterhält. Die preussischen konsularischen Agenten gemessen 
auch hier ein hohes wohl verdientes Ansehen wegen ihrer Un- 
bestechlichkeit, Rechtlichkeit und ihres Eifers, womit sie sich 
ihrer Landsleute annehmen; ganz besonders geschieht dies in 
Rücksicht auf den Herrn Blücher, der seit einer langen Reihe 
von Jahren Preussen in Galatz vertritt und durch seine grosse 
Unabhängigkeit und Energie, so wie durch seine zuvorkom- 
mende Gefälligkeit und liberale Gastfreundschaft alle Preussen, 
welche das Geschick in jene Regionen führt, zu Danke ver- 
pflichtet. 

Wie die verschiedensten Nationalitäten in den Donaufür- 
stenthümern zusammenwohnen, kursirt auch alles mögliche 
Geld. Die einheimische Münze ist der Frank, jedoch mehr 
im idealen Sinne, da das alte Silbergeld in Zwanzigern (gleich 
dem dritten Theile eines östreichischen Guldens im Werthe 
von 20 Sgr.) am meisten im Umlauf ist. Die meisten Gold- 
und Silberstücke, die einem vor Augen kommen, sind durch- 
bohrt , weil sie von dem Landvolk auf Schnüren gereiht um 
den Hals und Kopf als Schmuck und Zierrath getragen wer- 
den. Sonst findet man ausser französischem Gelde noch tür- 
kisches und russisches. Ein russischer Rubel (rubla russecca 
de Argint) gilt 4 Franken (rumänisch). In Rumänien ist das 
Metersystem mit allen seinen Konsequenzen gesetzlich einge- 
führt, hat sich aber in dem niederen Verkehr noch nicht Bahn 
gebrochen. Theorie und Praxis sind überhaupt in Rumänien 
mehr noch wie in jedem anderen Lande in Zwiespalt begriffen. 

22. Ein Ausflug in die Dobrudscha. 

Die drei Tage vom 23. bis 25. September wurden einem 
Ausfluge in die Dobrudscha gewidmet. Wir wurden dazu von 
Braila abgeholt von dem uns befreundeten Dr. More, einem 
Franzosen, der früher in Posen die Gasanstalt gebaut, jetzt 



63 



aber eine Besitzung in der Türkei und zwar in derDobrudscha 
erworben hat. Er wollte uns seine häuslichen Einrichtungen 
zeigen und eine Anschauung von seiner Lebensweise in diesen 
wilden Gegenden geben. 

Schon am Tage vorher hatten wir unsern Reisepass auf 
dem türkischen Vizekonsulate in Braila visiren lassen. Da die 
Türkei damals in Kriegsbereitschaft gegen Rumänien war, so 
fand auf der türkischen Grenze eine genaue Prüfung der 
Reisenden statt. Aber auch bei meiner Abfahrt von Braila 
musste ich mich bei den moldauischen Grenzbehörden legi- 
timiren. 

Unsere üeberfahrt über die eigentliche Donau, in welche 
Braila gegenüber auf türkischem Gebiete die sogenannte alte 
Donau mündet, dauerte etwa 20 Minuten. Die Fährleute sind 
ganz geschickt, namentlich die türkischen, und verstehen es, 
das Boot gehörig zu lenken, um den vielen Segel- und Dampf- 
schiffen, wodurch der Strom hier belebt ist, gefahrlos auszu- 
weichen. Auf türkischem Gebiete musste ich mancherlei Pass- 
formalitäten erfüllen, während Dr. More mit den türkischen 
Beamten, weil er öfter passirt, gut befreundet ist. Ueberall 
musste ein Backschisch (Trinkgeld) erlegt werden, in der Tür- 
kei „nie ohne dieses". Die türkischen Beamten gleichen un- 
verschämten Bettlern. Dabei waren sie bis an die Zähne be- 
waffnet ; in ihrem Gürtel steckten geschliffene Dolche, ein lan- 
ges Messer, Yatagan genannt, und gewöhnlich ein Paar gela- 
dene Pistolen. Sie selbst sahen dabei ganz harmlos aus, na- 
mentlich in einer Art Schenke, wo sie mit untergeschlagenen 
Beinen auf dem sogenannten Divan, einer Art Bank rund um 
das Zimmer die Wand entlang laufend, sassen uijd Tabak 
rauchten aus Tschibucks und Narguiles (wo der Dampf durch 
eine Karaffe Wasser gezogen und abgekühlt wird). Einzelne, 
gegen die Vorschriften des Korans verstossende Türken, 
stachelten auch durch Libationen von Mastick (eine Art 
Wacholder-Ajiisette-Schnaps) ihre Lebensgeister an. 

Die Dobrudscha ist die nordöstlichste Provinz der euro- 
päischen Türkei, begrenzt westlich von der Bulgarei, nördlich 
von der Donau, deren ganzes Mündungsgebiet dazu gehört, 
und östlich vom Schwarzen Meere. Der Theil der Dobrudscha, 
welchen wir besuchten, ist gesund gelegen; es erstrecken sich 



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bis an die Donau die Ausläufer des Balkan-Gebirges, und in 
einer Entfernung von zwei Meilen von der Donau erheben sich 
die Gebirge schon bis auf ein Tausend Fuss. Auch sind die 
Abhänge dieser Gebirge etwas bewaldet, so dass die dabei 
überaus fruchtbare Gegend nicht ohne landschaftlichen Reiz 
ist. Ungesund dagegen sind die Landstrecken zwischen den 
verschiedenen Armen, in welche sich die Donau spaltet, ehe 
sie in das schwarze Meer mündet, z. B. von Tultscha ab bis 
nach Sulina ; dort herrschen wegen der häufigen üeberschwem- 
mungen fortwährend Fieber. Der von uns besuchte Theil der 
Dobrudscha ist indessen in jeder Beziehung ein angenehmer 
Aufenthaltsort für Menschen, und gewähren die felsigen Donau- 
ufer an manchen Stellen einen angenehmen Anblick und eine 
ausgedehnte Femsicht. 

Hart am Rande der Donau entlang fahrend auf schwerem 
Boden, der bei trockener Witterung, wie im vergangenen 
Herbste, kunstlos eine vortreffliche Fahrstrasse liefert, gelang- 
ten wir bald nach der türkischen Stadt Matschin, dem Arru- 
bium der Römer. Es ist dies im Allgemeinen ein offener Ort, 
nur einzelne Verschanzungen sind an den äussersten Ecken 
aufgeworfen, die aber wohl für die heutige Kriegskunst nicht 
viel bedeuten. Matschin wird über 6000 Einwohner zählen, 
es wird dort ein lebhafter Handel betrieben, namentlich mit land- 
wirthschaftlichen Erzeugnissen. Es residirt dort ein Unter- 
pascha (Kaimakan). Gegenwärtig war die Stelle vakant, weil 
der bisherige Inhaber bei einem Besuche, den ihm der tür- 
kische Vizekonsul aus Bra'ila abstattete, erschossen worden ist. 
Der Kaimakan war nämlich in den Besitz eines Revolvers ge- 
langt, den sich der Vizekonsul besah, aus Unvorsichtigkeit 
und Ungeschicklichkeit aber den Hahn losdrückte und so seinen 
Gastfreund todt niederstreckte. Es ist ihm dafür nichts weiter 
geschehen, er verwaltet noch heute das Vizekonsulat, wird sich 
künftig aber wohl hüten, mit Schiessgewehren zu spielen. 

Wir statteten in Matschin zwei Besuche ab. Unser erster 
Besuch galt einer griechischen Kaufmannsfamilie, wo Vater, 
Mutter, Neffe und zwei Töchter, letztere nach griechischer 
Art kokett ausgeputzt, anwesend waren. Die Geschäftslokale 
waren zur ebenen Erde, die Familienwohnung im ersten Stocke, 
wozu die Treppe ausserhalb des Gebäudes auf dem Hofe an- 



65 



gebaut war. Es war auch noch ein äusserer überdachter 
Gang in der oberen Etage angebracht, nach orientalischer 
Sitte, wonach man mehr im Freien Lebt als bei uns. In der 
Mitte des oberen Stockwerks befand sich ein grosser sechs- 
eckiger Saal, wovon nach allen Seiten Thüren zu den Wirth- 
schaftsräumen (Küche, Speisekammern und den Schlafzimmern) 
führten. Die Betten waren bei Tage als Sophas hergerichtet. 
An der Wand des Saales war eine Bank (Divan) mit Sitzen 
aus geflochtenem Stroh angebracht. Das ganze Haus war 
sehr reinlich gehalten. Dass die Photographie, auch bis Mat- 
schin gedrungen ist, bewies uns das dortige Schaufenster eines 
ausübenden Künstlers. Die Familienphotographien verzierten 
die Ecken des Spiegels, waren aber noch sehr unvollkommen. 
Wir wurden mit Wasser, Konfitüren und nachher mit Kaffee 
bewirthet, mit liebenswürdiger Freundlichkeit und Theilnahme 
behandelt und beim Abschiede begleitet. 

Den zweiten Besuch statteten wir bei einer bulgarischen 
Familie ab. Das Wohnhaus war schon mehr in die Erde 
hineingebaut und hatte noch so etwas von einer Erdhöhle. 
Man setzte uns Rosenkompot vor, das lieblich duftete und 
ganz angenehm schmeckte. 

Matschin wird grösstentheils von Türken bewohnt, es fehlt 
daher nicht an Moscheen und Minarets; im Ueberflusse sind 
natürlich Kaffeehäuser vorhanden, wo die türkischen Müssig- 
gänger die Zeit in Gedanken- und Geschäftslosigkeit verträu- 
men, während die türkischen Frauen, wenn auch verschleiert, 
alle groben Arbeiten verrichten und sich gehörig plagen müs- 
sen. Bei den Türken hat die Frau keine gesellschaftliche 
Stellung, sie ist zugleich die Sklavin und die Buhlerin ihres 
Mannes, ohne irgend welche Gleichberechtigung ; der Mann ist 
nur verpflichtet, seine Frau zu ernähren. Fast alle Arbeiten 
auf dem Felde werden von den türkischen Frauen verrichtet. 
Man kann dreist behaupten, dass der ganze Fluch des Islam 
in der Herabwürdigung der Frau besteht und er an diesem 
Schaden zu Grunde geht: es ist dies sein wunder Fleck. 

Unser Weg führte uns darauf nach einem von russischen 
rechtgläubigen Christen (Lipowanen) bewohnten Kolonie-Dorfe 
Karkali. Dasselbe kontrastirt wesentlich mit seinen nächsten 
Umgebungen, Man beobachtet Ordnung, Reinlichkeit und 



5 



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Wohlstand. Das Gotteshaus mit seinem stattlichen Thurm 
versetzt uns in Gedanken in gut zivilisirte Länder. Die Sitt- 
lichkeit der Lipowanen soll untadelig sein ; es sind nüchterne, 
enthaltsame und arbeitstüchtige Menschen: man rühmte uns 
an ihnen absolute Moralität. Mehrere Dutzend von Wind- 
mühlen, welche das Dorf umgeben, erinnerten uns lebhaft an 
unsere einheimischen kleinern Städte. Aber die Landwege 
sind viel schlechter als bei uns. Dies empfanden wir auf eine 
unangenehme Weise. Indem wir in Ermangelung einer Brücke 
eine Fuhrt durch einen kleinen Nebenfluss der Donau passir- 
ten, versanken wir bis über die Deichsel im schlammigen Bo- 
den, und nur durch grosse Anstrengungen gelang es uns, uns 
hinauszuarbeiten, um unsere Fahrt fortzusetzen. 

So erreichten wir nach dreistündiger Fahrt den Wohnsitz 
des Dr. More, der hier einen Landbesitz von gegen 20,000 
rheinischen Morgen sein Eigenthum nennt, mit der ihm von 
der türkischen Regierung auferlegten Verpflichtung, denselben 
in gute Kultur zu bringen. Das ist leicht gesagt, aber schwer 
ausgeführt. Boden und Klima sind überaus günstig, die Fahr- 
strasse der Donau abwärts nach den Emporien Braila und 
Galatz erlaubt auch eine gute Verwerthung der gewonnenen 
Erzeugnisse, aber die Arbeitskraft ist dort selten und über- 
mässig theuer. Dazu kommt, dass grosse Trockenheit, wie sie 
seit mehreren Jahren dort geherrscht hat, namentlich auch 
im verflossenen Jahre, die Getreideernte fast vernichtete. An 
Heu sahen wir jedoch Ueberfluss, und wuchsen die Unkräu- 
ter auf den unangebauten Aeckern mannshoch. Indessen hat 
die Besitzung den grossen Vorzug, ausgezeichnete Kalkstein- 
brüche, und zwar unmittelbar an der Donau gelegen, zu be- 
sitzen. Der hier gebrochene Kalkstein eignet sich vorzüglich 
zum Brennen und liefert vortreffliches Baumaterial, als welches 
auch die Granitsteinbrüche nicht zu verachten sind (nament- 
lich zu Wegebauten), welche sich auf dem Territorium des 
Dr. More vorfinden. 

Die Viehzucht wäre hier eine vortre£fliche Hülfsquelle, 
und unterhält Dr. More in der That zahlreiche Viehheerden, 
die sehr rentabel wären, wenn das Eigenthum hier nicht 
so blossgestellt wäre. Um Iglitza, wie die Ortschaft heisst, 
deren Besitzer Dr. More ist, wohnt aber sehr heterogenes Ge- 



67 

sindel (Bulgaren, Tscherkessen, Tartaren), denen das Verständ- 
niss für Eigenthumsrechte abgeht. 

Die Donau ist hier so fischreich, dass man sich beim 
Baden beinahe fürchten möchte, indem sich die Fische von 
allen Seiten in die Höhe über das Wasser schleudern, und 
man geneigt ist, die Nähe grösserer Ungeheuer, wie Haifische, 
zu argwöhnen, die Vergnügen daran finden könnten, die Arme 
und Beine, wohl auch den Kopf des Schwimmers abzubeissen. 
Dreimal habe ich mich jedoch hier in der tiefen Donau ge- 
badet, deren Wasser wunderbar weich und fettig ist und die 
Seife erspart; man empfindet ein sonst unbekanntes Böhagen 
in diesem Wasser, das trotz der vorgerückten herbstlichen 
Jahreszeit immer noch eine anständige Temperatur von 18^ R. 
zeigte. Der Fischreichthum ist so gross, dass Dr. More oft 
bei einem Zuge mit dem Netze deren über einen Centner fan- 
gen lässt. Es werden Stierle (junge Störe), Hausen, Lachse 
u. s. w. gefangen,, alle ganz schmackhaft; man sieht, dass 
man hier nicht Gefahr läuft, zu verhungern. 

Als geologische Merkwürdigkeit verdient ein abgerundeter 
Fels erwähnt zu werden, der sich am anderen Ufer der Donau, 
Iglitza gegenüber, mitten in der Ebene zu einer Höhe von 
einigen Hundert Fuss erhebt. Das Gestein ist Gneiss. Der Fels 
ist sichtlich durch vulkanische Kräfte emporgehoben worden. 

Um einen Begriff von der hier herrschenden Rechtlosig- 
keit zu geben, genüge es, eine Thatsache zu erzählen. Der 
Pascha Soliman der Dobrudscha hat einen Bulgaren, der zu 
' Beschtepeh (Fünf Hügel) bei Tultscha ansässig ist, zu 20 Jahr 
Gefängniss verurtheilt, weil derselbe ein Goldstück aus den 
Zeiten Alexanders des Grossen auf seinem Acker gefunden 
hatte, der Pascha aber argwöhnte, der Bulgare habe einen 
grossen Schatz entdeckt, den er ihm verheimlichen wollte. 

Um die Umgegend kennen zu lernen, fuhr Dr. More mit 
mir nach einer der wunderbarsten Ortschaften in Beziehung 
auf die Verschiedenheit ihrer Bewohner, die mir je vorgekom- 
men sind. Der Ort heisst Gretschi, liegt 1 1/2 Meilen von Iglitza^ 
nach dem Gebirge zu und fast an den Abhängen desselben. 
Auf dem halben Wege fanden wir eine Zisterne (Ziehbrunnen) 
mit vorzüglich gutem Quellwasser zum Vortheile der Reisen- 
den, die den mit Wasser gefüllten Eimer an den Kopf nehmen, 

5* 



68 

um zu trinken. Wir konnten nicht umhin, das Wasser zu 
kosten, und fanden es deliziös. . In der Nähe dieses Zieh- 
brunnens waren Gemüsegärten angebaut, worin wir eine sorg- 
fältige Kultur wahrnahmen. 

Die Ortschaft Gretschi besteht aus vier gesonderten Dör- 
fern, wovon das eine von Türken, das andere von Tscherkes- 
sen , das dritte von Bulgaren und das vierte von Tartaren 
bewohnt wird. Am meisten gesittet davon sind die Bul- 
garen, welche Ackerbau treiben. Die Tartaren beschäf- 
tigen sich mit Viehzucht; wir sahen grosse Schaf- und 
Ziegenheerden, die ihnen angehörten. Ihre Wohnungen sind 
in die Erde gebaut. Es sind sanfte Leute, von denen man 
nichts zu fürchten hat, weil sie wenig Bedürfnisse haben, ihre 
Kinder lassen sie z. B. fast nackt herumlaufen. Die Türken 
ergeben sich dem Müssiggange und verbringen ihre Zeit im 
Kaifeehause; da dieselben stark mit Läusen infizirt sind, die 
sie aus Thierfreundlichkeit nicht tödten, sondern nur wegwer- 
fen, ist ihre Nähe zu vermeiden. Die schlimmste Sorte von 
Leuten sind jedoch die Tscherkessen, die aus Russland haben 
auswandern müssen und hier zum Schrecken der Bevölkerung 
in der Dobrudscha einen Zufluchtsort gefunden haben. Die 
Tscherkessen sind Diebe und Meuchelmörder, nur Mühlsteine 
und glühendes Eisen lassen sie liegen, sonst sind sie massig, 
rauchen nicht Tabak, trinken keinen Wein, begnügen sich 
mit trocknem Mais als Nahrung, kleiden sich aber mit einer 
gewissen Gefallsucht in grüne Gewänder. Ihr Auge ist 
scheu und unstät ; sie sind gewöhnlich mit geladenen Pistolen 
bewaffnet, tragen die Patronen dazu auf der Brust. Als wir 
neugierig uns in ihrem Dorfe umsahen, versammelten sich 
einige Tscherkessen um uns. Es erregte ihr Missfallen, dass 
ich mir Aufzeichnungen in meinem Tagebuche machte, und 
schon sah ich verdächtige Bewegungen, als ich auf einen Wink 
des Dr. More meine Brieftasche einsteckte, und so vielleicht 
der Erdolchung entging. Ein Menschenleben ist hier eine ge- 
ringfügige Sache, zumal kaum eine gerichtliche Verfolgung 
durch einen Mord veranlasst wird. Als Dr. More neulich an 
einem Zaune im tscherkessischen Dorfe anfuhr, Hessen sich 
sofort vier Flintenläufe aus verschiedenen Fenstern blicken. 
Es ist eine grosse Unvorsichtigkeit von der türkischen Regie- 



69 

rung gewesen, diese aus Russland verbannten Tscherkessen 
bei sich aufzunehmen und dadurch Eigenthum und Leben der 
eigenen ünterthanen zu gefährden. 

In Rücksicht auf die Tartaren wollen wir noch bemerken, 
dass sie Leichen verzehren. So ist es neulich in Tultscha, 
der Hauptstadt der Dobrudscha, vorgekommen, dass ein Kind 
in Brod verbacken und aufgespeist worden ist. 

um den Fleiss der bulgarischen Frauen zu bezeichnen, 
wollen wir erwähnen, dass uns öfter Frauen begegnet sind, die 
beim Gehen unterwegs auf einer Spindel Wolle spannen. 

In Rücksicht auf den Bau der Häuser in Gretschi be- 
merken wir, dass fast alle Häuser einen Vorbau haben, der 
mit Stroh und Rohr überdacht ist. 

Ausser den vier genannten Nationalitäten haben sich in 
Gretschi noch Griechen und Juden angesiedelt und den Handel, 
die Schenken und Kaffeehäuser übernommen. Der Handel mit 
landwirthschaftlichen Erzeugnissen ist nicht unbedeutend und 
sahen wir hier Vorräthe von rohen Schaffellen aufgespeichert. 

Der Besuch eines Weingartens gewährte mir besonderes 
Vergnügen. Die Natur ist hier so verschwenderisch mit ihren 
Gaben und verlangt von den Menschen nur geringe Anstren- 
gungen. Der gutmüthige bulgarische Eigenthümer, hoch in 
den Achtzigern, gestattete uns gastfreundlich, eine reiche Pro- 
vision der schönsten blauen und weissen Trauben zu machen, 
womit wir unser Fuhrwerk beluden. 

Unwillkürlich drängt sich dem aufmerksamen Beobachter 
die Frage auf, was könnte aus diesem ergiebigen Lande wer- 
den, wo Gottes Segen reichlich waltet, wenn es von einem 
thätigen, einsichtsvollen und gesitteten Volke bewohnt wäre, wo 
Rechtsschutz stattfände, Leben und Eigenthum gesichert wären. 

Nach unserer Rückkehr machten wir noch beim Monden- 
scheine einen Spaziergang an der Donau und besuchten einige 
der zahlreichen türkischen Wachtposten, die in dieser kriege- 
rischen Zeit die ganze türkische Grenze entlang, Rumänien 
gegenüber, bivouakiren. In der unmittelbaren Nähe des Wohn- 
hauses des Dr. More war eine grosse Hütte aus Baumstämmen 
und Stroh zum Schutze eines aus etwa 16 Mann bestehenden 
Wachtpostens aufgeschlagen. Die Baumaterialien hatten sie 
natürlich genommen, wo sie sie hatten finden können, ohne 



70 

den Gnindeigenthümer zu fragen. Diese Wachtposten werden 
aus einer Art Landwehr oder Landsturm gebildet, die wunder- 
lich equipirt waren und, wochenweise abgelöset, zu ihren bür- 
gerlichen Beschäftigungen entlassen werden. Sold erhalten 
sie nicht, sie sind auf Raub und Plünderung angewiesen, nur 
mit Waffen werden sie von der Regierung versehen. Dass es 
keine Freude ist, in einem solchen Lande Gutsbesitzer zu sein, 
ist erklärlich; er muss gute Miene zum bösen Spiele machen 
und sich in ein gutes Einverständniss mit den Leuten setzen, 
die freilich mehr einer Räuberbande, als einer Miliz ähnlich 
sehen. Indessen akklimatisirte ich mich auch bei diesen Leu- 
ten und habe in mitternächtlicher Stunde mich furchtlos un- 
ter ihnen aufgehalten und ilir Treiben angesehen. 

Bei den verschiedenen Wachtposten, welche wir besuch- 
ten, haben wir uns nach der Konfession der Soldaten erkun- 
digt, und können als Thatsache verbürgen, dass nur Muhame- 
daner (eigentliche Türken) zum Kriegsdienst als allein zuver- 
lässig verwendet werden. 

Als Eigenthümlichkeit beim Reisen auf Landwegen in der 
Dobrudscha können wir noch anführen die knarrende und 
quietschende Musik, welche die ungeschmierteu Wagenachsen 
bei jedem Fuhrwerk, dem man begegnet, verursachen. 

23. Römische Bninen in der Dobrndsclia. 

Dr. More ist Besitzer der Ruinen der römischen Stadt 
Troesmis in der heutigen Dobrudscha, in der früheren römi- 
schen Provinz Moesia inferior. Auf den Ruinen dieser Stadt, 
die durch Brand eingeäschert worden ist, wie die Aschenhaufen 
beweisen, die in vielfachen Schichten bei den Ausgrabungen 
zum Vorschein gekommen sind, ist später ein befestigtes Lager 
für die erste italienische und fünfte mazedonische Legion 
erbaut worden. Diese Ruinen enthalten einen reichen Vor- 
rath von Inschriften, die über militärische Verhältnisse 
der alten Römer manche erwünschte Auskunft geben; auch 
kann man daraus die Art der Römer, zu bauen, ihre Be- 
festigungsmethode und Vertheidigungskunst erkennen. Die 
französische Regierung, deren Kaiser Napoleon IlL sich mit 
Vorliebe dem Studium der römischen Geschichte widmet, sich 



71 



selbst zum Vorbilde den grossen Julius Cäsar genommen und 
als sein Doppelgänger in der modernen Geschichte glänzen 
möchte, hat daher den Ruinen von Troesmis eine besondere 
Aufmerksamkeit gewidmet und die werthvoUsten Monumente 
und Inschriften nach Paris schleppen lassen, wo sie in der 
k. Bibliothek aufbewahrt werden. Die französische Regierung 
hat an den Donau-Mündungen einen Kriegsdampfer stationirt, 
um rechtzeitig von allen Agitationen, die dort vorgehen, wo 
bald die Fackel des Krieges in hellen Flammen auflodern 
wird, unterrichtet zu sein *). Gegenwärtig kursirt das Aviso- 
Schiff „Le Magicien" unter dem Kommando des Fregatten-Ka- 
pitäns de la Richerie in jenen Gewässern; es hat Monate lang 
bei Iglitza, der Besitzung des Dr. More, gelegen; an seinem 
Bord waren mehrere französische Antiquare, die auf kaiserl. 
Befehl die römischen Ruinen durchforschten und mit Erlaub- 
niss des Grundeigenthümers die besten Spezimina einschifften. 
Aus besonderer Vorliebe für Preussen hat Dr. More jedoch 
auch der Berliner Akademie von dieser Fundgrube römischer 
Alterthümer Kenntniss gegeben, und hat Professor Mommsen 
sich der Sache angenommen, auch bereits eine Anzahl dortiger 
Inschriften veröffentlicht. 

Wer daran zweifeln sollte, dass die Römer eine grosse 
Nation gewesen sind, mag von den zahlreichen Ueberresten 
Kenntniss nehmen, welche mehr als 1600 Jahre alle Zerstö- 
rungen überdauert und allen Witterungsverhältnissen wider- 
standen haben. Er möge die Ufer der unteren Donau, nament- 
lich das rechte, durchforschen und sich überzeugen von der 
Grossartigkeit der Vertheidigung, welche die Römer auf einer 
Strecke von über 100 deutschen Meilen gegen die nördlichen 
Barbaren, denen sie doch schliesslich unterlagen, in Szene 
gesetzt haben. 

Die Gegenwart legt heute noch ein unwiderlegliches Zeug- 
niss ab von dem gewaltigen Römerreiche. So finden wir z. B. 
in Trier (Augusta Trevirorum) römische Monumente, wie die 
Porta nigra, die uns in Staunen versetzen. In England hat 
man in der Stadt Cirencester ein ganzes Museum hergerichtet 
von dortigen Ueberbleibseln aus der Römerzeit. Am rechten 

*) Zu gleichem Zweck sahen wir ein englisches Kriegsdampfschiff 
zwischen Braila und Galatz vor Anker liegen. 



\ 



72 



Donauufer ist man noch heute im Stande, worauf wir oben 
zu wiederholten Malen aufmerksam gemacht haben, die An- 
strengungen der Römer für die Vertheidigung und Sicherstel- 
lung ihres Landes nachzuweisen. Unter der Führung des 
Dr. More haben wir nun die auf seinem Grundbesitz befind- 
lichen römischen Ruinen einer näheren Exploration unterwor- 
fen, von welcher wir jetzt Rechenschaft ablegen wollen. 

Schon der alte römische Dichter Ovidius, der in diese 
Regionen in die Verbannung geschickt war, erwähnt die Stadt 
Troesmis in seinem beschreibenden Gedicht, Pontica betitelt- 

Er singt im 4. Buche vom 75 — 80. Verse: 

Praefuit Ms locis modo Flaccus; et ülo 

Ripa ferox Istri sub duce tuta fuit. 
Hie tenuit Mysas gentes in pace fideli, 

Hie areu fisos terruit ense Getas. 
Hie eaptam Trosmin celeri virtute reeepit 

Infecitque fero sanguine Danubium. 

In freier üebersetzung wiedergegeben, lautet diese Stelle : 
„Flaccus hat vor Kurzem in diesen Gegenden den Oberbefehl 
geführt, unter seiner Herrschaft war das rauhe Ufer des Ister 
gesichert. Hier hielt er die mysischen Völkerschaften in getreuem 
Frieden, hier schreckte er zurück durch sein Schwert die 
Geten, welche ihrem Bogen vertrauen. Hier eroberte er wieder 
durch Energie das schon den Römern entrissene Troesmis und 
färbte den Danubius mit dem Blute wilder Völkerschaften." 

Am Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt 
scheint Troesmis eine bedeutende Ortschaft gewesen zu sein, 
an deren südlicher und nördlicher Seite auf dem hier hohen 
felsigen Ufer der Donau zwei Zitadellen angebracht waren, 
um die Stadt zu vertheidigen. Die Bevölkerung war vorherr- 
schend eine militärische, indem es den römischen Soldaten ge- 
stattet war, einmal eine fremde Frau zu ehelichen : ihre Nach- 
kommenschaft erhielt das römische Bürgerrecht. Dies ist der 
wahrscheinliche Ursprung aller älteren Ortschaften an der 
unteren Donau, deren Geschichte wohl in die Zeit der römi- 
schen Weltherrschaft zurückreicht: aus stehenden befestigten 
Lagern sind Städte entstanden. 

Aus den "vorgefundenen Inschriften ergiebt sich, dass 
Troesmis ein Municipium war, d. h. eine Ortschaft mit allen 



73 



städtischen Rechten und Obrigkeiten, mit einem Kollegium von 
Decuriones und einem Oberpriester (Sacerdos provinciae). Es 
ist auch die Wasserleitung noch nachweisbar, welche auf 
zwei Stunden Wegs aus dem Gebirge die Stadt mit Wasser 
versorgte. Am Ende des zweiten Jahrhunderts scheint nun 
Troesmis durch eine Feuersbrunst vollständig zerstört worden 
zu sein. Ihre Trümmer, Gräber (elf vollständige Grabdenk- 
mäler sind nach Paris geschickt worden), heidnischen Altäre, 
Statuen, Säulen u. s. w. wurden verwendet bei dem Aufbau 
eines stehenden befestigten Lagers für zwei römische Legionen. 
Die Umgrenzungen und die Eintheilung dieses Lagers sind 
noch heute deutlich erkennbar, ebenso wie die Heerstrasse, 
welche dieses Lager mit anderen Befestigungen und Verschan- 
zungen in Verbindung setzte, desgleichen die Stellen für die 
Ordonnanzhäuser auf der Heerstrasse. Eine Menge erhaltener 
roher Bildhauer-Arbeiten (z. B. ein Medusen-Haupt), welche 
wahrscheinlich von Soldaten herrührten, die ihre Mussezeit 
zu solchen Studien verwendeten, bezeugen den Verfall der 
Kunst. Für Kunstkenner und Architekten sind hier keine 
Studien zu machen. Die zahlreich erhaltenen Inschriften da- 
gegen liefern ein kostbares Material zur Information über das 
römische Heerwesen und militärische Antiquitäten. 

Am Ende des vierten Jahrhunderts n. Chr. scheint das 
befestigte Läger bei Troesmis aufgegeben worden zu sein; 
keine Inschrift rührt aus einer späteren Zeit her. Dagegen 
wurden im sechsten Jahrhundert die vorhandenen Ruinen be- 
nutzt, um für die Herstellung einer byzantinischen Befestigung 
zur Vertheidigung der Donau-Linie zu dienen. Wir sind nun 
im Stande, die drei Perioden von Troesmis deutlich zu unter- 
scheiden: 1) alt -römische bis etwa zum Kaiser Adrianus 
(t 138), 2) spätere römische Zeit bis gegen das Ende des 
vierten Jahrhunderts, 3) byzantinische, etwa beginnend vom 
Kaiser Justinian (527 bis 565). 

Indessen haben diese Ruinen noch einen zu Gelde zu 
machenden Werth für den Eigenthümer. Es sind Hundert- 
tausende von wohlerhaltenen römischen gebrannten Ziegeln 
(flach und breit), Säulen für Häuser und Brückenbau u. s. w. 
hier zu entnehmen, welche durch ihre bewiesene Widerstands- 
kraft schon die Bürgschaft für ihre Haltbarkeit liefern. 



74 



Die grossartigsten römischen Ruinen in jenen Gegenden 
sind aber die von Tomis, dem Verbannungsaufenthalte des 
römischen Dichters Ovid. Tomis ist das heutige Kustendje, 
der Endpunkt am Schwarzen Meere der Eisenbahn, welche von 
Czernawoda (an der Donau) dorthin führt. Kustendje ist die 
türkische Uebersetzung von Constantio, wie der Ort später ge- 
nannt wurde, und war der Hauptort am Schwarzen Meere. 
Die dortigen römischen Ruinen sind vorzüglich verwerthet 
worden zu den Eisenbahnbauten und den Getreidemagazinen. 
Die doli; ansässigen griechischen Kauf leute haben die Bausteine 
benutzt, ohne Bildwerke und Inschriften zu zerstören, sie haben 
dieselben in ihren Mauern vielmehr nach aussen angebracht, 
so dass sie von der Strasse zu erkennen und zu lesen sind 
und als Verzierung dienen* 

24t. Abreise von Oalatz. Die Messageries Imperiales. 

Am 26. September, Sonnabend Nachmittag, verliess ich 
auf dem Dampfer „Cheliffe'', welcher der französischen Dampf- 
schifffahrtsgesellschaft Messageries Imperiales angehört, deren 
Direktion zu Marseille residirt, Braila. Ich war entzückt über 
die Aufnahme, die ich auf diesem Dampfschiffe fand, sowohl 
in Betreff der Unterkunft, wie der Verpflegung und der Be- 
handlung. Nach einer Stande Fahrt waren wir in Galatz an- 
gelangt. Unser Schiff sollte dort bis zum Montag früh blei- 
ben, wodurch meine Ungeduld, Konstantinopel zu erreichen, 
auf eine harte Probe gestellt wurde. Indessen war ich auf 
dem preussischen Konsulate einer freundlichen Aufnahme ge- 
wiss und hatte ich schon früher in Galatz angenehme Be- 
ziehungen angeknüpft, so dass ich den Sonnabend Abend und 
den ganzen Sonntag, wo ich auch den evangelischen Gottes- 
dienst besuchte, auf die interessanteste Weise, mit Güte, Zu- 
vorkommenlieit und mannigfacher Belehrung bevorzugt, verlebte. 
Unser Konsul, Herr Blücher, war eine zweite Vorsehung für 
mich, in seinem Hause und unter seiner Aegide war ich wohl 
aufgehoben; ich kann ihm nur für die liebevolle Gastfreund- 
schaft danken, womit er mich ausgezeichnet hat. 

Von Galatz nach Konstantinopel wird der Reisende von 
Dampfschifffahrtsgesellschaften , deren Schiffe Passagiere und 



75 

Güter in periodischem Dienste befördern, umworben» Es giebt 
eine englische, eine östreichische (Lloyd Austriaco), eine russi- 
sche über Odessa und eine französische Dampfschifffahrtsge- 
sellschaft für die Tour nach Konstantinopel, eine griechische 
Schleppdampfschifffahrtsgesellschaft, aber merkwürdiger Weise 
keine türkische nach der eigenen Hauptstadt. Die Engländer, 
Oestreicher, Russen und Franzosen streiten sich über die 
orientalische Beute. Das Sprichwort: „Wo Aas ist, versam- 
meln sich die Raben", findet hier volle Anwendung. Die Rus- 
sen sollen den Passagieren grosse Erleichterungen und Vor- 
theile bieten, um den übrigen Nationen den Rang abzulaufen ; 
sie sind hier ebenso gefürchtet, wie gehasst; man räth jedem 
Fremden ab, sich von den Russen ködern zu lassen. Dass ich 
mich auf das französische Schiff begeben habe, hat mich nie 
gereuet, und wäre für die nächste Reise meine Wahl schon 
getroffen. 

Die Schiffe der Messageries Imperiales, welche Galatz mit 
Konstantinopel und letztere Stadt mit allen bedeutenden Häfen 
des Schwarzen Meeres, z. B. Trebisonde, mit allen Häfen des 
Mittelmeeres, namentlich auch Kleinasiens, dann mit Aegypten, 
z. B. Alexandria, in Verbindung bringen, haben einen eigenen 
Schiffsarzt, eine vollständig eingerichtete Apotheke am Bord. Auf 
unserem Schiffe „Cheliffe" waren ausser dem Kapitän zwei 
Steuermannsoffiziere, vierzehn Mann bei der Dampfmaschine, 
neunzehn zur Bedienung des Schiffes, das auch zum Segeln einge- 
richtet werden kann, und sieben mit der Oekonomie betraute 
Personen angestellt, also ein ziemlich zahlreiches Dienstpersonal. 

Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, etwas Näheres über 
Unterkunft und Verpflegung der Passagiere auf den Messa- 
geries Imperiales zu erfahren. Es sind vier verschiedene Plätze 
vorhanden. Nur die Passagiere der ersten und zweiten Klasse 
haben eigene Schlafgemächer mit Betten und werden an der 
Wirthstafel verpflegt mit Wein ad libitum, die Verpflegung 
ist in dem Passagegelde einbegriffen. Die Passagiere der ersten 
Klasse speisen mit dem Kapitän, die der zweiten Klasse mit 
den Offizieren; die Passagiere der dritten Klasse haben einen 
Saal als Herberge, für die Nacht aber keine Betten; die Ver- 
deckpassagiere müssen im Freien die Nacht zubringen. Den 
Passagieren der beiden ersten Klassen ist es gestattet, überall 



] 



76 



auf dem Schiffe herumzugehen, nur bei Tische und für die 
Schlafsäle findet eine Trennung statt; die Bewirthung ist auf 
den beiden ersten Plätzen ziemlich dieselbe. Die Passagiere 
des dritten und vierten Platzes dürfen ihre Stelle nicht ver- 
lassen. Im Oriente werden meistens die vierten Plätze beliebt 
wegen ihrer Billigkeit, so dass auf drei Passagiere für den 
ersten Platz etwa sechs für den zweiten, dreissig für den dritten 
und einige Hundert für den vierten Platz kommen. Die Pas- 
sagiere des vierten Platzes sind einer strengen Disziplin und 
grossen Beschränkungen unterworfen. 

26. Der Pruth und der Pariser Frieden (1866). 

Bald hinter Galatz passirten wir den Einfluss des Pruth. 
Die Mündung des Flusses, welche nicht 200 Fuss breit ist, 
blieb weit hinter unseren Erwartungen zurück. Dieser Fluss 
war uns bei unseren geographischen Studien immer so bedeu- 
tend vorgekommen, und nun lag er vor uns in öder, verlasse- 
ner Gegend, kaum war eine Ansiedelung an diesem Zusam- 
menfluss mächtiger Strome wahrzunehmen, denn der Ort Reni, 
welcher mit einer Einwohnerzahl von 7000 Seelen angegeben 
wird, liegt doch in einiger Entfernung. Bis an den Pruth 
und „nicht weiter" hiess die Parole der Westmächte gegen 
Russland vor dem Krimmkriege. Der für ßussland unglück- 
liche Ausgang desselben hat durch den Pariser Frieden vom 
30. März 1856 und die weitere Vervollständigung desselben 
durch das Protokoll vom Januar 1857 Eussland weit jenseits 
des Pruth zurückgeworfen. 

Betrachten wir ein wenig genauer die Konsequenzen die- 
ser Friedensschlüsse, welche für die bevorstehende Lösung der 
orientalischen Frage erstaunlich ins Gewicht fallen. Russland 
hat 205 geographische Quadratmeilen Gebiet verloren, was 
für ein so unermessliches Reich, das in den letzten Jahren 
am Amur und in den Turanischen Ebenen mindestens 30,000 
Quadratmeilen erworben hat, ganz unverfänglich erscheinen 
sollte. Allein diese Gebietsabtretung Russlands hat den Zweck 
erfüllt, jene Macht aus dem Bereich der Donaumündungen 
ganz zurückzudrängen. Die Donau ist aber der Hauptstrom 
von Zentral-Europa, -seine Adern gehen aus von dem Herzen 



77 



des südlichen Deutschlands, an ihm liegen Oestreichs und 
Ungarns Hauptstädte. Kussland hat durch den unglücklichen 
Ausgang des Krimmkrieges eine furchtbare Schlappe erhalten, 
sein Nimbus ist geschwunden, es wird diese Scharte in seiner 
Ehre schwer wieder auswetzen. Das Zurückziehen der russi- 
schen Grenze von der Donau ist in merkantiler, diplomatischer 
und strategischer Hinsicht für die Lösung der orientalischen 
Frage von unberechenbarer Tragweite. 

26. Die europäische Donau-Begnlirungs-Kommission. 

In Folge des Pariser Friedens hat Russland an die Mol- 
dau denjenigen Theil von Bessarabien zurückgegeben, welcher 
westlich vom Pruth, südlich von der Donau und dem St. 
Georgs- Arm, östlich durch das Schwarze Meer und gegen das 
Innere Bessarabiens durch eine Linie begrenzt wird entlang 
des Buma-Sola, der Strasse von Akkermann zum Trajans- 
Walle u. s. w. Dieses Gebiet ist an die Moldau zurückgege- 
ben worden, welche unter der Oberhoheit der Türkei steht. 
Die Hauptsache ist aber, dass die Donaumündungen einer 
europäischen Kommission zur Regulirung anvertraut sind, in 
welcher alle Uferstaaten ihre Bevollmächtigten haben. Diese 
Kommission ist unter dem Schutz der garantirenden West- 
mächte mit einer souveränen Gewalt bekleidet, und die Exe- 
kutive derselben nur nominell der Oberhoheit der Türkei un- 
terstellt worden. Die ausübende Gewalt ist dem Herrn von 
Drigalski anvertraut, sein offizieller Titel ist: Inspecteur de 
la navigation du Bas Danube, oder wie Herr v. Drigalski 
selbst uns diesen seinen Titel übersetzt hat: „General-Inspek- 
tor der Regulirungs-Kommission der Donau." Herr v. Dri- 
galski war früher (1846) Offizier in der Garnison Posen, später 
ist er bis zum Obersten befördert worden und hat dann seine 
jetzige europäische Mission übernommen. In seiner Gesell- 
schaft bin ich von Tultscha (Tulcia), seiner jetzigen Residenz 
(worüber später), bis Sulina gefahren und verdanke seinen 
mündlichen Mittheilungen die interessanteste Belehrung. Er 
hat die Leitung und Beaufsichtigung für die Vertiefung und 
Instandhaltung des Sulina -Fahrwassers. Er hat eine grosse 
Verantwortlichkeit in seiner fast unabhängigen Stellung über- 



78 



nommen, nur dem Namen nach steht er unter türkischer 
Oberhoheit. Er hat ein eigenes Dampfschiff mit Namen 
„Mustik" zu seiner Verfügung, das in Dresden gebaut und 
per Eisenbahn nach Wien befördert worden ist, von wo es 
die Donau heruntergekommen ist. Herr v. Drigalski ist ein 
eben so unterrichteter, wie liebenswürdiger und thätiger Mann, 
der grosse Erfolge in seiner jetzigen wichtigen Stellung er- 
reicht hat. 



27. Ton der Mttndnng des Prnth bis Tnleia. 

Bald hinter der Mündung des Pruth, dessen Reichthum 
an Fischen wir hier noch erwähnen wollen, passirt man das 
am linken Ufer gelegene weitläuftige Lazareth, welches als 
Quarantäne- Anstalt gegen die Verschleppung der Pest von den 
Russen gebaut und eingerichtet war und jetzt in Ruinen zer- 
fällt, indem das Einbringen der Pest nicht mehr gefürchtet 
wird, da sanitäts-polizeiliche Beaufsichtigung in der Türkei 
Eingang gefunden hat. I^ie Türken kommen allmälig zurück 
von dem Blödsinn ihres Fatalismus. 

Die Stadt Reni in Bessarabien, unterhalb der Mündung 
des Pruth, ist anmuthig zwischen Bäumen ganz im Grünen 
gelegen und weitläuftig zerstreut. 

Bei unserer Weiterfahrt interessirten uns die Bewässe- 
rungsanstalten für 'die Niederungen , die im vorigen Sommer 
so sehr von der Dürre gelitten hatten. Das Wasser wird 
durch Schöpfwerke, die von Ochsen getrieben werden, in die 
Höhe gehoben. 

Wir gelangten bald zu der sogenannten Kilia- Mündung, 
welche sich nordöstlich abzweigt, während die Sulina-Mündung 
eine östliche Richtung verfolgt. Wir gewahrten in dieser Ab- 
zweigung ein kreuzendes türkisches Kriegsschiff. Die Türken 
überwachen nämlich den ihnen von Russland zurückgegebenen 
Gebietsantheil des Donau-Delta mit ängstlicher Sorgfalt. Die 
Donaufahrt von Galatz bis zur Mündung ist auf dem linken 
Ufer durch hohe Pfähle bezeichnet, um den Abstand zu mes- 
sen. Diese Pfähle tragen auf ihrer Spitze kolossale Nummern. 
Wo das türkische Kriegsschiff lag, war die Nummer 54 auf- 
gehisst. Ebenso fiel uns die am Ufer entlang gehende Tele- 



79 



graphenleitung auf, indem die Telegraphenverbindung überall 
in der Türkei hergestellt ist. Ausserdem bemerkten wir die 
im Sulina-Kanal angebrachten Wasserstandsanzeiger, um an 
den gefährlichen Stationen vor Untiefen zu warnen. Durch 
Dampfbagger und Uferdämme hat man eine solche Wassertiefe 
hergestellt, dass wir ISFuss ungefähr als niedrigsten Wasser- 
stand vorfanden, während im vorigen Herbst in Folge anhal- 
tender Trockenheit die Donau unerhört wenig Wasser hatte. 
Es ist dies schon eine herrliche Errungenschaft, welche wir 
der bevormundenden europäischen Donau-Mündungskommission 
verdanken, da unter russischer Vernachlässigung die Sulina- 
Mündung auf 7 Fuss Tiefe versandet war *). 

Wir gewahren aus der Ferne die Thürme der Doppelstadt 
Ismail -Tutschkow, wohin von Galatz aus eine regelmässige 
Dampfschifffahrt unterhalten wird. Ismail ist einer der her- 
vorragendsten Handelsplätze von Bessarabien, dessen jährliche 
Ausfuhr an Weizen den Werth von einer Million Thalern 
übertrifft. 

Bald gelangten wir in Sicht der Stadt Tultscha, wo 99 
auf den Anhöhen zerstreute Windmühlen uns anheimeln, als 
ob wir uns Rawicz näherten. Tultscha ist in Form eines Halb- 
mondes an der Donau erbaut. Es ist die Hauptstadt der 
Dobrudscha und zugleich die Residenz des diese Provinz als 
Statthalter regierenden Pascha. Wir sehen die k. k. östreichi- 
sche und k. preussische Flagge an hohen Mastbäumen wehen, 
als Beweis, dass diese Mächte hier konsularische Agenten un- 
terhalten. Herr Oberst von Drigalski, mit der Exekutive für 
die europäische Donauschifffahrts - Kommission betraut, hat 
ebenfalls seinen Wohnsitz in Tultscha. Es ist Tultscha auch 
Lootsenstation und hat Schiffswerften; es liefert alljährlich, 
namentlich für griechische Rhederei, eine nicht unbeträcht- 
liche Anzahl wohlgebauter Schiffe. 

Unser Schiff legte für 1^/2 Stunden in Tultscha an, welche 
ich zu einer Promenade durch die Strassen der bergan stei- 



*) Vergleiche: Memoire sur les travaux d'amelioration executes 
aux embouchures duDanube par la Commission Europeenne iiistituee en 
vertu de Farticle 16 du Traite de Paris du 30 Mars 1856. Accompagne 
d'un atlas de 40 planches. Galatz. Imprimerie de la Commission« Euro- 
peenne du Danube 1867. Gr. 4. 



80 



genden Stadt benutzte, die wie Rom, Konstantinopel, Gnesenu. s.w. 
auf den unvermeidlichen sieben Hügeln gebaut ist. Es herrschte 
auf den Strassen ein reges Leben und ein unruhiges kauf- 
männisches Treiben: namentlich fielen uns viele Bäckereien 
zur Verproviantirung der zahlreichen Schiffe, welche hier an- 
landen, auf, mit offenen Vorderfronten nach der Strasse. In 
einem Kaffeehause fanden wir ein Billard mit Kegeln nach 
ganz moderner Weise. Die Wände waren mit Landkarten 
vom Orient behängt in griechischer Schrift und Sprache. Eine 
lustige deutsche Handwerkerfamilie sass im Garten und er- 
frischte sich mit Kaffee und Wein, sie wollten mir Empfeh- 
lungen nach Konstantinopel aufdringen. 

28. Yon Tulcia nach Sulina. Delta der Donanmündang. 

Gegen Mittag wurde die Fahrt fortgesetzt. Wir passirten 
unterhalb der Stadt den „Stein" von Tultscha, eine weit in den 
Strom hineinspringende Felsklippe, welche den normalen Lauf 
desselben in eine andere Richtung lenkt und der Schifffahrt 
ernste Hindernisse bereitet. Wir gelangten bald an die Bifur- 
kation des Tultscha- Armes, wo die Sulina in östlicher, der 
St. Georgs -Arm in südöstlicher Richtung sich abzweigt. In 
einer Doppelmündung, Chidrillis und Olinska genannt, welche 
eine Insel umschliessen, ergiesst sich der St. Georgs-Arm ins 
Meer. Es ist eigentlich unbegreiflich, warum die europäische 
Kommission die Sulina vor dem St. Georgs-Arm bevorzugt 
hat. Man hat nämlich berechnet, dass die Sulina nur 2^271 
der St. Georgs -Arm 8/27 der sämmtlichen Wassermasse der 
Donau dem Schwarzen Meere zusendet. Der St. Georgs-Arm 
hat eine durchschnittliche Breite von 1400 Fuss, die Sulina 
von 500 Fuss. Die Absperrung und Vernachlässigung des 
St. Georgs - Kanals kann nur aus politischen Gründen ge- 
schehen sein. 

Der Sulinakanal macht viele Kurven, so dass die Dampf- 
schiffe sich in Acht nehmen müssen, nicht gegen das Ufer 
anzufahren, was uns einmal passirte und nicht ungefähr- 
lich war. 

Herr Oberst v. Drigalski machte uns auf die Methoden 
aufmerksam, deren man sich bedient, um eine grössere Tiefe 



hervorzubringen. Es geschieht dies einmal durch das Veren- 
guugssystem, nach welchem Dämme (piers) in den Fluss hin- 
eingebaut sind; dann durch Dampf bagger, welche an den 
Stellen, wo eine Versandung befürchtet wird, fortwährend in 
Thätigkeit sind. Wir passiiien auch einen Durchstich, der 
wenige Tage vor unserer Fahrt eröffnet worden war, und durch 
welchen die Fahrt um zwei Meilen verkürzt wird, während 
dadurch zwei gefahrliche Kurven vermieden werden. Die 
Stromkorrektion wird mit grosser Energie weiter verfolgt. 
Die Ufer sind hoch mit Rohr bewachsen, ohne Kultur, als 
bisher bestrittenes Terrain. 

An den Ufern der unteren Donau sind die Wechselfieber 
endemisch, weil das sonst sehr fruchtbare Land jährlich den 
Ueberschwemmungen ausgesetzt ist und einen grossen 
Theil des Jahres unter Wasser steht. Es liesse sich durch 
Anlegung von Deichen sicher stellen und dadurch ein üppiges 
Weide- und Getreideland gewinnen. Indessen wäre der Kosten- 
aufwand bedeutend, da der tägliche Arbeitslohn hier auf 13 
bis 14 Piaster, etwa 25 Sgr. pro Kopf, berechnet wird und 
die Arbeiter, welche hier in dieser Wildniss kaum sich schützen 
und verpflegen können, bald am Fieber dahinsiechen und ent- 
kräftet werden. Die europäische Kommission hat daher ein 
eigenes Krankenhaus für ihre Arbeiter gegründet, welches 
vorzugsweise von Fieberpatienten frequentirt wird. 

Bei einbrechender Dunkelheit ging unser Schiff bei dem 
Städtchen Ssulinsk (Sulina) vor Anker. Hier verliess uns Herr 
V. Drigalski, um dort Geschäfte zu ordnen ; seine x\bsicht war, 
das in der Nacht von Odessa ankommende Dampfschiff zur 
Heimkehr zu benutzen. Als einflussreicher Persönlichkeit in 
diesen Regionen steht es ihm frei, jedes beliebige Schiff bei 
seinen Reisen gratis zu benutzen. 

Unser Schiffsarzt musste ans Land gehen, um, wie es bei 
jeder Station üblich ist, ein Gesundheitsattest von der Obrig- 
keit für den Landungsplatz zu extrahiren. Es war in dem 
engen, ganz mit Schiffen belegten Hafen ein ungeheures Ge- 
wirre, die Beleuchtung mit Fackeln und Laternen nur man- 
gelhaft, so dass beim Besteigen des Landungsorts es gar nicht 
zu verwundern war, dass unser liebenswürdiger Schiffsarzt 
durch Unvorsichtigkeit eines Bootführers im Gesicht durch ein 

G 



^ I 



1 



82 



Tau verletzt wurde. Der Doktor stiess einen lauten bchmerzens- 
ruf aus. Sogleich fanden sich willige Hände unserer Schiflfs- 
mannschaft, um dem ungeschickten Inkulpaten durch Begiessen 
mit einigen Eimern Wasser vom Verdecke aus eine derbe Lek- 
tion zu ertheilen. 

Das frühere russische Städtchen Ssulinsk bestand vor 
20 Jahren nur aus wenigen Privathäusern, Buden, Kafifeehäu- 
sern und Erdhütten. Jetzt ist es ein sehr belebter Ort, der 
einer grossen Zukunft entgegen geht; der Hafen ist von 8' 
auf 18' Wassertiefe gebracht worden. Zwei lange Molen 
reichen weit ins Meer hinein und halten die Strömung zusam- 
men, um die Bildung einer dem Hafen vorliegenden Sandbarre 
zu verhindern ; die nördliche Mole ist über 4000 preuss. Fuss 
lang, die südliche über 3000 Fuss. Beide sind beendet wor- 
den am 31. Juli 1861. Die Kosten der Dämme beliefen sich 
auf 178,000 Dukaten. Es sind 12,000 Pfähle und 68,000 Ku- 
bikmeter Felsblöcke vom Stein von Tultscha verwendet wor- 
den. Die Tannenhölzer sind aus den Waldungen bei Galatz, 
das Eichenholz aus den Wäldern der Dobrudscha geliefert 
worden. Das Holz hat beiläufig gesagt in diesen Regionen 
einen fabelhaft hohen Preis, es kommen daher ganze Flotten 
von Flössen die Donau hinab. 

Man giebt die Anzahl der Schiffe, welche im letzten Jahre 
(1867) in Ssulinsk angelegt haben, auf nahezu 6000 an. Es 
herrscht hier ein sehr reger Schiffsverkehr , wie in wenigen 
anderen Häfen des Schwarzen Meeres. Es heisst, dass Ssulinsk 
von der Pforte zum Freihafen erklärt werden soll. Es ist 
die Einfahrt aus dem Schwarzen Meere mit einem Leucht- 
thurm versehen, und das linke Ufer der Sulina durch Schan- 
zen befestigt. 

Das grosse Deltagebiet der Donaumündungen wird von 
Alluvialboden gebildet, es gleicht jetzt einer grossen Wildniss, 
in welcher sich der Wasserüberfluss der Donau in ein Laby- 
rinth von Flussarmen, Seen, Teichen und Lachen verliert. 
Einige erhabenere Strecken sind mit Wald bewachsen. Früher 
war das Land besser kultivirt, unter der russischen Herrschaft 
ist es systematisch verwahrlost worden und Alles verwildert. 
Frühere Obsthaine und Gemüsegärten werden von Schilfrohr 



83 

überwuchert. Wildpret aller Art (Hirsche, Hasen), ganze 
Kudel wilder Schweine, Füchse, Wölfe und zahllose Sumpf- 
vögel haben sich hier niedergelassen; das Thierreich übt eine 
ziemlich unbeschränkte Herrschaft aus. Bei rechtlich geord- 
neten Verhältnissen und Aussicht auf Frieden könnte ein that- 
kräftig betriebsames Volk durch Kanalisation, Entwässerung 
und Schutzdeiche aus diesen versumpften Wildnissen üppige 
Getreidefluren schaffen: es würden reiche Handels- und Hafen- 
städte entstehen, und eine zweite Lombardei, ein zweites Hol- 
land an den Gestaden des Schwarzen Meeres emporblühen. 



29. Von Sulina über das Schwarze Meer bis Varna. 

Reisegesellschaft. 

Am 29. September 1868, Abends gegen 10 Uhr, liefen 
wir aus dem Hafen von Sulina ein in das Schwarze Meer, 
dessen Nähe uns schon seit längerer Zeit durch ein gewalti- 
ges donnerähnliches Brausen verkündet war. Bei der finsteren 
Nacht verdiente es diesmal seinen Namen in der That, indes- 
sen scheint wirklich die Farbe des Wassers in das Schwärz- 
liche hinüber zu spielen. 

Das Schwarze Meer ist berüchtigt; obgleich es ein Areal 
einnimmt gleich dem des Norddeutschen Bundes, umschliesst 
es nur eine einzige kleine Insel nicht fern von der Sulina- 
Mündung, die sogenannte Schlangeninsel, umgeben von steilen 
Felsen, wo es von Schlangen und Eeptilien wimmelt. Das 
Schwarze Meer (Pontus euxinus) hiess bei den Alten das 
„gastliche" per Euphemismum, sie meinten eben damit, es sei 
„ungastlich" und bereite den Schiffen den Untergang. In der 
That ist die Anzahl der Schiffbrüche auf dem Schwarzen 
Meere schaudererregend, z. B. am 22. November 1856 war die 
Barre von Sulina nach dem Berichte des östreichischen Gene- 
ralkonsuls zu Konstantinopel Dr. Beke mit den Wracks von 
17 gescheiterten Schiffen gespickt. Furchtbar sind die Schnee- 
stürme, die im Winter auf dem Schwarzen Meere toben. Es 
tritt dabei plötzlich eine so eisige Kälte ein, dass die unglück- 
lichen Verdeckspassagiere sich nicht erwärmen können. Unser 
Schiffsarzt erzählte mir, wie sie bei einer Eeise von Trebi- 

6* 



84 



sonde (Trapezunt), durch einen solchen Schneesturm in der 
Nacht überrascht, am Morgen unter 400 Verdeckspassagieren 
21 Leichen zählten, die dem Froste als Opfer erlegen waren. 
Die Winter im nördlichen Theile des Schwarzen Meeres sind 
grausig streng, 20 Grad unter Null nach Keaumur ist gar keine 
Seltenheit. — Entsetzlich ist die Seekrankheit auf dem Schwar- 
zen Meere, nur ein gesunder Magen, wie der des Berichter- 
statters, behält hier die Contenance. In der That verschwand 
der grösste Theil unserer Schiflfsgesellschaft bei dem ersten 
Schaukeln auf den Wogen des Schwarzen Meeres, um erst 
wieder aufzutauchen bei der Einfahrt in den Bosporus; die 
zahlreiche Gesellschaft des vierten Platzes, welche das ganze 
Verdeck einnahm, war grösstentheils sehr miserabel und störte 
alle Illusionen. 

Das Schwarze Meer wird auf drei bis fünf Meilen von 
der Donau gelb gefärbt; die dunklen Meereswogen vermischen 
sich nur spät und widerstrebend mit dem hellen Wasser der 
Donau. 

Die Fahrt von Sulina nach dem Bosporus geht bei 
ruhigem Wetter in geringer Entfernung von der Küste vor sich. 

Wir benutzten den 30. September, welchen wir auf dem 
Schwarzen Meere zubrachten, um uns über unsere Schiffsgesell- 
schaft zu Orientiren. Die französischen Offiziere und die Schiffs- 
mannschaft waren, wie dies auf der ganzen französischen 
Marine der Fall sein soll, enthusiastisch orleanistisch, begei- 
stert für den Prinzen Joinville. Das aufrührerische Journal, 
„Lanterne de Rochefort", wird auf den Schiffen vorgelesen und 
alle französischen Konsulate sollen darauf abonnirt sein. Die 
französischen Seeleute führen eine zügellose Sprache. Z. B. 
hörten wir den Einnehmer (coUecteur) unseres Schiffes sich 
wörtlich äussern, wie folgt: Je n'ai plus de principes, je suis 
comme Nap. III. (Ich habe keine Grundsätze mehr, ich bin 
wie N. III).. 

Die interessanteste Gesellschaft für mich war ein oberer 
Geistlicher, Vorstandsmitglied der Klöster auf dem Berge Athos 
ayiov opo? (heilige Berg) in Mazedonien (Archimandrit). Er 
war in offizieller Sendung, um den jährlichen Tribut, den 
seine Genossenschaft (ein tributärer Mönchsstaat) dem Sultan 
zahlen muss, zu überbringen. Es war ein ältlicher Herr in 



85 

der Mitte der Sechziger von höchst angenehmem Umgange. Er 
war von feinster geselliger Bildung, seine Muttersprache war die 
griechische, er drückte sich aber auch geläufig in italienischer 
und französischer Sprache aus, und hat mir die interessan- 
testen Aufschlüsse über sein Klostergemeinwesen gegeben, das 
den Zentralpunkt des oströmischen Glaubens, den Vatikan des 
Orients, den Freihafen und letzten Zufluchtsort aller Weltsat- 
ten des ehemaligen byzantinischen Reiches bildet. Der heilige 
Berg wird von 6000 diesem klösterlichen Gemeinwesen ange- 
hörigen männlichen Individuen bewohnt, die ein völlig abge- 
grenztes Territorium bebauen und ihre eigene freie Selbstver- 
waltung besitzen; es ist eine geschlossene Körperschaft mit 
aller im Säkularverbande herkömmlichen Ungleichheit an 
Vermögen, Macht, Ansehen, Erwerbsfähigkeit und Lebens- 
praxis. Weibliche Wesen sind von ihrem Gebiet ganz ausge- 
schlossen. Da dieser Geistliche öfter die Reise nach Konstan- 
tinopel macht, war er im Stande, mir die beste Information 
für meine Reisezwecke zu ertheilen. 

Es wurde diesem Ordensgeistlichen allgemeine Ehrerbie- 
tung gezollt, namentlich von den Nonnen eines moldauischen 
Klosters, welche auf unserem Schiffe (auf dem vierten Ver- 
deckplatze) sich befanden, um eine Wallfahrt nach Jerusalem 
zu unternehmen; sie waren der Oberaufsicht einer älteren 
Oberin untergestellt, welche die von der Seekrankheit jämmer- 
lich heimgesuchten Nonnen zu pflegen und zu trösten ver- 
suchte. 

Indem wir längs den Küsten des Schwarzen Meeres ent- 
lang fuhren, umschifften wir bald das Vorgebirge von Kali- 
Akra (wo der Balkan ausläuft), das mit einem Leuchtthurm 
und mit Ueberresten von venetianischen Wachtthürmen ver- 
sehen ist. Wir erreichten dann die Rhode von Varna. Ein 
Kloster, hart am Meere auf hohen Felsen gelegen, von Wein- 
bergen umgeben, präsentirte sich zuerst den Blicken. Varna 
macht, von der Rhode aus gesehen, einen freundlichen Ein- 
druck. Es steigt amphitheatralisch vom Meere auf, und hat 
von Weitem ein ganz modernes Ansehen, wozu die von Stein 
gebauten hellfarbig angestrichenen Häuser in dem Vorder- 
grunde viel beitragen. Dazwischen erheben sich schlanke 
Minarehs und zwölf Moscheen. Dabei ist es stark befestigt 



I 



_ 86 

und hat schon schwere Belagerungen ausgehalten. Da das 
Wasser nach dem Lande zu seicht ist, so können grössere 
Schiffe nur in der Entfernung von einer Viertel Meile vor 
Anker gehen. Bei meiner Rückkehr bin ich ans Land gesetzt 
worden, und in ganz passablem Wagen, deren einige zwanzig 
für die Passagiere bereit gehalten wurden, nach dem eine 
halbe Stunde vom Landungsplatze entfernten Eisenbahnhofe 
auf holperigem Wege um die Festung befördert worden. Es 
verbindet diese Eisenbahn Vama mit Rustschuk und führt 
bei der Bergfestung Schumla vorbei. Die Bahn hat eine 
Länge von einigen zwanzig deutschen Meilen und führt durch 
ziemlich gut angebaute Gegenden. Der Betrieb geschieht 
durch eine englische Gesellschaft und sind die Einrichtungen 
ziemlich europäisch; der Luxus der Bahnhofsgebäude fallt 
jedoch fort, ebensowenig ist für Verpflegung der Reisenden 
gesorgt. 

Während wir zwei Stunden auf der Rhode von Vama 
vor Anker lagen, entwickelte sich auf unserem Schiffe ein 
lebhaftes Treiben. Es wurden Depeschen des französischen 
Konsulates an Bord gebracht durch den Kawas (die Ordon- 
nanz) des Konsuls. Dieser Kawas war ein wahres Pracht- 
stück theatralischer Ausschmückung. Seine Kleidung war 
überladen von Gold- und Silberstickereien, im Gürtel trug er 
zwei Pistolen, deren Lauf und Griff reich mit Silber ausge- 
legt war, dann einen blanken scharf geschliffenen Dolch, zur 
Seite hing ihm ein Yatagan (ein langes Messer). Mit ihm 
wetteiferte an äusserer Ausstattung der Kawas des französi- 
schen Konsuls von Rustschuk, der nach Konstantinopel De- 
peschen überbringen sollte; es war ein Albanese, seine Pisto- 
len waren geladen, und seine Patrontasche gefüllt. Es stiegen 
hier über 200 türkische Soldaten auf, die ihre Zeit abgedient 
und nach Hause (Kleinasien) entlassen wurden, wohin sie über 
Konstantinopel zurückkehren wollten. Ihre Anzüge waren 
meistens zerrissen, sie selbst sahen unsauber aus. Sie wur- 
den von einem eigens dazu angestellten Beamten des Dampf- 
schiffes untersucht, der ihnen die Waffen (Gewehre, Pistolen, 
Säbel, Dolche, Messer) abnahm zur Verwahrung und ganze 
Berge davon anhäufte. Efe fiel uns die Resignation auf, mit 
welcher diese Soldaten sich jeder Anordnung willig unter- 



87 

warfen. Es wurde jedem seine Stelle auf dem Verdeck ange- 
wiesen, die er nicht verlassen durfte und wo er die Nacht 
unter freiem Himmel zubringen musste, ohne sich zu rühren, 
selbst wenn die Passagiere des ersten Platzes über seinen Leib 
wegspazierten, was bei der Ueberfüilung des Verdecks nicht 
zu vermeiden war. Ueberhaupt schien mir der unbedingte 
Gehorsam des niederen Volkes in der Türkei ausgeprägter zu 
sein, als bei uns. Die absolute Nüchternheit bei gänzlicher 
Enthaltung von allen Spirituosen erleichtert ausserordentlich 
den Verkehr mit der unteren Klasse, wozu noch ihre sprich- 
wörtliche Ehrlichkeit kommt. Diese beiden Grundzüge der 
Türken: „Nüchternheit und Ehrlichkeit" des gemeinen Volkes 
machen einen sehr wohlthuenden Eindruck und geben dem 
Volkstreiben eine charakteristische Physiognomie. 

Unter den Passagieren befand sich eine armenische Fa- 
milie, die auf der Pilgerschaft nach Jerusalem begriffen war; 
es fiel mir besonders ein armenischer achtjähriger Knabe da- 
von auf, mit intelligentem Aussehen und funkelnden Augen. 

Meteorologisch interessant war bei unserer Fahrt über 
das Schwarze Meer die Feuchtigkeit, mit welcher die Luft 
bei ganz heiterem Himmel gesättigt war. 

30. Die Delphine. 

Als wir uns der Einfahrt in den Bosporus bei Sonnen- 
aufgang näherten, gesellten sich zu uns die hier unvermeid- 
lichen Delphine, die fortan zu beiden Seiten unseres Schiffes 
geräuschlos umherschwammen mit rapider Schnelligkeit: ko- 
lossale Fische, die sich zuweilen mit dem halben Leibe aus 
dem Wasser emporschnellen. Diese Riesen unter den Fischen 
scheinen nur für die Poesie geschaffen zu sein, indem ihr 
Fleisch unschmackhaft ist und sie sonst auch dem Menschen 
keinen Nutzen gewähren. Doch nein! Die Delphine des 
Bosporus versehen dieselben Dienste, wie die herrenlosen Hunde 
von Stambul. Sie verzehren alle Auswürfe und ünreinigkeiten, 
die von allen Seiten in den Bosporus geworfen werden und 
ihm zufliessen. Besondere Liebhaberei haben die Delphine 
für Aas und Leichen, worauf sie Jagd machen, weswegen 
sie auch die Schiffe begleiten, weil sie Menschenfleisch 



88 

wittern. Da man in früheren Zeiten zu Dutzenden täglich 
bei lebendigem Leibe die untreuen Frauen oder sonstige 
Uebelthäter ins Meer versenkte, oflfen oder in einen Sack ge- 
näht und mit Steinen beschwert, so fanden die Delphine reich- 
liche Nahrung: in wenigen Stunden waren die Leichen ver- 
zehrt, und jede Spur des unglücklichen Opfers war verschwunden. 
Ein Teleologe fände hier reichen Stoff zum Nachdenken über 
die Zweckmässigkeit in der Natur. Ohne die Hülfe der Delphine 
wäre sonst der Meeresstrand mit Leichen besäet gewesen, 
während nie eine Leiche hier je wieder an das Tageslicht 
gelangt, sondern im finstern Bauch des Delphins stückweise 
seine Ruhestätte findet. Aber jetzt, wo die unblutigen Exeku- 
tionen bei den Islambekennem seltener geworden sind, werden 
die Delphine in die allgemeine Klage über schlechte Zeit und 
in das Lob der Vergangenheit einstimmen. 

31. Die Fahrt durch den Bosporus. 

In der Nähe der Einfahrt in den Bosporus schwammen 
von beiden Seiten Delphine um unser Schiff und schnellten 
sich mit wunderbarem Schwünge halb ausserhalb des Wassers, 
um uns ihre Gestalt zu zeigen. Das Schwarze Meer war trotz 
Windstille unruhig gewesen, wir ver3pürten daher an der 
gleichmässigeren Bewegung und den geringeren Schwankungen 
des Schiffes, dass wir in ein ruhigeres Binnenwasser einge- 
laufen waren. 

Leuchtthürme an beiden Ufern bezeichnen die Einfalirt. 
Wir fuhren bei den Symplejaden oder Kyaneischen Inseln 
vorbei, die einst im Wasser herumtanzten und jedes vorbei- 
segelnde Schiff durch Zusammenstoss zerschmetterten. Wir 
freuen uns darüber, dass Orpheus vor uns gelebt und durch 
sein Flötenspiel beim Argonautenzuge dem tollen Treiben ein 
Ende gemacht und die Inseln festgebannt hat. 

Wir gewahren darauf an beiden Ufern verfallene Befesti- 
gungen, deren Kanonenschlünde auf die Meerenge gerichtet sind; 
die Besatzungen sind in weitläuftigen Kasernen untergebracht. 

Die schönste Operndekoration entfaltete sich im herrlichen 
Sonnenschein vor unsern entzückten Blicken. Die Reisegesell- 
schaft versammelte sich auf dem Verdeck, um die Schönheiten 



89 

dieses durch gewaltsame Erderschütterungen durchbrochenen 
Kanals zu bewundern. Eine gewaltige Strömung beschleu- 
nigte unsere Fahrt. Das Schwarze Meer strömt seinen Ueber- 
fluss hier aus, es würde ohne diesen Abzugskanal durch die 
ungeheuren Wassermassen, welche die Ströme: Kuban, Don, 
Bug, Dnieper, Donau, und zahlreiche Küstenflüsse in ununter- 
brochener Strömung ihm zuführen, bald überlaufen. 

Der Leuchtthurm Asiens zeigt uns Jasons Felsen und der 
Medea grosse Erinnerungen. Vom Winde geschwellte Segel, 
Dampfer und Remorqueurs, zahlreiche Kaiks beleben den 
Kanal. Am Ufer erblicken wir alle Bauarten vom sphärischen 
Kiosk bis zu den konstantinißchen viereckigen Mauern; von 
den Palästen der europäischen Gesandten, der griechischen 
und armenischen Handelsfürsten bis zu den trotzigen Kastel- 
len der Genueser. 

Auf der asiatischen Seite zeigt man uns einen 1200 Fuss 
hohen Berg, an welchen sich Sagen von Josua knüpfen; dicht 
dabei das Riesenbett des Herkules, einen sechszig Fuss langen 
und fünf Fuss breiten Grabhügel. Wir wenden uns nach dem 
europäischen Ufer und erblicken Bujukdere mit seinem pracht- 
vollen Quai, an welchem der Sommerpalast des russischen Ge- 
sandten prangt, gegenwärtig des Grafen Ignatiefif. Vor seinem 
Palast liegt im Hafen ein russisches Kriegsschiff, bestimmt für 
das Privatvergnügen des Gesandten, um durch Pracht und 
Machtentfaltung den Türken zu imponiren. Hinter dem russi- 
schen Gesandtschaftspalast steigt terassenförmig am Gebirge 
hinauf der dazu gehörige weitläuftige Park mit seinen riesigen 
Pinien, die wie Regenschirme ihr Zweigwerk weit ausbreiten. 
Die Natur umgiebt hier die Schöpfungen der Baukunst mit 
einem Zauber reizender Gärten. In der Nähe befindet sich 
der noch übrige kolossale, jetzt abgestorbene Stamm der Rie- 
senplatane, in deren Schatten einst Gottfried von Bouillon 
seine getreuen Kreuzritter - W^affengefährten musterte, ehe er 
nach Asien übersetzte. 

Als wir eine Verengung des Bosporus passirten, theilte 
man uns mit, dass hier der Perserkönig Darius, des Hystaspis 
Sohn, sein grosses Kriegsheer übersetzte, um Griechenland 
zu erobern. Sage und Geschichte verherrlichen jeden einzel- 
nen Punkt des Ufers; Natur und Kunst wetteifern, um diese 



90 



bevorzugte Stelle der Erde aoszuschmücken. Die Erinnerungen 
von Jahrtausenden sind hier verwebt mit der reizendsten Um- 
gebung, bei deren Bildung der Zauber der Natur sich fast 
erschöpft zu haben scheint. Die Luft ist erfüllt von dem 
Dufte der zahllosen Blumengärten am Bande des Bosporus, 
während an den zurücktretenden Bergen die Wein- und Obst- 
gärten sich emporschlängeln. 

Wir passirten Therapia, wo die Botschafter von Frank- 
reich und England ihre Sommerresidenzen aufgeschlagen haben. 
Es drängt sich an beiden Cfern Dorf an Dorf, Villa an Villa, 
die Höhen sind mit schwebenden Kiosks geschmückt, die Thal- 
einschnitte mit dichten Baumgnlagen bedeckt. Man kann 
nicht mehr alle Einzelheiten unterscheiden, sie verweben sich 
in ein Riesengemälde, das sich in wachsender Schönheit vor 
uns aufrollt, eine Feenszene zur Berauschung der Sinne er- 
schaffen. 

Bosporus bedeutet Kuhfuhrt. Die durch die Eifersucht 
der Juno in eine Kuh verwandelte Jo warf sich, von einer 
Bremse verfolgt, welche sie unaufhörlich quälte, in diese 
Meeresenge, durchschwamm sie und ertheilte ihr den Namen. 

Der Bosporus ist eine Meerenge, welche auf einer Strecke 
von drei deutschen Meilen zwei Erdtheile, Europa und Asien, 
Rumili und Anatoli, trennt und zwei Meere, das Schwarze 
und Weisse (wie allgemein hier das Marmora-Meer genannt 
wird), verbindet. Siebenmal steigen die asiatischen Gebirge 
herab und zwingen die Meeresfluthen , nach der thrazischen 
Küste auszuweichen. Siebenmal streckt der Haemus seine 
Felsenarme nach seinen asiatischen Brüdern am Gestade von 
Anatoli aus. So bildet die Wasserstrasse eine Schlangenlinie von 
sieben Krümmungen oder vielmehr sieben verbundenen Seen, deren 
Ufer in wechselnder Entfernung mit jedem Ruderschlage vor- 
wärts sich neu gruppiren. Die Breite des Stromes beträgt 
oft nur ^/g Meile, zuweilen das Dreifache. Auf der europäi- 
schen Seite reiht sich in ununterbrochener Reihenfolge Ort 
an Ort, entweder im Halbkreise eine Bucht umkränzend, wie 
z. B. Jeni-Makalu und Bujukdere, oder im ausspringenden 
Winkel den Abhang eines Vorgebirges umgürtend (Therapia). 
Dazwischen stehen liebliche Landhäuser und Kiosks, von 
Hainen, Gärten und Weinbergen umgeben, indess Burgen und 



91 

Ruinen aus einer ereignissreichen Vergangenheit die Höhen* 
krönen. Die Abfälle der Berge, auf denen sie sich erheben, 
sind oft schroff und gewähren den Ansiedelungen kaum Platz, 
sich an die grauen Felswände anzuheften, während sie ander- 
wärts zurücktreten und anmuthige Wiesen, mit buntem Blu- 
menflor geziert, den Blick überraschen. Die höchsten Ufer 
sind an der asiatischen Seite. Zu den Berggipfeln ziehen sich 
tiefe Schluchten hinauf, bewachsen mit Pinien, Platanen, Fei- 
genbäumen, Pawlonien und Kirschbäumen in gigantischer 
Entwicklung, über deren Laubkuppeln die schlanken Zypressen 
gleich Minarehs emporstreben, während murmelnde Quellen 
und schäumende Giessbäche ihre Fluthen dem Meere zuwälzen. 
üeber jede Beschreibung lieblich aber ist der Zauber von Tin- 
ten und Farbentönen, von Duft und Wohlgeruch, welche die 
Natur nirgends so reich, wie hier, über Himmel, Wasser und 
Land in gleicher Verschwendung ausgegossen hat. 

Ehe die Osmanli am Bosporus ihre Zwingburgen aufführten, 
befanden sich an beiden Ufern mehrere dem heiligen Michael 
geweihte Kirchen, welchem die Byzantiner die Hut des Bospo- 
rus gläubig überantwortet hatten. Eine dieser Kirchen thront 
noch heute am europäischen Ufer unmittelbar bei der Einfahrt 
in den Bosporus; sie ist wohl erhalten und thut gerade an 
dieser Stelle dem christlichen Bewusstsein wohl. Später ge- 
wahrten wir am asiatischen Ufer die Ruinen eines dem heili- 
gen Georg gewidmeten Klosters. 

Die fünfte Kanalenge wird überwacht von den festen 
Schlössern von Europa und Asien, Rumili und Anatoli-Hissar, 
deren weisse Mauern schon von weitem von den grünen Höhen her- 
ableuchten. Das Schloss von Asien blickt mit seinen mittelalter- 
lichen Mauerzinnen ernst auf das Thal des himmlischen Wassers 
(die süssen Wasser von Asien, den Lieblingsaufenthalt der 
türkischen Damenwelt) herab. Gegenüber erbaute Mohammed H. 
an der thrakischen Küste zwei Jahre vor der Erstürmung von 
Konstantinopel das Schloss von Europa mit seinen gewaltigen 
Thürmen und weitläuftigen Mauern. 

Das Mastengewimmel auf- und absegelnder Schiffe wird 
immer dichter. Es sind dies vorzugsweise griechische, italieni- 
sche und englische Handelsschiffe, wenig französische, welche 
den Bosporus beleben; auch gewahrten wir einige türkische 



92 

'Kriegsschiffe. Die aus dem Schwarzen Meere einfahrenden 
Segelschiffe werden von der gewaltigen Strömung mitgerissen, 
wogegen die hinausfahrenden gegen dieselben ankämpfen müssen 
und nur mit Hülfe von Schleppdampfern (Remorqueurs) die 
Schwierigkeit überwinden. Diese Schleppdampfer, deren Preis 
auf 15,000 Thlr. pro Stück angegeben wird, sollen sich hier 
vorzüglich rentiren, indem sie in einem Jahre schon die Hälfte 
dieser Summe als Brutto-Ertrag liefern und nur einen geringen 
Betriebskosten-Aufwand erfordern. 

Die Lusthäuser und Paläste des grossherrlichen Hofes 
treten zahlreicher an das Gestade und verbinden die am Ufer 
gelegenen Orte zu einer fortlaufenden Reihe zusammenhängen- 
der Gebäude. Man macht uns aufmerksam auf den am asia- 
tischen Ufer gelegenen Palast des Mehemet A'ali Effendi, auf 
den Kiosk des Vizekönigs von Aegypten, auf das Schloss von 
Kiamil Pascha, Schwiegersohn des Vizekönigs, welchem auf 
dem europäischen Ufer das Schloss von A-ali-Pascha (des Gross- 
veziers) gegenüber liegt. Ein dunkler Schatten befindet sich 
jedoch in diesem lichten Gemälde, die Fenster sind überall 
mit Jalousien verhängt; diese glänzenden Häuser scheinen von 
ihren Bewohnern verlassen und ausgestorben zu sein. Nirgends 
gewahrt man am offenen Fenster ein lebendes Wesen, das 
freundlich sich sonnte und auf die belebte Meerenge hinaus- 
blickte. Die geschlossenen Fensterladen und hinabhängenden 
Jalousien sind sehr monoton, sie verbergen die Geheimnisse 
des Harems, stiller Glückseligkeit und Familienzurückgezo- 
genheit. 

Auf dem asiatischen Ufer erblicken wir Beylerbey, das 
grossherrliche Sommerserai (Sera'i bedeutet Schloss), ein lan- 
ges Gebäude, weniger ausgezeichnet durch seine Bauart, als 
durch seine lange Front und die Weitläuftigkeit und Schönheit 
der dahinter gelegenen Gärten, die aber von hohen Mauern 
umgeben sind, um die darin wandelnden Frauen neugierigen 
Blicken zu entziehen. 

Am europäischen Ufer gewahrten wir die Paläste einzelner 
Sultaninnen, dann die grossherrlichen Serais von Beschicktasch 
und Dolmabadsche mit unabsehbaren Fronten und langen ver- 
zierten und vergoldeten Eisengittern nach der Wasserseite und 
hochstrebendeu Thoren. In Thorwegen ist die türkische Bau- 



93 

kunst grossartig, es sind eigentlich bei allen öflfentlichen und 
Prachtgebäuden hohe Pforten. Bei jedem Palast ist eine 
Moschee für die Andacht des zahlreichen Hofgesindes. 

Aber so blendend diese Palastlinie ist, sie fesselt nicht 
mehr die Aufmerksamkeit, denn schon erblickt man durch den 
sich öffnenden Kanal den vordersten der sieben Hügel, welche 
die Kaiserstadt tragen. Schon leuchtet uns der kolossale ver- 
goldete Halbmond von der majestätischen Kuppel der Agia 
Sophia entgegen. Wir wenden ein in den Hafen (das goldene 
Hörn) und gehen im Angesicht* aller orientalischen Herrlich- 
keit vor Anker. 



33. Der erste Eindruck von EonstantinopeL 

So wäre ich endlich in Konstantinopel, so hätte ich er- 
reicht, was mir in jugendlichen Jahren als ein heiss ersehnter, 
unausführbarer Wunsch vorschwebte. Ich bin fern von meiner 
Heim^th, in der Hauptstadt der Türkei, welche einst Europa 
mit seinen wilden Horden zu überschwemmen und der 
christlichen Welt ein hartes asiatisches Joch aufzulegen 
drohte, von wo aus aber noch heute der ganzen muhame- 
danischen Welt in drei Erdtheilen Gesetze vorgeschrieben 
werden. 

Ich fühle mich jedoch den Schwierigkeiten einer pragma- 
tischen Darstellung eines Gemäldes der türkischen Hauptstadt 
nicht gewachsen. Die übrigen europäischen Hauptstädte haben 
so viel mit einander gemein, dass, wenn man eine davon 
kennt, man sich in jeder leicht zurecht findet. Ganz anders 
ist es mit Konstantinopel. Hier sind die Vorstellungen, die 
man von anderen Kapitalen erlangt hat, kaum anwendbar. 
Alle Analogien damit hören auf. Konstantinopel ist einzig in 
seiner Art. Es drängen auf den Beobachter so viele neue Er- 
scheinungen ein, dass er alle seine geistigen Kräfte zusammen- 
nehmen muss, um sich in diesem Labyrinth nicht zu verlieren. 
Nur Fragmente und einzelne zusammenhangslose Skizzen dür- 
fen Sie daher von mir erwarten. Sie glauben kaum, wie sehr 
man mit sich zu kämpfen hat, ehe man das Ueberraschende 
der ersten Eindrücke überwindet; man ist wie betäubt in 
dieser fremden Welt, diesem wirren Treiben, diesem Markte 



I 



94 

des Luxus und der Sinnlichkeit, der Selbstsucht und des Ei- 
gennutzes, 

Bei der Ankunft in Konstantinopel hat man keine Polizei- 
formalitäten zu erfüllen. Die Polizei nimmt in Konstantinopel 
keine Notiz von dem Fremden, er wird weder nach Namen 
noch nach Pass noch nach Reisezweck gefragt. Er kann thun 
und lassen, was er will, wenn er nur immer baar bezahlt. 
Das erste türkische Wort, welches der Reisende lernt, ist 
Backschisch (Trinkgeld), es wird ihm überall, wo er in die 
Oeffentlichkeit tritt, entgegengerufen mit nach ihm ausge- 
streckten geöffneten Händen. Dennoch ist es gut, sich bei 
seiner Gesandtschaft zu melden^ zumal bei der preussischen, 
die durch so liebenswürdige und gefallige Persönlichkeiten re- 
präsentirt wird. Es ist dies zweckmässig, theils der Belehrung, 
theils des möglichen Schutzes wegen, da sich die Gauner, unter 
denen am meisten die Italiener zu fürchten sind^ an ihn her- 
andrängen, um ihn auszubeuten. Wenn man Newyork als den 
„Spucknapf" von Europa kennzeichnet, kann man Konstantinopel 
den Spucknapf der ganzen alten Welt (Europa, Asien, Afrika) 
nennen, deren Abenteurer und Schwindler hier zusammen- 
strömen. 

Lord Byron sagt: „Ich sah Athens geheiligte Räume, Ephe- 
sus' Tempel, ich war in Delphi ; ich habe Europa durchstreift 
von einem Ende zum andern und Asiens schönste Länder be- 
sucht, aber niemals erfreute mein Auge ein Anblick, dem 
von Konstantinopel vergleichbar." — Man muss jedoch dazu 
nicht von der Landseite kommen, um Konstantinopel allmälig 
aus dunklen Zypressen wäldern erscheinen zu sehen, wo die 
alten zerschossenen, mit Epheu umrankten Mauern Zeugen 
grausamer Vergangenheit sind. Es erfüllt mit Wehmuth zu 
wissen, dass jene Zypressen aus der Verwesung ganzer be- 
grabener Nationen keimen, und dass jene grün bewachsenen 
Steinhaufen die Mauern des alten Byzanz waren. 

Stambul ist einer grossen Blume vergleichbar, welche 
von der einen Seite mit einem unscheinbaren Deckblatt um- 
geben ist, mit welchem sie an den Felsgestaden von Rumili 
im Norden anklebt, während sie der südlichen Sonne und 
den glänzenden Spiegeln, welche zwei Meere vor ihr ausbreiten, 
das glühende Antlitz darbietet. Man muss in einem Boote 



95 

nach Skutari hinüberfahren, wie man vor einem Gemälde zu- 
rücktritt, um es besser zu würdigen; manmuss sich auf einem 
anderen Welttheile niederlassen, um das grossartige Bild, das 
sich vor unseren erstaunten Augen entfaltet, mit seiner vollen 
Schönheit in sein Herz aufzunehmen. Schiller sagt vom Sänger : 
„Er breite es lustig und glänzend aus, das zusammengefaltete 
Leben ; er drücke ein Bild des unendlichen All in des Augen- 
blicks flüchtig verrauschenden Schall," Danach ist Konstan- 
tinopel der grösste Dichter oder vielmehr das grösste Gedicht, 
denn es ist das mit einem einzigen Blick zu umfassende, 
glänzendste, farbenreichste Bild des unendlichen All. 

Wie Rom ist Konstantinopel auf sieben Hügel erbauet, 
deren Abgrenzung deutlich erkennbar ist. Der äusserste Hügel 
ist dem Marmora-Meer zugekehrt und wird von ihm unmittel- 
bar bespült. Auf seiner ins Meer hineinragenden Spitze, auf 
einer Landzunge, Skutari gegenüber, lag das alte Serai, welches 
abgebrannt ist, und an dessen Stelle Gärten eingerichtet sind, 
die zuweilen dem Publikum geöffnet werden. Dahinter steigen 
empor die weitläuftigen Anlagen des neuen Serai mit buntver- 
zierten mannichfachen Gebäuden, grösseren Palästen und klei- 
neren Kiosks. 

Was der Stadt einen so wunderbaren Reiz verleiht, sind 
die Hunderte von schlanken Minarehs und die Haufen glän- 
zender Kuppeln auf Moscheen und Grabmälem, die über den 
gewöhnlichen Wohnhäusern hervorragen. 

So glänzend Konstantinopel von aussen anzusehen ist, so 
sehr es den Reisenden anlockt, sich zu beeilen, bald unter 
den grünen Baumgruppen zu lustwandeln, die malerisch zwi- 
schen den Gebäuden hervorsehen: um so mehr bedauert er, 
sobald er in der Stadt angelangt ist, sich nicht mit der blossen 
Fernsicht begnügt zu haben. Alle Strassen Stambuls sind 
enge, krumm, winklig und finster, da . das obere Stockwerk 
meist über das untere hinausgebaut ist. Viele Häuser wen- 
den der Strasse nur eine blosse Mauer zu, indem die Fenster 
auf den Hof gehen; oder wenn Fenster nach der Strasse an- 
gebracht sind, so sind sie verhängt und gewähren einen 
traurigen Anblick. Entweder ist das Strassenpflaster defekt 
oder es fehlt ganz. 

Unzertrennlich von der Physiognomie der Strassen von 



96 



Konstantinopel sind die Schaaren herrenloser Hunde, welche 
auf der Strasse geboren werden, leben und sterben. Sie 
gleichen in Gestalt am meisten unsern Schäferhunden, haben 
kurze Haare von schmutzig gelbbrauner Farbe. Viele sind 
räudig. Sie schleichen faul und träge umher und liegen mit- 
ten im Wege, ganz ausgestreckt, sich sonnend und schlafend, 
unbekümmert um das rege Strassengetümmel. Oft stehen sie 
wartend vor den Häusern, haufenweise vor Fleischläden und 
Garküchen, oder sie durchwühlen einen Müllhaufen, der eben 
auf die Strasse geschüttet worden ist, dessen Inhalt sie disku- 
tiren. Sie reinigen die Strassen und versehen das Amt unserer 
Scharfrichter, z. B. ein gefallenes Pferd oder Rind verzehren 
sie mit Haut und Knochen. Der Türke geht behutsam und 
schonend bei den Hunden vorüber; er ist unfähig, einem Thiere 
ein Leid zuzufügen, selbst seine Haut- und Kopfparasiten liest 
er nur ab und wirft sie fort, ohne sie zu tödten. Sogar die 
Pferde üben gegen diese Hunde Diskretion, sie schreiten vor- 
sichtig über sie fort. Jeder Hund hat sein begrenztes Revier, 
wie in manchen grossen Städten jeder Bettler seinen Standort ; 
wehe dem unglücklichen Hunde, der sein Gebiet überschreitet, 
er wird zur Strafe zerbissen und zerrissen. Fremde Hunde 
werden von Revier zu Revier begleitet und Obacht gegeben, 
dass sie nichts Fressbares anrühren. Die konstantinopolitani- 
schen Hunde bilden eine organisirte Republik. Bei Tage wird 
man nicht von ihnen belästigt. Wehe aber dem Franken, der 
sich in Stambul nach Sonnenuntergang verspätet. Die Be- 
stien machen Kreis um ihn und gestatten ihm nicht, einen 
Fuss vorwärts oder rückwärts zu setzen, nur türkische Gut- 
müthigkeit oder der Revolver kann ihn retten, wenn er nicht, 
Sonnenaufgang abwartend, im Freien kampiren will. 

Die stolze Kaiserstadt hält nicht, was sie von aussen 
verspricht. Es ist wahr, man findet Anziehendes genug, um seine 
Aufmerksamkeit zu beschäftigen, indem Alles, was man antrifft, 
von unseren Gewohnheiten und unserm Geschmacke abweicht. 
Das bunt gekleidete Volk, die grünen, gelben nnd rothen Do- 
minos, mit denen die Frauen umhängt sind, die gelben Pan- 
toflFeln, auf denen sie einherschlottern, erscheinen phantastisch, 
so dass man sich in ein Ballet versetzt glaubt; namentlich am 
Freitag sind die Türken in schreienden Farben ausgeputzt. 



97 



Das Volk drängt sich in den engen, schmutzigen, steil anstei- 
genden Strassen in einem Gewühle, welches an das Gedränge 
von London in seinen belebtesten Stadttheilen erinnert. Da- 
zwischen beengen und versperren die Lastthiere, auf. beiden 
Seiten mit gefüllten Marktkörben oder Holzscheiten beladen, 
den Weg. Indessen glaubt man dies Alles vielfach schon ge- 
sehen zu haben, es sind die Erinnerungen an die Bilder aus 
dem Orient und Italien, die man in seiner Jugend mit so viel 
Theilnalime betrachtet hat, und welche wirklich sich oft durch 
grosse Naturwahrheit auszeichnen, weil ihre Züge zu charak- 
teristisch und leicht darstellba.r sind. 

Die aus Brettern gebauten, oft hell übertünchten Häuser 
mit einem über den Unterbau vorspringenden Söller, dessen 
eng vergitterte Fenster die Geheimnisse des Harems verbergen, 
gewähren für kurze Zeit noch ein Interesse. Schauder erre- 
gen die vielen Brandstätten und Trümmerhaufen, welche we- 
nigstens den fünften Theil der Oberfläche von Stambul be- 
decken und in allen Quartieren wiederkehren: sie erinnern an 
die verheerenden Feuersbrünste, von denen Konstantinopel so 
oft heimgesucht wird, üeberall, wo die Strasse sich ein wenig 
erweitert, haben Kaufleute ihre Waaren ausgelegt; dabei ist 
in den Verkebrsstrassen in jedem dritten Hause ein Tabaks- 
verschleiss. In nicht zu grossen Zwischenräumen trifft man 
Geldwechsler, die in irgend welchem Winkel der Strasse auf 
der Erde gekauert, ihre in Fächer getheilten Kästen, die mit 
verschiedenen Gold-, Silber- und Kupfermünzen gefüllt sind, 
ausstellen und daraus Dukaten und Napoleonsd^or in Piaster um- 
wechseln. Die Bretzel-, Zuckerbäcker, Obstverkäufer, Wurst- und 
Kaviarhändler schreien ihre Waare mit gellender Stimme aus. 

Der Eindruck des Grossartigen aber, den man in den 
ersten Tagen in Konstantinopel empfängt, verschwindet in 
einem wehmüthigen Gefühle, wenn man innerhalb dieser Mauern 
wandelt, wo so viel Grösse untergegangen ist ; wenn man diese 
Hügel hinansteigt, welche die Gräber von Nationen bedecken. 
Nicht nur liegen die Begräbnissstätten innerhalb des Bezirks 
der Vorstädte und sind von den Wohnungen nicht geschieden, 
sondern man stösst auch fast in jeder Strasse, bei jeder Mo- 
schee auf Privatkirchhöfe, welche, gleich Gärten von Mauern 
umgeben, durch vergitterte Oeffnungen ihre Leichensteine 

7 



1 



98 



zeigen, indess melancholische Zypressen über die Einfriedigung 
emporragen. Ueberall triflft man auf Grabsteine und Zypressen. 
Man kann Konstantinopel die Leichenstadt nennen — es ist 
ein grosses Grab der Geschichte, in welchem auf die Dauer 
sich kein Lebendiger wohl fühlt. 

33. Geschiehtliches. 

Byzas, König von Megara, hat* Konstantinopel gegründet 
im Jahre 658 v. Chr., es erhielt den Namen Byzanz. Konstan- 
tinopel ist von altem Adel. Die Byzantiner behaupteten ihre 
Unabhängigkeit bis auf den persischen König Darius, des 
Hystaspis Sohn, welcher, als er Griechenland mit Krieg über- 
zog, diese Stadt unterwarf. Auch während der Durchzüge des 
Xerxes, seines Nachfolgers, hatte Byzanz viel zu leiden. Nach- 
dem die Perser bei Plataeae besiegt worden waren, kam 
Byzanz unter die Herrschaft der Spartaner, deren Feldherr 
Pausanias es in Besitz nahm; nachher unter die Herrschaft 
der Athener unter der Anführung des Alcibiades. Später 
machten sich die Byzantiner frei und gründeten eine Demo- 
kratie. In den späteren Kriegen der Römer gegen Antiochus, 
Perseus und Mithridates waren die Byzantiner stets auf Seiten 
der Römer, als Belohnung Hessen ihnen die Römer ihre Unab- 
hängigkeit, welche aber von den römischen Kaisern nicht ge- 
achtet wurde. Schon Kaiser Vespasian entriss den Byzantinern 
alle Privilegien. Kaiser Severus zerstörte Byzanz, baute es 
aber besser wieder auf. 

Endlich machte Kaiser Konstantin, entzückt über die 
Lage von Byzanz, es zu seiner Residenz, indem er es ganz 
neu wieder aufbauete und nach seinem Namen benannte. Er 
ging dabei gründlich zu Werke und folgte alten Gebräuchen, 
indem er im Jahre 324 n. Chr. mit der Pflugschaar eigenhändig 
von der Landzunge, die von dem Hafen (dem Goldenen Home) 
nördlich und dem Marmara-Meer südlich begrenzt wird, an 
dessen Spitze sich der Bosporus in das Marmara-Meer er- 
giesst, ein gleichseitiges Dreieck begrenzte, dessen jede Seite 
etwa eine deutsche Meile lang ist. Die an den Pontus Euxi- 
nus grenzenden Wälder, ebenso die Marmorbrüche der Insel 
Prokonnessus der Propontis, lieferten vorzügliches Baumaterial. 
Prachtbauten wurden durch geschickte Baumeister hergestellt. 



99 



Die Kunstwerke, welche die Städte Griechenlands und Klein- 
asiens schmückten, wurden nach Konstantinopel geschafft: 
Säulen, Statuen der Götter, Helden und Dichter, Trophäen 
u. s. w. Kaiser Konstantin tiberredete viele vornehme Römer, 
nach seiner neuen Residenz überzusiedeln. Die günstige Lage 
des Ortes und die Munifizenz der Kaiser verlockte viele Leute, 
dort ihren Wohnsitz aufzuschlagen. So geschah es, dass Kon- 
stantinopel an Grösse und Glanz bald mit der stolzen Roma 
wetteiferte, ja dieselbe übertraf. 

Mannigfach waren die Schicksale von Konstantinopel im 
Mittelalter. In den Kreuzzügen bildete es die Hauptstation 
und den Stützpunkt aller militärischen Operationen. Lange 
Zeit widerstand Konstantinopel den Angriffen der Türken, es 
bedurfte der blutigsten Kämpfe, die fast ein volles Jahrhun- 
dert dauerten, um, nachdem fast schon alles Gebiet rings 
umher erobert war, endlich diese festeste aller Positionen zu 
überwinden. Am 29. Mai 1453 wurde Konstantinopel von der 
Landseite mit Sturm genommen. Der letzte griechische Kaiser 
Konstantin Dragoses fand einen ruhmvollen Tod an der 
Spitze seiner Truppen mit dem Schwerte in der Hand bei 
der Vertheidigung der vom ersten Konstantin erbauten 
Mauern der Hauptstadt des von diesem gegründeten tausend- 
jährigen byzantinischen Reiches. „Ich will lieber sterben als 
leben!" rief er, sich den Stürmenden entgegen werfend. Als er 
sich von den Seinigen verlassen sah, brach er aus in die 
Worte: „Ist denn kein Christ vorhanden, der mir den Kopf 
spalte!" So fiel er unter den Schwertstreichen zweier Türken, 
deren einer ihm ins Gesicht, der andere vom Rücken einhieb. 
Sein Kopf wurde an die Porphyr-Säule angeheftet, welche der 
erste Konstantin der Grosse seiner Mutter Helene zu Ehren 
errichtet hatte, nachher in die asiatischen Städte als Sieges- 
botschaft zur Schau versandt. 

Doch scheint die letzte Stunde türkischer Herrschaft auf 
ehemaligem christlichen Gebiete bald schlageü zu wollen. 
Die Türken sind von trüben Ahnungen bevorstehender Ver- 
geltung erfüllt. Nach alter Prophezeiliung wird ein nordischer 
Herrscher mit blondem Barte Konstantinopel wiedererobem. 
Das Thor, durch welches er bestimmt ist, von der Landseite 
einzuziehen, haben sie fürsorglich vermauert. 

7* 



100 



34. Orientirnng. 

Wir wollen zum Verständniss der folgenden Berichte ver- 
suchen, den Leser in einigen starken Strichen über die Lage 
und Disposition von Konstantinopel zu orientiren. Es mag 
kaum eine Localität in der Welt geben, die so plastisch aus- 
geprägt wäre, dabei so mannigfaltig gegliedert und in ihren 
Einzelnheiten so ausgemalt, wie die von Konstantinopel. 

Der Bosporus ist im Wesentlichen vom Schwarzen Meere 
aus von Norden nach Süden mit einer Ablenkung nach Westen 
gerichtet. Das vorhin beschriebene Dreieck, welches das alte 
Stambul enthält, wendet seine abgerundete Spitze, die vom 
Serai (dem alten abgebrannten, in Gärten verwandelten, und 
dem neueren Jeni Serai* mit seinen drei Höfen) eingenommen 
wird. Den Schlussstein des Serai bildet gewissermaassen, ob- 
gleich ausserhalb seiner Ringmauern gelegen, von dort aber 
unmittelbar zugänglich, die Agia Sophia, die Kirche der gött- 
lichen Weisheit, auf hohem Bergesrücken gelegen, von allen 
Punkten sichtbar, sich im Marmara-Meer spiegelnd. Gegenüber 
der Serai-Spit^e liegt am asiatischen Ufer Skutari (Uesküdari), 
das alte Chrysopolis, nach Norden, und Kadikjöi, das alte 
Chalcedon, nach Süden. 

Das Goldene Hom ist eine Einbuchtung des Bosporus, 
die in Form des Bornes eines Stieres sich über fünf Viertel 
Meilen tief ins Land erstreckt, eine Meile lang das alte Stam- 
bul begrenzend, nachher nach seiner Umbiegung die Vorstadt 
Ejub trennend von den Depots der Artillerie und Marine und 
dem jüdischen Friedhofe, endigend in eine stark gekrümmte 
Spitze, wo zwei unversiegbare Bäche Kydaris und Barbyses 
(die süssen Wasser von Europa) einströmen. 

Das Wasser des Bosporus dringt bei der Serai- Spitze in 
einer starken Strömung in den Hafen, welcher das Goldene 
Hörn genannt wird, ein und umkreiset dasselbe, es so aus- 
spülend, dass nie Flussschlamm sich darin ansammeln kann, 
daher immer die gehörige Wassertiefe für die grössten Kauf- 
fahrtei- und Kriegsschiffe erhalten wird, die zu vielen Hun- 
derten dort eine bequeme, vor allen Stürmen gesicherte Unter- 
kunft finden. 



101 



Auf der anderen Seite des Goldenen Hornes, nach Norden 
zu gelegen, aber immer auf der europäischen Seite, liegen die 
Vorstädte Galata, darüber auf dem Berge Pe^-a (izipa heisst 
jenseits, d. h. jenseits des Hafens) Kassim- Pascha, Hasskjoi 
u. s. w. Man kann daher von Pera nach Stambul zu Lande 
kommen, indem man das Goldene Hörn umgeht, über die 
süssen Wasser von Europa. Leichter ist es freilich von Ga- 
lata aus, welches der Serai- Spitze gegenüberliegt, über eine 
der beiden Schiffsbrücken (die neue und die alte Hafenbrücke, 
jede eine Viertelstunde lang, ähnlich der alten Brücke, welche 
Deutz und Köln verbindet) oder über die fast am Ende des 
Goldenen Hernes gelegene dritte Brücke den Hafen zu über- 
schreiten. 

Zwischen der neuen und alten Hafenbrücke ist der Han- 
delshafen befindlich, während die Rhede von Galata der Serai- 
Spitze vorliegt; hinter der alten Hafenbrücke, nach der Spitze 
des Goldenen Homes zu, ist der Kriegshafen mit weitläuftigen 
Schiffswerften. 

Galata bildet eine eigene, mit Mauern und Thoren um- 
gebene Stadt, es ist der Tummelplatz der Matrcfeen, die Resi- 
denz der Schiffsmakler und Agenturen, des Zollamts, der 
Quarantaine u. s. w. Von Galata aus nach Norden aufwärts 
dem Schwarzen Meere zu gelangt man in die Vorstädte 
Tophane, Fyndykly, Dolma-Bagtsche (mit dem jetzigen Resi- 
denzschlosse des Sultans), Beschick- Tasch mit Tschiragan- 
Serai (dahinter die weit ausgedehnten grossherrlichen Lust- 
gärten), Ortakjöi u. s. w., wo am europäischen Ufer Ortschaft 
an Ortschaft bis zur Mündung des Bosporus sich in ununter- 
brochener Folge reiht. 

Der Serai- Spitze und dem Zollamte von Galata gegen- 
über auf dem asiatischen Ufer des Bosporus steigt nun die 
grösste Vorstadt von Konstantinopel Skutari (Uesküdari, das 
alte Chrysopolis) mit seinem Zypressenwalde wieder in sieben 
getrennten Hügeln den Berg hinan. Zwischen Galata und 
Skutari befindet sich eine Felseninsel mit dem Leanderthurm. 
Dann folgen von Skutari aus nach dem Marmara-Meere zu in 
der Ebene am Meere gelegen die Exerzierplätze, Kasernen, 
das grosse militärische Lazareth, die Vorstadt Haider-Pascha, 



102 

das ganz modernisirte Kadikjöi mit hohen steinernen Häusern 
am prachtvollen Meeres- Quai entlang dem Strande des Mar- 
mara- Meeres, den Prinzen -Inseln gegenüber. 

Konstantinopel mit allen seinen Vorstädten und dazu ge- 
hörigen Ortschaften hat sicherlich eine Einwohnerzahl von 
über eine Million. Der Verkehr von Stambul mit allen am 
Bosporus auf seinen beiden Ufern gelegenen Ortschaften wird 
durch ein halbes Hundert Dampfschiffe bewirkt, die von 
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang regelmässig nach dem 
Fahrplan von der neuen Hafenbrücke aus fahren. Die Schiffe 
sind erkennbar durch kolossale, auf hohen Stangen befestigte 
Nummern, sonst würde man sich gar nicht zurechtfinden in 
diesem Gewirre. Die Stunden auf dem Fahrplan sind aber 
nach türkischer Zeit angegeben, wo der Tag mit Sonnenunter- 
gang beginnt, so dass man also seine Uhr auf zwölf stellen 
muss; sonst wird der Tag von einem Sonnenuntergang bis 
zum nächsten in zweimal zwölf Stunden eingetheilt. Da sich 
die Zeit des Sonnenunterganges ändert, ist man gezwungen, 
seine Uhr täglich zu stellen. Ausserdem giebt es zahllose 
Kaiks (lange,! schmale Boote mit einer Vertiefung in der 
Mitte, worüber ein Teppich gebreitet ist für die Passagiere), 
welche den Lokalverkehr unterhalten: man schätzt die Anzahl 
der auf dem Bosporus kursirenden Mieths- und Privat -Kaiks 
auf achtzig Tausend. 

Konstantinopel hat nach London, Liverpool, Antwerpen 
und Hamburg sicherlich den grössten Schiffsverkehr in Europa, 
ein Masten wald entwickelt sich vor den erstaunten Blicken auf 
der Rhode und im Goldenen Hörn, das sein Beiwort erhalten 
hat von dem Ueberfluss an Waaren, die seit dem grauen Alter- 
thum hier verschifft wurden. Konstantinopel ist die belieb- 
teste Skala (echelle oder Landungsplatz) des Orients. 

Die orientalische Frage wäre viel weniger schwer lösbar, 
wenn es sich blos um eine Theilung des türkischen Gebiets 
handelte; Konstantinopel ist aber untheilbar. Es hat die be- 
günstigste Lage für eine Haupt- und Residenzstadt auf der 
ganzen Erdkugel, es wird daher dereinst das Zentrum der 
Universalmonarchie werden, welche alle Erdtheile umfassen 
soll, so dass ein Hirt und eine Heerde alle Völker vereint. 



103 



Keine Stadt ist leichter zu verproviantiren als Konstantinopel, 
es kann sich den Ueberfluss einer fruchtbaren Küstenentwicke- 
lung von Hunderten von Meilen an zwei Meeren, welche die 
grösste Mannigfaltigkeit der Produktion aufweisen, in wenigen 
Tagen, selbst Stunden, aneignen, seitdem die Dampfschifffahrt 
im Gange ist. Keine Position ist leichter zu befestigen und 
zu vertheidigen, als die von Konstantinopel. Vom Schwarzen 
Meere aus ist eine über drei Meilen lange schmale Meerenge 
zu passiren; vom Mittelmeere aus die enge Strasse der Dar- 
danellen. Ebenso geschützt ist es von der Landseite durch 
das unübersteigliche Balkan-Gebirge im Rücken, das eigentlich 
nur durch zwei leicht zu vertheidigende Pässe für eine Armee 
zu überschreiten ist. Konstantinopel liegt an den Grenzen 
von drei Erdtheilen, sein Klima ist mild, seine Lage macht es 
zu den gesundesten Aufenthaltsorten für Menschen, durch seine 
Scenerie ist es der bevorzugteste Ort auf dieser Erde. 

35. Die Moscheen. 

Der erste Gegenstand, welcher die Aufmerksamkeit eines 
' Reisenden in der Fremde auf sich zieht, sind d5e der Gottes- 
verehrung gewidmeten Gebäude. In ihnen ist der Geist des 
Volkes plastisch dargestellt, zugleich die ganze Innerlichkeit 
des Volkes nach aussen gekehrt und die Stufe der Gesittung 
und Bildung, auf welcher sich das Volk befindet', bezeichnet. 
Der Reisende, welcher nach der Türkei kommt, sieht sich zu- 
erst nach den Moscheen um: mein erster Ausflug in Konstan- 
tinopel war nach der Moschee gerichtet, welche dem andern 
Ende der neuen Hafenbrücke, die Galata mit Stambul ver- 
bindet, gegenüber liegt. Es war dies die Dscheni Dschami, 
d. h. die neue Moschee, welche von der Sultanin Valide, der 
Mutter des jetzigen Sultans, erbaut ist. Die Moschee war von 
Andächtigen umlagert, die vor ihrem Eintritt in das Heilig- 
thum sich durch Waschungen säuberten. Ein gutmüthiger 
Türke erkannte in mir den Fremden, der mit den Gebräuchen 
des Islam unbekannt war. Er bedeutete mir, die Stiefel aus- 
zuziehen, und auf den Strümpfen einzugehen; half mir dfen 
schweren, doppelten Vorhang bei Seite legen, welcher ge- 
wissermaassen die Stelle der Hauptthür vertritt, um jedes 



104 

Geräusch zu vermeiden. Es war fast UnbesonneDheit von 
meiner Seite, als Giaur (Ungläubiger) die Moschee ohne be- 
sondere Autorisation zu betreten. Man bedeutete mir später 
auf der Gesandtschaft, dass ich mich dabei jeder Misshand- 
lung ausgesetzt hätte, wofür man keinerlei Genugthuung hätte 
fordern dürfen, indem noch damals der Besuch einer Moschee 
jedem Ungläubigen streng untei-sagt war. 

Der Eindruck, den ich beim Eintritte in diese hohen 
Räume empfing, war überwältigend. So wie man die Schwelle 
überschritten hat, befindet man sich fast unter der erhabenen 
Kuppel, doch davon werden wir später bei Gelegenheit der 
Agia Sophia reden, welche als Muster bei dem Bau aller 
grossen Moscheen zu Konstantinopel zu Grunde gelegt worden 
ist. Vorerst wollen wir zum besseren Verständniss der folgen- 
den Beschreibungen uns mit den Moscheen im Allgemeinen 
beschäftigen. 

Die Grundform einer Moschee ist das Viereck. Ursprüng- 
lich bestand eine Moschee aus einem viereckigen oben offenen 
Hofe, umgeben von überdachten Säulengängen. 

In jeder Moschee befindet sich in der Direktion nach 
Mekka l)der Mihrab, d. h. eine in der Mauer angebraclite Nische, 
in grossen Moscheen oft verziert mit Säulen von kostbarem 
Marmor, aber nie Gemälde oder Bildwerke enthaltend, welche 
überhaupt von den Moscheen ausgeschlossen sind. Es hat 
der Mihrab die Bedeutung des Hauptaltars unserer christlichen 
Kirchen. Neben dem Mihrab ist 2) der Minber, eine Kanzel 
zum Predigen, überragt von einem pyramidalen oder kegel- 
förmigen Schalldeckel. Auf diesen Minber führt eine steil an- 
steigende Treppe, oft mit einem verzierten Geländer geschmückt. 
Vom Minber wird an hohen Feiertagen das Gebet für den 
Sultan verlesen. 

Auf der anderen Seite der Mihrab, dem Minber gegenüber, 
ist 3) die Maksoura, ein umschlossener erhöhter Chor für den 
Sultan, welcher den Gläubigen das gute Beispiel giebt und 
wenigstens jeden Freitag mit Pomp eine der grossen Moscheen 
besucht. Zu den mannigfachen religiösen Verpflichtungen, 
welche dem Sultan obliegen, gehört auch die, während seiner 
Regierungszeit einmal den ganzen Koran mit eigener Hand 
abzuschreiben, welche Abschrift später wie ein Heiligthum in 



seinem Begräbnisstempel (Turbe) aufbewahrt wird, welcher 
Turbe sich neben der von ihm erbauten Moschee befinden 
soll. Es liegt nämlich eigentlich jedem Sultan ob, eine neue 
Moschee zu bauen, welche Pflicht freilich von den letzten Sul- 
tanen häufig unerfüllt geblieben ist. 

Vor dem Mihrab ist oft noch 4) eine Art Erhöhung 
(Tribüne), Kliout balli genannt, angebracht, wo der Iman sein 
Gebet verrichtet, und 5) der Mahfil, eine Terrasse von massi- 
ger Erhöhung für die Koran -Vorleser und Erklärer. Ausser- 
dem bemerkt man 6) eine viereckige erhöhete Plattform, Ma- 
stalah genannt, von wo die Ausrufer zum Gebete einladen. 

Der Gottesdienst der Moslemin besteht mehr in frommen 
Gebeten der Gläubigen, als in Zeremonien der Priester, er ist 
frei von äusserlichen Ueberschwenglichkeiten. Ebenso ist die 
Predigt einfach, sie beschränkt sich auf Vorlesung und Erklä- 
rung einzelner Kapitel (Suren) des Korans. Das weibliche Ge- 
schlecht ist vom Besuch der Moscheen ausgeschlossen. 

Der Fussboden der Moscheen ist im Sommer mit gefloch- 
tenen Strohmatten, im Winter mit gewirkten Teppichen belegt. 
Bänke und Tische fehlen, der Totaleindruck und die Ueber- 
sichtlichkeit des harmonisch gegliederten Baues wird dadurch 
weder geschwächt noch gestört. Eine eigenthümliche Dekora- 
tion bietet der Erleuchtungsapparat, welcher in den grossen 
Moscheen aus Kry stall- und Glaskronen , zahllosen Laternen 
und I^ampen, vielfach aus ausgehöhlten Strausseneiern besteht. 
Bei festlichen Gelegenheiten, z. B. dem Bairamsfeste, werden 
die Moscheen und Minarehs glänzend erleuchtet, was einen 
magischen Effekt hervorbringen soll. 

Um die Moschee befindet sich gewöhnlich ein Hof mit 
überdachten Säulengängen, auf dem Hofe sind Brunnen ange- 
bracht für die Abwaschungen, gewöhnlich auch um die Moschee 
Wasserbehälter mit Hähnen, wo die Gläubigen vor dem Gebet 
ihre Reinigungen vornehmen. 

Getrennt von der Moschee sind die Minarehs, wie in 
Italien die Glockenthürme (Campanili) von den Kirchen. Nur 
den kaiserlichen Moscheen sind vier Minarehs gestattet, an 
jeder Ecke einer. Eine einzige Moschee, die Achmedieh in 
Konstantinopel, hat deren sechs, die Kaaba in Mekka jedoch 
deren sieben (das non plus ultra). Die Minarehs sind schlanke 



106 

weisse Thürme mit zwei oder mehr Etagen, auswendig mit 
kreisförmigen Gallerien umgeben, von wo die Ausrufer (Muezzin) 
die Gläubigen mit kreischender Stimme zum Gebete rufen. 
Der Minareh ist gewöhnlich gekrönt mit einem kegelförmig 
spitz zugehenden Schieferdache, so dass ein Minareh das An- 
sehen eines Leuchters mit einem darauf gesteckten Lichtaus- 
löscher gewinnt. 

Die grossen Moscheen sind gewöhnlich mit einem Platze 
umgeben, der mit Bäumen bepflanzt ist, sie liegen im Grünen. 
In den Bereich der Moschee gehören die Amtswohnungen der 
Ulemas, Imans und der geistlichen Unterbedienten (Teppich- 
ausbreiter, Lampenanzünder u. s. w.); ausserdem Khans (zur 
Aufnahme von Reisenden), Medresses (Parochialschulen), Bi- 
bliotheken, Imarets (Zufluchtsstätten für Obdachlose, Nacht- 
herbergen), Volksküchen, öffentliche Bäder, Springbrunnen u. s. w. 
Jeder Sultan hat neben der von ihm gebauten Moschee sein 
Erbbegräbniss (Turbe), wo er, seine Frauen, Kinder u. s. w. 
ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Deswegen sind die 
Turbes oft mit kleinen Kirchhöfen umgeben, die aus reizenden 
Rosengärten bestehen. Man macht in Konstantinopel Parade 
mit Begräbnissstätten, ausgeschmückten Särgen, Leichensteinen, 
Grabdenkmälern und umgiebt sie mit heiteren Einfassungen, 
um dem Tode seine Schrecken zu nehmen. Wenn auch nicht 
jeder Grossherr die Mittel besessen oder aufgewendet hat, eine 
Moschee zu bauen, so hat er doch wenigstens einen Turbe 
gestiftet. Am Katafalk des Stifters ist am Kopfende ein 
Turban, am Fussende eine ungeheure Kerze angebracht. Ein 
solcher Katafalk hat kolossale Dimensionen und ist oft mit 
kostbaren Gewändern überdeckt, die nicht selten mit werthvollen 
Edelsteinen verziert sind. 

Die Moscheen pflegen reich dotirt zu sein durch Schen- 
kungen und Vermächtnisse. Von ihren Einkünften werden die 
Ausgaben für die mit der Moschee verbundenen Wohlthätig- 
keits- Anstalten (als da sind für Reisende, Arme, Kranke, 
Obdachlose u. s. w.), Unterrichtsanstalten (Schulen, Bibliothe- 
ken) bestritten. 

Zugleich dienen die Moscheen zur Aufbewahrung und 
Sicherstellung von Werthsachen, Schätzen u. s. w. Z. B. wenn 
ein Muselmann verreist, vertraut er seine Kostbarkeiten der 



107 

Moschee an und erhält sie unangetastet zurück. Die Moscheen 
ersetzen unsere gerichtlichen Depositorien; ihre Priester ver- 
walten das Vermögen der Minorennen, daher von den Geist- 
liehen verlangt wird, dass sie rechtskundig sind. In den Höfen 
der Moscheen sieht man Waarenballen, Kisten, Reisekoffer u. s. w. 
aufgestapelt, die dort unbewacht und aufsichtslos sich unan- 
gefochten und ungefährdet in voller Sicherheit befinden. 

Ausser den grossen Moscheen, welche Dschami (Versamm- 
lungshäuser) heissen, giebt es eine Unzahl Bethäuser, Mesdjid, 
woraus die Spanier Mesquida, die Italiener Mesquita gemacht 
haben, die Franzosen Mosquee, die in allen Stadtvierteln von 
Konstantinopel zerstreut liegen. 

36. Die Agia Sophia. 

Es giebt vielleicht kaum ein Gebäude auf der ganzen 
Erde, das geeignet wäre, eine solche Theilnahme in Anspruch 
zu nehmen, als die frühere christliche Metropolitankirche, 
jetzige Moschee Agia Sophia in Konstantinopel. Es ist viel- 
leicht das älteste und zugleich das schönste Gebäude auf der 
Erde, zugleich knüpfen sich daran die bedeutungsvollsten hi- 
storischen Erinnerungen. Die Agia Sophia liegt auf einer 
Anhöhe, sie ist von allen Seiten weithin ersichtlich. Der auf 
ihrer Kuppel angebrachte vergoldete Halbmond, welchem das 
christliche Kreuz hat weichen müssen, spiegelt sich in zwei 
Meeren (dem Marmara-Meer und dem Bosporus). 

Berichterstatter war mit einem grossherrlichen Ferman 
versehen, es war ihm dadurch volle Freiheit gewährt, die Agia 
Sophia in allen ihren Theilen zu besichtigen, auch selbst wäh- 
rend der Gebetsstunden. Nach einigen historischen Bemer- 
kungen, die für das weitere Verständniss vorauszuschicken er 
für nothwendig erachtet, wird er seine eigenen Wahrnehmun- 
gen mittheilen. 

Kaiser Konstantin , welcher Konstantinopel zur Haupt- 
und Residenzstadt des oströmischen Reiches erwählte, hatte 
dort im Jahre 325 der ewigen göttlichen Weisheit (oocpta) eine 
christliche Kirche erbauet, welche im Jahre 532 in Folge 
eines Aufstandes (des Nike -Aufstandes) zerstört wurde. Die 
Christen in Konstantinopel erkannten bald mit Bedauern, wie 



108 

verderblich die Folgen blinder Leidenschaft sind. Der Kaiser 
Justinian beschloss daher den schleunigen Wiederaufbau des 
zerstörten Gotteshauses. Er fasste den Vorsatz, eine Kirche 
zu bauen, welche würdig sei, die erste der Christenheit ge- 
nannt zu werden. Er beauftragte daher den bedeutendsten 
Architekten seiner Zeit, Anthemios, mit der Anfertigung des 
Bauplanes, und 40 Jahre nach dem Brande, am 23. Februar 
532, wurde der Grundstein zum Neubau gelegt. 

Alle Behörden der Provinzen erhielten den Befehl, an 
werthvoUen Materialien herbeizuschaffen, was zu erlangen war. 
Die heidnischen Tempel in Griechenland und Kleinasien wurden 
geplündert, um die Kirche der Sophia zu schmücken. i 

Alle verfügbaren Einkünfte des weitläuftigen Reiches wur- ; 

den auf den Bau verwendet, und sogar neue Taxen auferlegt, | 

um die enormen Kosten zu bestreiten. Der Kaiser Justinian 
besuchte selbst täglich den Bau, um die Arbeiter anzufeuern 
und das Werk durch Lob und Tadel zu fördera. Auf diese 
Weise gelang es, mit mehr als 10,000 Arbeitern, die Tag und 
Nacht sich ablöseten, den grossen Bau mit aller seiner Pracht 
in fünf Jahren elf Monaten und zehn Tagen vom Tage der 
Grundsteinlegung an wiederherzustellen. Die Einweihung erfolgte 
am 26. Dezember 537. Aber schon 22 Jahre später stürzte in 
Folge eines Erdbebens der östliche Theil der Kuppel ein. 
Justinian schritt sofort zur Wiederherstellung, er liess die 
Widerlagen verstärken, die Kuppel selbst um 25 Fuss höher 
aufführen und die innere Pracht erneuern. Am 24. Dezember 
563 wurde die Kirche von Neuem eingeweiht. Als der Kaiser 
darin einzog, rief er aus: „Gepriesen sei Gott, ich habe dich 
besiegt, Salomo." Justinian hatte Feuersicherheit seinen Bau- 
meistern zur ersten Bedingung gemacht, und die konsequent 
durchgeführten Gewölbe -Konstruktionen haben ddn Bau gegen 
die so häufigen Feuersbrünste in Konstantinopel gesichert.. 

Wenn man die vielen und heftigen Erderschütterungen 
in Betracht zieht, welche im Verlauf von dreizehn Hundert 
Jahren Konstantinopel mit ihren zerstörenden Wirkungen heim- 
gesucht haben, so erscheint es als ein Wunder, dass die Sophia - 
mit ihren gewagten Konstruktionen alle diese Stürme über- 
dauert und in diesem langen Zeiträume nur wenig Hauptre- 
paraturen erfordert hat. 



109 

Am 29. Mai 1453 nahmen die Türken Konstantinopel mit 
Sturm. Mohammed IL hielt gegen Mittag seinen Einzug in 
die eroberte Stadt. Er ritt gerade zur grossen Kirche hin, 
welche auch auf ihn die grösste Anziehungskraft übte, wie 
noch heute auf jeden Reisenden. Er sprang vom Pferde und 
ging in die Kirche zu Fuss. Bewundernd schaute er die 107 
Säulen aus Porphyr, Granit, Serpentin, vielfarbigem Marmor 
(rosenfarbig gestreiftem, grünem von Lakonien, blauem von 
Lybien, schwarzem celtischen, weissem bosporischen) und 
saitischem Porphyr: darunter die acht Porphyrsäulen aus dem 
Sonnentempel zu Baalbeck (Palmyra), die sechs grünen Mar- 
morsäulen (verde antico) aus dem Dianentempel zu Ephesus, 
die Säulen aus dem Tempel des Zeus zu Cyzikus, aus den 
Tempeln von Alexandria, Athen und den griechischen Inseln, 
wie wir sie noch heute bewundern. Mit Erstaunen hing sein 
Blick an den luftigen Gallerien und Gewölben, an den kolossa- 
len Bildern der Evangelisten und Apostel, der Jungfrau und 
des Kreuzes mit den Worten: „In diesem siege!" Alles war 
und ist Mosaik von farbigen und vergoldeten an einander ge- 
fügten Glaswürfeln. Je höher sein Blick stieg, desto grösser 
war sein Erstaunen, bis er im kühnen Fluge des Baumeisters 
mit der so niedrig gewölbten Kuppel hoch in den Lüften 
schwebte. 

Mohammed IL war tief ergriffen; er befahl, das Gebäude 
zu verschonen. Die prophetische Inschrift auf den kreide- 
weissen, auf Rhodus gebrannten Ziegeln: „Gott hat sie ge- 
gründet, und sie wird nicht erschüttert werden, Gott wird ihr 
beistehen im Morgenroth", ging nun, soweit sie die Erhaltung 
des Gebäudes durch den östlichen Eroberer betraf, in Erfül- 
lung. Mohammed liess einen seiner Gebetausrufer von der 
Estrade vor dem Heiligsten zum Gebet und zum Bekenntniss 
des Islam auffordern, und verrichtete zuerst als Nachfolger 
des Propheten das Gebet auf dem Hochaltare. Wie die grie- 
chischen Kaiser ihre Triumph -Züge mit Gebet in der Agia 
Sophia beschlossen, begann Mohammed die Besitzergreifung 
der Stadt durch Gebet auf dem Hochaltare. Noch heute be- 
steigt hier am Freitag beim Gebet der Priester den Minber 
(die Kanzel) mit einem blanken Säbel in der einen Hand, um 
die Besitzergreifung mit dem Schwerte zu konstatiren. 






1 



110 

Der christliche Tempel der göttlichen Weisheit wurde 
fortan in eine Moschee umgewandelt. Die prachtvollen Male- 
reien aus Mosaik, darstellend Scenen aus der heiligen christ- 
lichen Geschichte, wurden mit Kalk übertüncht und unkennt- 
lich gemacht. Die Aussenseite des Gebäudes wurde entstellt 
durch Strebemassen und Stützpfeiler, welche gegen die Um- 
fassungsmauern aufgethürmt sind. 

Es mag an dieser Stelle eine Legende erwähnt werden, 
welche vielen gläubigen Christen noch heute als Wahrheit 
gilt. Als die Türken Konstantinopel eroberten, flüchtete eine 
Menge Volk in das Heiligthum, um ihr Leben zu retten. Die 
Agia Sophia wurde mit Menschen angefüllt und die Thore 
wurden geschlossen, von den Türken aber mit Beilen erbrochen, 
und das geflüchtete Volk niedergemetzelt oder in die Sklaverei 
fortgeführt. Ein Priester feierte am Hochaltare das Mess- 
opfer, er wurde in der Mitte des Hochamtes von Soldaten ge- 
stört, die mit erhobenen Schwertern auf ihn eindrangen. Er 
ergriff die Flucht, es öffnete sich die Mauer der Kirche vor 
ihm und schloss sich hinter ihm, er verschw^and. Man glaubte 
an einen geheimen Ausgang, eine verdeckte Thür, fand aber 
eine dichte undurchdringliche Mauer. Man bezeichnet noch 
heute die Stelle, wo der Priester seinen Verfolgern sich ent- 
zogen hat. Zuweilen ertönen hier aus der Dicke der Mauer 
feierliche Kirchengesänge. Der Priester soll noch leben und 
auf den Augenblick warten, wo er seine Zufluchtsstätte ver- 
lassen kann, um das unterbrochene Messopfer am Hochaltare 
zu vollenden. Mehr als 400 Jahre sind seitdem verflossen, 
der Priester harrt noch immer auf seine Erlösung. Dass die* 
Agia Sophia indessen bald dem christlichen Bekenntniss zu- 
rückgegeben wird, ist eine Ahnung, welche selbst die Musel- 
männer erfüllt. Die Gegenstände des christlichen Gottesdienstes, 
z. B. das Weihbecken, sind erhalten und unter den Fussboden 
. versenkt , von wo sie bald wieder an das Tageslicht zurück- 
kommen werden. 

In der Agia Sophia befindet sich eine mit Bronze beklei- 
dete Marmor -Säule, welche aus Betrübniss der Umwandlung 
der christlichen Kirche in eine Moschee an einer bestimmten 
Stelle Thränen ausschwitzt. Berichterstatter hat selbst seine 



111 



Finger in eine kleine in der bronzenen Umhüllung angebrachte 
Oeffnung gelegt und in diesen Thränen gebadet. 

Im Jahre 1847 ordnete der Sultan Abdul -Medschid die 
nothwendige Reparatur der Agia Sophia durch den italieni- 
schen Architekten Fossati an. Der Marmorschmuck im Innern 
wurde gereinigt und öein früherer Glanz wiederhergestellt; die 
goldglänzenden Mosaikflächen wurden von der verhüllenden 
Kalkkruste befreit, die fehlenden Stellen durch Blattvergoldung 
und Ornamentik in Oelfarbe ergänzt. Die durch den Koran 
verbotenen figürlichen Darstellungen überzog man von Neuem 
mit einem deckenden Stuk, um sie zukünftigen Geschlechtem 
aufzubewahren. 

Die zu dieser Reparatur errichteten Baugerüste, welche 
bis zu dem höchsten Punkte der Kuppel reichten, boten die 
seltene Gelegenheit dar, dieses merkwürdige Gebäude in allen 
seinen Theilen und Konstruktionen genau zu untersuchen. Der 
hochselige König Friedrich Wilhelm IV. schickte zu diesem 
Zweck den Geh. Oberbaurath Salzenberg nach Konstantinopel. 
Auf königliche Kosten wurde ein Prachtwerk herausgegeben, 
das die Sophia in allen ihren Theilen darstellt. 

Trotz der üebertünchung ist oben in der Kuppel nach 
Süden die kolossale Figur eines Christus durch das Fernrohr 
deutlich erkennbar, wie wir uns selbst durch den Augenschein 
davon überzeugt haben, der segnend seine Hände über die 
Kirche ausbreitet. Ebenso ist im Fond "der Kuppel eine 
griechische Inschrift lesbar: „Gott ist das Licht des Himmels 
und der Erde." Sonst sind die wundervollen Mosaikbilder, 
von denen wir in dem Werke von Salzenberg saubere Kopien 
finden, alle übertüncht. Um die Blossen zu verdecken, sind 
grosse grüne runde Tafeln aufgehängt, die mit vergoldeten 
Buchstaben Sprüche aus dem Koran enthalten. Ebenso ist, 
wie in allen Moscheen, eine solche Tafel aufgehängt, welche 
den Namenszug des Sultans in vergoldeter Schrift darstellt. 
Eine andere Tafel fiel uns auf, deren Inhalt uns folgender- 
maassen übersetzt wurde: 

„Es ist mir trotz allen Bemühungen nicht gelungen, 
„Euch zur Vernunft zu bringen: wegen der Folgen 
„wasche ich meine Hände in Unschuld." 



1 12 

Diese Tafel rührt vom Sultan Mahmud her, er hat sie 
anbringen lassen nach der von ihm angeordneten Niedermetze- 
lung der Janitscharen am 15. Juni 1826. 

Bei unserem Besuche der Agia Sophia wurden wir von 
Imans (Kirchendienern) empfangen, die uns zunächst auf einem 
gewundenen chaussirten Wege, der auch für Wagen passirbar 
ist, aber noch breiter und bequemer wie die Wendeltreppe im 
königlichen Schlosse zu Berlin ist, in die oberen Gallerien, 
das frühere Gynaeceum (Frauenchor) führten. Von der Balu- 
strade dieses Chors, welches die ganze Kirche umgiebt, hat 
man einen herrlichen Ueberblick über das ganze Gebäude. 
Die meisten Reisenden müssen sich mit dieser Ansicht be- 
gnügen, während es uns gestattet war, die Agia Sophia nach 
allen Richtungen in Müsse zu durchwandern. 

Die flache Kuppel, welche das Gebäude krönt, hat die 
Form eines Kugelsegments, nicht einer Halbkugel, sie scheint 
in der Luft zu schweben, indem sie nicht durch Pfeiler ge- 
halten, sondern nur von der Umfassungsmauer getragen wird, 
an welche sie sich anlehnt. Das Wunder dieser Kuppel be- 
steht darin, dass, weil der innere Raum ganz frei ist und die 
Säulenreihen nur am Umgänge der Kirche sich hinziehen, man 
sogleich, nachdem man die Schwelle des Eingangs überschritten 
hat, den Totaleindruck empfängt und unter der Wölbung der 
Kuppel zu stehen glaubt. 

Alle inneren Wölbungen und Wandflächen der Agia Sophia 
sind mit Verzierungen aus farbigen Glasstiften ausgestattet, 
wovon nur die Bilder der Heiligen als dem Koran zuwider 
mit Kalktünche überzogen sind. Die Markuskirche in Venedig 
ist gewissermaassen eine Nachahmung en miniature der Agia 
Sophia. Glasflüsse in kräftigen schönen Farben sind in Würfel 
von ein und mehreren Quadratlinien Oberfläche gespalten und 
werden durch einen festen Kitt zusammengehalten; sie sind 
dicht aneinander an den Gewölbflächen befestigt. Die solide 
Art der Malerei in Mosaik (musivische Kunst), in deren Her- 
stellung die Byzantiner wohl als Lehrmeister gelten können, 
ist eine wahrhaft monumentale, auf ewige Dauer berechnete. 
Noch heute glänzen die mit Hülfe derselben geschaffenen 
Werke in einer Farbenfrische, als ob sie eben aus der Hand 
des Künstlers hervorgegangen wären. Nicht der Staub von 



di 



113 



Jahrhunderten, nicht die Kalktünche der Moslim, noch die 
Drahtbürste und kaustische Lauge der letzten Restauration 
hat ihren Glanz vermindert. 

Fenster in übergrosser Zahl sind in den Umfassungs- 
mauern rings herum angebracht, auch die Kuppelgewölbe sind 
damit versehen. Die Hauptkuppel z. B. ist mit 40 hohen 
Fenstern am unteren Kranze durchbrochen, so dass von allen 
Seiten Licht in die Kirche strömt, dieselbe in einem Lichtmeere 
schwimmt und die Marmorbekleidungen der Wände, sowie der 
Mosai'kschmuck der Gewölbe in hellem Glänze strahlen. 

Die Grundform des Kreuzes ist in der Agia Sophia er- 
kennbar, ist aber in Widerstreit mit der sonstigen Anordnung 
der Moscheen, wo die Hauptrichtung nach Mekka festgehalten 
wird. Die MihraB, welche dorthin weist, sowie die Gruppirung 
des Minber (Kanzel), der Loge für den Sultan und die Paschas, 
die schiefe und verquere Richtung, in welcher die Teppiche 
ausgebreitet sind u. s. w., stehen in Disparität mit der ursprüng- 
lichen Anlage. Dieser Uebelstand findet sich natürlich nicht 
in den übrigen grossen Moscheen, z. B. in der Sulimanieh, 
welche sonst ganz nach dem Muster der Agia Sophia von den 
Türken gebaut sind. 

Wir wollen noch einige Merkwürdigkeiten erwähnen, welche 
in der Agia Sophia gezeigt werden. Es befindet sich darin 
eine Zisterne mit geweihtem Wasser. Ein Block von ausge- 
höhltem Marmor soll die Krippe sein, worin das Jesuskind 
geboren ist. Sie soll von Bethlehem herstammen, zugleich 
mit einem Gefässe, worin das Christuskind von seiner Mutter 
gewaschen wurde. Rechts von der Mihrab hängt ein alter ab- 
genutzter Teppich, welcher von den Türken als Reliquie ver- 
ehrt wird, indem der Prophet Mahomet darauf sich niederzu- 
werfen pflegte, um seine Gebete zu verrichten. Es giebt vier 
solcher heiligen Teppiche. Man sieht, dass die Mohamedaner 
inkonsequent sind, sie verwerfen den Bilderdienst und ver- 
ehren dabei Lumpen. 

Der Tempel der göttlichen Weisheit war ein Jahrtausend 
hindurch der Stolz der Christen des Orients, seit vier Jahr- 
hunderten ist er das verehrte Heiligthum des Islam. Die Agia 
Sophia war die Hauptkirche des byzantinischen Patriarchats 
und der Schauplatz der grössten und heiligsten Staatshand- 

8 



1.14 

lungen, der Krönungen, der Vermählungen und der öÄfent- 
lichen Kirchenaufzüge der griechischen Kaiser, sie ist daher für 
die Geschichte des byzantinischen Reiches von hoher Bedeu- 
tung. Wenig Bauwerke haben einen so weit verbreiteten Ein- 
fluss auf die Kunst geübt, als dieser Prachtbau des sechsten 
Jahrhunderts, der an Kühnheit der Wölbungen, an Wirkung 
und Pracht der inneren Ausschmückung jedes andere Kirchen- 
bauwerk übertrifft. 

Der Dom des Pantheons zu Rom hat 130 Fuss Durch- 
messer, ruht jedoch auf der Erde; die Sophienkuppel hat nur 
etwas über 100 Fuss Durchmesser, aber sie schwebt in der 
Luft. In St. Peter zu Rom muss man bis unter die Kuppel 
vorschreiten, um sie zu schauen, und die Stützflächen betra- 
gen die Hälfte des freien Raumes: unter der Eingangspforte 
der Sophia überschauet man den grössten Theil des inneren 
Raumes, sowie die Kuppel mit einem Blick, und die Stütz- 
flächen betragen kaum ein Zehntel des freien Raumes. St, Peter 
hat im Schiif nur Ein Stockwerk, das Detail ist ermüdend; die 
Sophia ist zweistöckig, ihr Detail ist einfach. Die Sophia er- 
scheint gross auf den ersten Blick, die Peterskirche wird es 
erst durch Reflexion. Die Marmorbekleidung des Innern der 
Sophia ist reicher, als die des Pantheon, und der Mosaikglanz 
der Gewölbe überstrahlt weit den von St. Peter. 

Der Gesammteindruck, den dieser viel gegliederte Bau auf 
den Eintretenden macht, ist der der Grösse, der Erhaben- 
heit und Pracht: die Raumentfaltung ist überraschend. 
Zuerst eilt der Blick über das weite Schiff, dringt tief in die 
Seitenhallen, steigt auf zum Gynaeceum, erhebt sich dann, 
von Bogen zu Bogen aufsteigend, bis zum erhabenen Dom, 
dessen Christus-Scheitelbild schon von der Schwelle der Mittel- 
thür aus ganz sichtbar war und allmälig wieder zum Vorschein 
kommt trotz aller muselmännischen Vorkehrungen. Jeder Schritt 
vorwärts eröffnet neue Seitenblicke, und die Fülle von glän- 
zendem Material, so wie die Harmonie der Verhältnisse er- 
wecken in dem Beschauer die Empfindungen des Wohlbehagens 
und der Befriedigung. Denkt man sich nun noch die ehe- 
malige reiche Ausstattung als christlicher Kirche, den Glanz 
von Edelsteinen und Metallen, von kostbaren Gefässen und Ge- 
räthen, die reichen Gewänder und eine Unzahl von Ampeln 



115 

und Kandelabern hinzu, so ist das Entzücken der alten Schrift- 
steller bei Beschreibung der Schönheiten der Sophia erklärlich. 
Hoffen wir, dass der Tempel der ewigen göttlichen Weisheit 
bald seiner ursprünglichen christlichen Bestimmung zurückge- 
geben werden wird. 

37. Das Serai. 

Es ist der Ausdruck Serail uns von unserer Jugend an 
geläufig, wir denken dabei an Wunderdinge, welche der Wirk- 
lichkeit aber nicht entsprechen. Bei den Türken bedeutet 
„Serai" soviel wie „Palast" und vorzugsweise denjenigen des 
Sultans oder Padischa Chan, Nachfolgers des Kalifen, des 
Stellvertreters des Propheten, des Beherrschers der Gläubigen, 
oder wie sonst seine Ehrentitel lauten. Serai ist das 
eigentliche Residenzschloss des Sultans. Indessen haben 
die letzten Sultane es vorgezogen, ihren gewöhnlichen Aufent- 
halt in anderen Lustschlössern zu nehmen, deren sie sich 
zahlreiche am Ufer des Bosporus erbaut haben. Der ge- 
genwärtige Sultan weilt gewöhnlich in Dolmabadsche, wo er 
sich einen wundervollen Palast gebaut hat, der nach dem 
Bosporus eine Front von mehreren Hundert Schritten bietet, 
in welchem Palast alle modernen Bequemlichkeiten angebracht 
sind, z. B. eine eigene Gasanstalt, die allein für den auf der 
Pariser Ausstellung (1867) angekauften kolossalen Kronleuch- 
ter zehn Tausend Flammen liefert, üebrigens sind die Sul- 
tane unermüdlich im Bau neuer Lustschlösser und Pavillons 
und verschwenden dafür grosse Summen. Nach einem türki- 
schen Sprichworte stirbt man nämlich so lange nicht, als man 
noch an seinem Hause baut. Diesen Aberglauben ihrer Sul- 
tane müssen die Türken theuer bezahlen. 

Unter dem Serai oder Schloss des Sultans muss man sich 
nun nicht ein grosses Residenzschloss vorstellen, wie beispiels- 
weise das Berliner. Das Schloss zu Konstantinopel ist viel- 
mehr ein Aggregat von niedrigen Häusern, Kiosks, weitläufti- 
gen, mit hohen Platanen u. s. w. bewachsenen Höfen, einge- 
schlossenen Gärten, welches das Areal einer gewöhnlichen mitt- 
leren Stadt von der Grösse wie z. B. Lissa bedeckt. Das Serai 
wird von einer mit Schiessscharten versehenen hohen Mauer 

8* 



116 

eingeschlossen und besteht im Wesentlichen aus drei von ein- 
ander wieder durch Mauern getrennten Höfen, welche durch 
hohe Eingangsthore verbunden sind. 

Das Serai* liegt auf dem Abhänge eines Hügels, der auf 
der östlichen Seite vom Goldenen Home, auf der westlichen 
vom Marmara-Meer bespült wird, dessen Wellen sich hier 
brechen und hochaufschäumen an einem gepflasterten Ufer- 
damme, der von der Umfassungsmauer des Serai einige Schritte 
lang nach dem Meere abfällt. In der Umfassungsmauer sind 
vielfach Thüren angebracht, um den Ausgang nach dem Meere 
zu gestatten. Die Ansicht des Serai* von der See ist wunder- 
voll. Die vergoldeten Kuppeln der zahlreichen Kiosks, welche 
namentlich nach dem Meere zu liegen, die hohen Zypressen 
und gewaltigen hundertjährigen Platanen, die auf den Höhen 
wachsen, stellen ein anmuthiges Bild zusammen. 

Vor der hohen Eingangspforte von der Strasse aus ist 
eine Hauptwache, wo wir uns melden und unseren Ferman 
niederlegen mussten, der uns die Erlaubniss der Besichtigung 
gewährte. Es wurde uns ein Ordonnanzoffizier zugeordnet, 
der uns fortan unter seinen Schutz nahm. Auf sein Geheiss 
wurde ein kolossales Schlüsselbund in Bewegung gesetzt, um 
das hohe Thor zu öifnen. 

Wir hielten unseren Einzug in die weitläuftigen Bauten 
der kaiserlichen Residenz. Wir wurden indessen nur in wenig 
Häuser geführt, nur in die Staats- und Empfangszimmer des 
Sultans, seine Bibliothek, sein Museum, seine Waffensammlung, 
seine Kiosks und Gartenanlagen, während selbstverständlich 
die Familienwohnungen, die Badehäuser u. s. w. für Frenjde 
unzugänglich sind. Man zeigte uns von aussen den Palast 
des verstorbenen Sultans und unten nach dem Meere zu die 
Residenz der pensionirten Sultaninnen. Dagegen öffnete man 
uns verschiedene Kiosks, um uns die wundervolle Aussicht auf 
das Marmara-Meer und die asiatische Küste bewundern zu 
lassen. Es wird wohl keine fürstliche Residenz geben, wo dem 
Genüsse einer schönen Natur so Rechnung 'getragen ist, wie 
in dem Serai* zu Konstantinopel. 

Heiter ist der Anblick nach aussen, unheimlich nach 
innen. Man wird erschreckt durch die düsteren Gesichter der 
schwarzen und weissen Leibwachen und Wächter (Eunuchen), 



117 



die sich zu Hunderten auf den Höfen herumtreiben; es treten 
einem vor die Seele die Schatten der hier Gemordeten, wäh=r 
rend die Erinnerung an die hier verübten Gräuelthaten mächtig 
auf uns einstürmt. So gewahrt man schon im ersten Vor- 
hofe einen ungeheuren, umgekehrten steinernen Mörser, in 
welchem sonst die Ulemas (d. h. die rechts- und gesetzkundi- 
gen Geistlichen), die das Leben verwirkt hatten, zu Tode ge- 
stampft wurden. 

Beim Eintritt in die Staatszimmer müssen wir unsere 
Stiefeln ausziehen, indem es nicht gestattet irt, ein Gotteshaus 
oder die kaiserlichen Gemächer mit dem Staub an den Füssen 
zu betreten, den man von der Strasse aus mitgebracht hat. 
Es soll auch wohl das geschmackvolle Parquet von kostbaren 
Holzarten geschont werden, das in den Staatsgemächern überall 
ausgelegt ist. Die beiden Damen, zwei östreichische Majors- 
frauen aus Siebenbürgen, die mit ihren Männern sich unserer 
Gesellschaft angeschlossen hatten, waren erstaunt über die 
prachtvollen venetianischen Spiegel aus einem Stück, worin sie 
sich von Kopf bis zu Fuss beschauen konnten, noch mehr aber 
über die Sauberkeit und Ordnung, welche überall herrschte, 
sowie über die Sorgfalt, womit die Möbeln vor Sonne und 
Staub geschützt werden. Dagegen fällt es uns auf, dass alle 
Gemächer klein ^ und niedrig sind, nirgends hohe weite Pracht- 
gemächer, wie wir sie z. B. im neuen Palais zu Potsdam oder 
in anderen europäischen Residenzen bewundern. Das hat aber 
seinen guten Grund. Hoffeste und Gesellschaften sind am 
grossherrlichen Hofe in Konstantinopel gänzlich unbekannt, 
dafür wären auch die Lokalitäten des Serai ganz ungeeignet. 

Zu den Sehenswürdigkeiten, welche den Fremden gezeigt 
werden, gehört der Kiosk von Bagdad. Er ist von Mahmud IV. 
gebaut worden zum Andenken an die Eroberung von Bagdad. 
Er gewährt eine unvergleichliche Aussicht. Wir traten hinaus 
auf eine Terrasse, unter uns rauschten die Fluthen des Weissen 
Meeres, die Hügel und Paläste von Pera lagen uns links ge- 
genüber, rechts der Zypressenwald von Skutari, vor uns öffnete 
der Bosporus eine Fernsicht bis nach Beilerbey. Innen be- 
sahen wir die kunstvollen Mosaiks, die Rüstkammer und ein 
Wasserbassin von Marmor. Unser Staunen erregten die präch- 
tigen mit Perlmutter ausgelegten Thüren. 



118 

Dann wurden wir in den Kiosk des Sultans Achmed III. 
geführt, von dort in die Privatbibliothek des Sultans, wo ein 
Teppich ausgebreitet war, in den die Bilder der letzten Sultane 
eingewirkt waren. Es ist dies eine Anomalie, wie überhaupt 
sich der Sultan auf der abschüssigen Bahn der Neuerungen 
befindet. Es kontrastiren dazu einige in den Prachtgemächern 
aufgestellte landschaftliche Oelbilder, ohne menschliche Bele- 
bung, weil eigentlich der Islam jede bildliche Darstellung von 
Personen verbietet, während anderseits der Sultan und seine 
Angehörigen sich gegenwärtig alle Monate von AbduUa in der 
grossen Strasse von Pera photograpliiren lassen. Nichts als 
Widersprüche ! 

In dem Bibliothekzimmer des Sultans, das uns durch seine 
geschmackvolle elegante Einrichtung imponirte, konnten wir 
uns gemüthlich auf bequemen Sesseln niederlassen, um uns 
mit Müsse umzuschauen. Wir nahmen das französische Buch 
in die Hand, worin der Sultan den Tag vorher geblättert hatte, 
das aufgeschlagen geblieben war. Es behandelte dasselbe eine 
solche medizinische Spezialität, dass wir uns gemüssigt sahen, 
den Titel der Sonderbarkeit wegen zu notiren. Wir sahen 
kostbare Prachtwerke in den Sprachen des Orients auf Metall- 
papier geschrieben und mit reichen Goldverzierungen über- 
laden, sonderbarer Weise aber mit dem Schnitt nach vorn 
aufgestellt. 

Ein entsetzlicher Schrei von benachbarten Minarehs unter- 
brach unsere bibliographischen Studien. Die Stunde des Ge- 
bets wurde verkündet, unsere türkische Begleitung warf sich 
auf die Erde nieder und vollzog seine Verbeugungen. Das- 
selbe geschah von der gläubigen kaiserlichen Dienerschaft auf 
den Höfen, die sich dort sonst einem süssen Nichtsthun hin- 
zugeben schien; es ist dies übrigens eine unheimliche Gesell- 
schaft: willenlose Werkzeuge in der Hand ihres Grossherm. 
Das Geschrei der Muezzin ist so kreischend, dass sie sich 
selbst die Ohren verstopfen, um einander nicht zu hören. 

Wir wurden in den Grossherrlichen Thronsaal geführt, der 
als Audienzsaal bei feierlichen Anlässen dient und früher vor- 
zugsweise zum Empfang der Gesandten bestimmt war. 

Es war den Gesandten jedoch nicht gestattet, sich den 
Stufen des Thrones selbst zu nahen und dem allerhöchsten 



L\ 



119 

Hen*scher ins Gesicht zu schauen, der, nachlässig auf seinem 
gelben Schlafsopha hingestreckt, nur sich gegen seinen Gross- 
vezier wandte und durch dessen Vermittelung die von den 
Dollmetschem übersetzten Huldigungen der Gesandten entge- 
gennahm. Die mit einer Audienz begnadigten Personen mussten 
in den vergitterten Verschlag eintreten, welcher noch heute 
einen grossen Theil des Thronsaals einnimmt. Vorher hatten 
sie in einer besonders dazu hergerichteten Abtheilung des 
Schlosses, die man uns ebenfalls zeigte, türkisches Kostüm 
anlegen müssen und waren dort auf türkische Weise gespeiset 
worden. Die europäischen Gesandten haben längst gegen eine 
solche Insolenz protestirt und lassen sich jetzt in ihrer eige- 
nen Landestracht vorstellen, ohne zu antichambriren. Der 
Sultan, weit davon entfernt, die europäischen Gesandten zu 
maassregeln, steht vielmehr jetzt unter ihrer Vormundschaft 
und fügt sich ihren Launen. Die Diplomaten in Konstantinopel 
bilden ein Regentschaftskollegium, das den Sultan überwacht, 
der seine Selbstständigkeit eingebüsst hat. Wir promeniren im 
Thronsaal und überzeugen uns, dass man aus den Fenstern des 
Palastes Alles sehen kann, ohne von aussen selbst erkannt zu 
werden, nämlich durch die mit Oeffnungen versehenen Jalousien, 
womit die Fenster verhängt sind. So sollen die türkischen Damen, 
mit Pariser Operngläsern bewaffnet, das auswärtige Treiben 
verfolgen, ohne sich selbst neugierigen Blicken bloszustellen 
und die Eifersucht ihres Gebieters zu reizep. 

Ueberraschend ist der Thronsaal durch seinen kleinen 
Umfang, seine Unregelmässigkeit und das geringe Licht, das 
ihm nur durch Ein Fenster zukommt. Der Thron, eine Art 
Schlafsopha mit gelber Seide überzogen, steht unter einem 
Baldachin, der von vier kleinen silbernen kostbaren Säulen 
gestützt wird. Nur die beiden vorderen Säulen erhalten so 
viel Licht, dass man die Menge geschmacklos eingelegter Edel- 
steine und Perlen bewundern kann; die beiden anderen ver- 
lieren sich geradezu im Dunkeln, wie der Thron selbst. Die 
Ehrerbietung, womit die uns begleitenden Türken vor diesem 
Herrschersitz standen, glich einer abgöttischen Andacht oder 
dem Gefühl armer Sünder. Mit Recht, denn die zweite den 
Stufen gegenüberstehende Thür ist von grausenerregender Be- 
deutung, sie enthält eine Vorrichtung zur Erdrosselung. Sobald 



120 



die Ungnade des Sultans von dem düsteren Throne herab über 
einen Pascha ausgesprochen war, blieben dem Unglücklichen 
nur noch zwei Schritte zu thun übrig bis an jene Thür; so- 
bald mit dem dritten die Schwelle überschritten war, fühlte 
er schon seinen Hals in der seidenen Schnur, die seinem Leben 
ein Ende machte. Thron und Henkerstätte sind hier neben- 
einander, ganz im Geiste der älteren türkischen Geschichte, 
die nur von Thronbesteigungen und Thronentsetzungen, von 
Gnade und Ungnade des Grossherrn, vom blutigen Schwerte 
der Erobeining und Hinrichtung meldet. 

Nach dem Besuch des Thronsaals, der uns eher traurig 
als heiter gestimmt hatte, kehrten wir in die freie frische 
Meeresluft zurück. 

Nachdem wir uns in den weitläuftigen Höfen umgesehen 
und die hundertjährigen Platanen, deren eine so umfangreich 
ist, dass zehn Männer ihren Stamm nicht umspannen, ange- 
staunt haben, nähern wir uns der Porta Kapussu. Auf den 
Spitzen dieser hohen Pforte, denn hier ist Alles hohe Pforte, 
wurden die Köpfe der Hochverräther und Majestätsbeleidiger 
zum abschreckenden Beispiel aufgespiesst , um die Beschauer 
anzugrinsen. 

Es wurde uns die Waffensammlung aufgeschlossen , wozu 
die frühere Irenenkirche umgewandelt worden ist. Neu war 
uns die Deckendekoration. Zur Raumersparung sind nämlich 
auch die gewölbten Decken dazu verwendet worden, viele Tau- 
sende von Gewehren anzubringen, welche so befestigt sind, 
dass sie in senkrechter Richtung dem aufwärts gewandten 
Blicke des Beschauers entgegenstarren; selbst die Kuppel ist 
so benutzt worden. Ausser älteren Waffen gewahrten wir hier 
einen reichen Vorrath von Hinterladungsgewehren. Es "fielen 
uns die vielen Säbel, namentlich Kavalleriesäbel, auf. Eigen- 
thümlich ist der wunderthätige Brunnen in der Mitte der 
Kirche. Einen schauerlichen Eindruck machten die mit Blut 
getränkten, mit dem christlichen Kreuze gezierten Fahnen, 
welche den Bewohnern von Montenegro vor fünf Jahren abge- 
nommen worden sind; eine andere Fahne zeigte noch ganz 
frische Blutflecke, sie war vor einigen Monaten einer insurrek- 
tionellen Bande in Bulgarien entrissen worden. 



121 

Jetzt ging es ins Museum. Wir unterstellen dem Aus- 
drucke Museum gewöhnlich eine andere Bedeutung, wie die 
Türken es zu thun scheinen. Wir verstehen unter „Museum" 
eine nach gewissen Prinzipien wohl geordnete Sammlung von 
Kunstschätzen oder Naturkörpern, seien es Gemäldegallerien 
(Pinakothek), Sammlungen von Statuen u. s. w., reden auch von 
einem egyptischen oder zoologischen, anatomischen u. s. w. 
Museum. In dem bei dem Sera'i befindlichen grossherrlichen 
Museum ist Alles durcheinander, z. B. ein kolossales Medusen- 
haupt in Marmor, eine in Staub zerfallende egyptische Mumie, 
die Glocke der früheren Irenenkirche, eine kolossale Pauke 
der weiland Janitscharen-Musik, ein Glied der eisernen Kette, 
welche die Griechen über den Bosporus von Galata nach dem 
Goldenen Hörn gespannt hatten, um die Einfahrt Mahmud des 
Zweiten im Jahre 1453 zu verhindern u. s. w. 

Der Besuch des Serai hat mancherlei Gefühle in uns er- 
weckt. Wir dachten zunächst an: Sic transit gloria mundi, 
oder : „Das ist der Lauf der Welt, das ist das Loos des Schönen 
dieser Erde, alles Irdische ist vergänglich und wird zuletzt in 
den Staub getreten." Man empfängt überall in Konstantinopel 
den Eindruck: „Es geht zu Ende." Man denkt auch unwill- 
kürlich an die Theorien von J. J. Rosseau: „Gott hat die 
Welt als Paradies geschaffen, die Menschen haben sie mit 
ihren medrigen Leidenschaften in eine Hölle umgewandelt." 

Der gegenwärtige Inhaber des Serai ist der Sultan Abd-ul- 
Aziz, geboren am 8. Februar 1830. Aller europäische Luxus 
steht zurück hinter dem Glanz, womit der Sultan aus einem 
seiner zahlreichen, vorstädtischen Schlösser in Stambul einzu- 
ziehen pflegt. Welch eine märchenhafte Pracht von Gold und 
Edelsteinen, vielfarbigen Chäles, blitzenden silbernen Streitäxten, 
mit Juwelen besetzten Dolchen und langen , herabhängenden 
Yatagans. Schwarze Dienerschaften in farbigen Gewändern 
reiten stolz auf edlen Rossen, die. mit gestickten Schabracken 
bedeckt sind, voraus. Die den Sultan begleitenden Paschas 
sind förmlich mit Diamanten besäet, und selbst die elenden 
Sklaven strotzen von Schmucksachen mit echter Vergoldung. 
Zwischen diesem Gefolge reitet der Grossherr, eine stattliche 
Erscheinung, mit edlem schwermüthigem Gesichtsausdruck, in 
dessen Augen eine ganze Welt von Empfindungen zu schwimmen 



122 



scheint. Wir haben uns mehrfach in seine Augen vertieft. 
Er ist von den besten Absichten für die Beglückung seines 
Volkes beseelt. Seine Energie hat er bethätigt durch die 
Unterdrückung des griechischen Aufstandes und die stolze 
entschiedene Stellung, welche er gegenwärtig dem Khedive 
von Aegypten gegenüber, seinem Vasallen, nach der Eröffnung 
des Kanals von Suez eingenommen hat. 

Der Thronfolger ist der Neffe des Sultans, Sohn seines 
verstorbenen Bruders, Mohamed Murad Effendi, geb. am 
21. September 1840, eine sehr stattliche Persönlichkeit, welche 
namentlich auch bei Gelegenheit des Besuchs der Pariser Welt- 
Ausstellung besonders imponirt hat. Der älteste Sohn des 
Sultans ist Youssouf Ized-din Effendi, geboren am 9. October 
1857, ein besonders intelligent aussehender Knabe, dem wir 
öfter bei unseren Wanderungen diuxjh Konstantinopel be- 
gegnet sind. 

38. Mekteb-i-Sonltani^ 

oder kaiserliches ottomanisches Lyzeum von Galata-SeraY. 

Der gegenwärtige Sultan, Abd-ul-Aziz, hat auf Anrathen 
des jetzt leider verstorbenen Fuad Pascha sich um den 
Orient ein grosses Verdienst erworben durch Gründung einer 
Schulanstalt, die in dem Abendlande kaum ihresgleichen haben 
möchte, sowohl was die zweckmässige äussere Einrichtung 
betrifft, als die leitenden Ideen, die dabei ihre Verwirklichung 
gefunden haben. 

Wahrscheinlich giebt es in der Welt kein so umfang- 
reiches Schullokal, wenigstens kein so vortheilhaft gelegenes, 
das eine so weite und so wundervolle Aussicht beherrscht. 
Mekteb-i-Soultani liegt so ziemlich auf dem höchsten Punkte 
von Pera. Das drei Stock hohe Gebäude diente früher als 
Kaserne für zwei Infanterie- Regimenter und war später eine 
medizinische Hochschule. Es ist in Form eines Vierecks mit 
innerem Hofe gebaut, und hat eine kolossale hohe Pforte als 
Ausgangsthür nach der grossen Strasse von Pera. Es ist mit 
weitläuftigen Höfen (früheren Exerzierplätzen) umgeben, die zu 
Spiel- und Turnplätzen eingerichtet sind, deren Umfang ich 
mindestens auf zehn Hektaren schätze. Zu den Füssen dieses 



123 

Gebäudes, das nach allen Seiten frei liegt, sich durch seine 
gesunde Lage vortheilhaft auszeichnet, überall Luft und Licht 
zulässt, sind zwei Meere (das Schwarze und Weisse) ausge- 
breitet, nebst der sie verbindenden Meerenge, dem Bosporus. 
Man übersieht das Goldene Hörn und die Wunder von Stambul. 
Der Blick schweift über zwei Erdtheile; Skutari mit seinem 
Zypressenwald und Kadikeui mit seinen modernen Gebäuden, 
so wie die Prinzen-Inseln liegen vor dem entzückten Beschauer, 
dessen Brust die feuchte, mit dem Dufte der zahllosen Rosen- 
und Blumengärten am Bosporus erfüllte Luft wonnig einathmet. 
Das Gebäude liegt weit genug von der Strasse zurück, so dass 
an das Ohr nur ein leiser Widerhall des Strassenlärmes 
gelangt. 

Diese Erziehungs- und Unterrichtsanstalt wurde am 
1. September 1868 eröffnet und war, als wir sie im Oktober 
desselben Jahres besichtigten, schon in voller geordneter 
Wirksamkeit. Der intellektuelle Gründer und erste Leiter ist 
Mr. de Salve, früher Direktor des College von Marseille und 
anfänglich Professor an einem Lyzeum von Paris. Er erfreut 
sich einer wohlverdienten Berühmtheit in seinem Vaterlande. 
Es liegt ihm der schöne Beruf ob, einflussreich mitzuwirken, 
die schönsten Länder der Welt und eine geistig wohl veran- 
lagte Bevölkerung der» Bildung und Gesittung wiederzuerobern 
und früheren Glanz zu erneuern. 

Hören wir die eigenen Worte des Herrn de Salve über 
die Bestimmung von Mekteb-i-Soultani (Schreibschule des 
Sultans): „Le but de l'ecole est non de franciser la Turquie, 
mais d'y repandre Tinstructiön et les idees de fusion de races. 
La France sert d'instrument, non de but." Nach meiner Auf- 
fassung würde dieser Ausspruch in freier Uebersetzung etwa 
so lauten: „Das Ziel der Schule ist nicht, die Türkei zu 
französiren (wie ich mich früher irrthümlicher Weise ausge- 
drückt hatte), sondern dort Bildung zu verbreiten und eine 
Verschmelzung der Racen anzubahnen. Frankreich hat dabei 
eine vermittelnde Rolle übernommen, dient als Werkzeug, 
nicht als Ziel." 

Unterrichtssprache ist die französische. Es ist Haupt- 
aufgabe, den Türken das Verständniss und die Fertigkeit, sich 
darin mündlich und schriftlich auszudrücken, beizubringen. 



124 

Die Lehrer und Erzieher, ebenso die Aufwärter und die Be- 
dienung, sind französischer Abkunft. Die Schüler zerfallen 
daher in zwei Hauptabtheilungen: erstens in solche, welche 
der französischen Sprache unkundig sind, und zweitens in 
solche, welche Französisch sprechen und verstehen. Die letztere 
Kategorie von Schülern gehört in die Vorbereitungsklasseri, 
worin sie unterrichtsfähig gemacht werden. Da es an allen 
türkischen Lehrbüchern für Schüler zur Erlernung der franzö- 
sischen Sprache fehlt, so wird dieselbe vorzugsweise mündlich 
gelehrt und durch das Ohr aufgenommen. Es ist für den 
Pädagogen interessant, die Stufenfolge der dahin gehörigen 
Uebungen kennen zu lernen. Der Direktor de Salve hat mir 
die jMethode mit eben so viel Einsicht wie Klarheit mitgetheilt, 
und war mir der dabei befolgte Fortschritt von einfachen und 
leichteren Uebungen zu schwierigeren besonders interessant. 
Erst dann, nachdem die Schüler der französischen Sprache 
mächtig sind, werden sie einer bestimmten Klasse eingereiht. 
Es wird angenommen, dass drei Jahre ausreichen, um die 
Schüler in drei Vorbereitungs- Stufen -Klassen weit genug zu 
fördern, um die türkische und französische Sprache sich an- 
zueignen. 

Es werden Schüler aller Religionsbekenntnisse unterschieds- 
los aufgenommen und behandelt, doch muss immer die Mehr- 
zahl sich zum Islani bekennen. Ganze und halbe Freistellen 
werden vom Sultan auch an Andersgläubige verliehen. Im 
Sommer 1869 waren von den 150 Freistellen vergeben genau 
die Hälfte an Söhne von Muselmännern, 20 an Griechen, 20 an 
Armenier und Georgier, 20 an Bulgaren, 15 an römische und 
armenische Katholiken und Israeliten. Eine gewisse Anzahl 
Schüler von verschiedenen Nationalitäten haben halbe Frei- 
stellen inne, wogegen 227 die volle Pension bezahlten. Am 
8. Dezember 1869 zählte die Schule nach den offiziellen Mit- 
theilungen des Direktors 612 Zöglinge, wovon 519 im Schulge- 
bäude Wohnung und Verpflegung als Alumnen erhielten und 
93 ausserhalb wohnten. Nach der Angabe des Direktors sind die 
Räumlichkeiten jetzt vollständig besetzt und können neue 
Alumnen nicht mehr aufgenommen werden. Nur Söhnen tür- 
kischer Unterthanen darf irgend welche Ermässigung der Pension 
zugestanden werden. 



125 



Da die Schule Mekteb-i-Soultani einzig in ihrer Art da- 
steht und von den zivilisatorischen Bestrebungen des gegen- 
wärtigen Sultans und seiner Regierung ein so beredtes Zeugniss 
ablegt, wird eine abgekürzte Mittheilung der amtlichen Statuten 
unseren Lesern nicht unerwünscht sein. Wir werden dabei 
mit diplomatischer Genauigkeit vorgehen. 

§ 1. Das kaiserlich ottomanische Lyzeum ist von der 
Regierung gegründet worden , um die Zöglinge für alle Zweige 
des Staatsdienstes genügend vorzubereiten. Die Aufnahme 
geschieht unabhängig vom religiösen Bekenntniss. Es wird 
eine höhere wissenschaftliche Ausbildung der Schüler erzielt 
in Uebereinstimmung mit dem vorhandenen Bedürfniss der 
Unterthanen des KaiseiTcichs. 

Das Lyzeum ist nach dem Muster der höheren Lehran- 
stalten des Abendlandes organisirt worden. 

§ 2. Die Zöglinge, welche alle Klassen des Lyzeums alr- 
solvirt und das Zeugniss der Reife in der Abiturienten-Prüfung 
erlangt haben, sind für alle Staatslaufbahnen berechtigt und 
für alle öffentlichen Aemter befähigt. 

§ 3. Die Studiendauer in der eigentlichen höheren Schule 
wird auf fünf Jahre berechnet ; ausserdem kommen drei Jahre 
auf die Vorbereitungsklassen. Es wird noch ein sechstes 
Studienjahr eingerichtet werden für besondere Fachstudien. 

§ 4. Die Unterweisung umfasst: 

1) die Erlernung der türkischen Sprache, welche sich er- 
streckt auf die gesammte Studienzeit; 

2) die Erlernung der französischen Sprache und Literatur; 

3) die öffentliche und private Sittenlehre (la morale 
publique et privee); 

4) die Anfangsgründe der lateinischen Sprache, so weit 
ihre Kenntniss nothwendig ist für das Studium der 
Rechte, der Medizin und Pharmazie; 

5) die griechischen Etymologien; 

6) die Weltgeschichte und die Geschichte des Osmanischen 
Reiches; 

7) die politische Geographie ; die Statistik der Verwaltung, 
des Handels, Ackerbaus und Gewerbefleisses der Haupt- 
staaten, namentlich 4es Ottomanischen Reiches; 



126 

8) die reine und angewandte Mathematik; 

9) die mathematische Geographie, Erd- und Himmels- 
kunde ; 

10) die Mechanik und ihre Hauptanwendungen in der 
Technik, namentlich die Dampf kraft; 

11) Physik und Chemie; 

12) Naturbeschreibung; 

13) Anfangsgründe der Rechtskenntniss ; 

14) Anfangsgründe der Volkswirthschaftslehre ; 

15) die Vorbegriffe für das Studium der Rhetorik und der 
allgemeinen Literatur; 

16) das Linear-, geometrische und freie Handzeichnen. 

Die Erlernung der griechischen, armenischen und bulga- 
rischen Sprachen ist' fakultativ und muss besonders erbeten 
werden. 

Turnunterricht ist allgemein verbindlich und wird das 
ganze Jahr hindurch ertheilt. Die gymnastischen üebungen 
finden entweder im Freien oder in der überdachten heiz- und 
erleuchtbaren Turnhalle statt. Freiturnen, Turnen an Geräthen, 
Exerzierübungen. Für die verschiedenen Altersstufen sind be- 
sondere Turnplätze eingerichtet. 

§ 5. Jeder Schüler beobachtet die gottesdienstlichen 

Gebräuche seines Kultus. 

♦ 

Für die muselmännischen Schüler ist eine Moschee für 
ihre Gebete und Andachtsübungen in dem Lyzeum vorhanden; 
ein MoUah ist mit ihrer religiösen Unterweisung beauftragt. 

Andersgläubige werden regelmässig in die für sie be- 
stimmten Gotteshäuser geführt. Der Religionsunterricht wird 
ihnen ertheilt nach Verständigung mit ihren Aeltern und der 
Geistlichkeit ihres Bekenntnisses. 

§ 6. Das Lyzeum wird für 600 Alumnen eingerichtet, 
wovon die Hälfte Bekenner des Islams sein müssen. 

§ 7. Das erforderliche Alter für die Aufnahme in die 
Vorbereitungsklassen ist das zurückgelegte neunte und das 
unvollendete dreizehnte Jahr. In das eigentliche Lyzeum 
können auch ältere Schüler aufgenommen werden; die Klasse, 



127 

für welche sie sich eignen, wird nach dem Ergebniss der Auf- 
nahme-Prüfung bestimmt. 

§ 8. Das kaiserlich ottomanische Lyzeum nimmt auf: 
Ganzpensionäre, Halbpensionäre und Hospitanten. 

Die ganze Pension beträgt 45 türkische Livres (ä 6 Thlr. 
4 Sgr.), d. h. 276 preussische Thaler jährlich. Beim Eintritt 
sind ausserdem noch 15 Livres, d. h. 92 Thaler für die erste 
Ausstattung (le trousseau) zu bezahlen. Für den Betrag dieser 
Pension erhält der Zögling: Wohnung, Ernährung, die vor- 
schriftsmässige Uniform, Wäsche, Bettzeug, ärztliche Behand- 
lung, Arzenei, die erforderlichen Unterrichtsbücher und 
Schreibmaterialien. 

Die Halbpensionäre wohnen nicht in der Anstalt, bringen 
nur den Tag dort zu und kehren am Abend zu ihren Familien 
zurück. Die Halbpension beträgt 25 Livres oder 153 Thlr. 
10 Sgr. jährlich, wofür die Zöglinge um 12 Uhr gespeiset 
werden und um 4 Uhr Nachmittags ein Vesperbrod erhalten; 
ausserdem werden ihnen die nothwendigen Schulbücher und 
Schreibmaterialien geliefert. 

Die Hospitanten erhalten nur Unterricht, sie zahlen jähr- 
lich 6 Livres (d. h. 36 Thlr. 24 Sgr.) Schulgeld. 

Alle Zahlungen werden halbjährlich praenumerando ge- 
leistet, ein angefangenes Vierteljahr wird für voll gerechnet. 

Ueber die Verleihung der ganzen und halben Freistellen 
verfügt der Unterrichtsminister. Die Verleihung behält Gültig- 
keit für die ganze Studienzeit und kann nur zurückgenommen 
werden, wenn der Zögling sich eines erheblichen Vergehens 
schuldig macht. 

Zur Bestreitung des Kostenaufwandes ist der Direktion 
ein jährlicher Kredit von fünfmal Hunderttausend Franken 
angCAviesen worden. Es muss aber über sämmtliche Einnahmen 
an Schulgeld und Pension genaue Rechnung abgelegt werden. 
Der Lehrkörper besteht aus einem Direktor (Mr. de Salve)„ 
einem Unterdirektor (Levistal), einem Studienvorsteher (Mr. 
Goold, von englischer Abkunft) und einem Lehrkörper von 40 
Lehrern und Erziehern. Die Einkünfte des Direktors, dem 
eine geräumige Wohnung im Schulhause eingerichtet ist, be- 
laufen sich ausser Natural - Kompetenzen auf mehr als 



128 



25,000 Franken. Die Sommerferien umfassen einen Zeitraum 
von zwei Monaten. 

Ich habe die Klassen- und Studienzimmer besucht, eben 
so die Schlafsäle, die bis zu 50 Betten aufnehmen können 
(alsdann mit drei Inspizienten, die in demselben Zimmer 
schlafen), die Speisesäle, Küche, wo Alles mit Dampf gekocht 
wird, die Speisen gekostet, die Vorrathskammem u. s. w. 
gesehen und mich von der äussersten Zweckmässigkeit und Vor- 
treiflichkeit überzeugt. Das Gebäude und die Höfe werden mit 
Gas beleuchtet, überall ist Wasserleitung angebracht. Ich habe die 
Direktorwohnung besucht, das Vergnügen gehabt, an einem Diner 
im kleinen Kreise mit den ersten Professoren der Schule theil- 
zunehmen, und überall die Ueberzeugung gewonnen, dass in Be- 
ziehung auf äussere Ausstattung Mekteb-i-Soultani einzig dasteht. 

Ich habe aber auch das Treiben der Schüler . mit ange- 
sehen, und die intelligenten Physiognomien bewundert, nament- 
lich der armenischen Jugend. 

Die Söhne der höchsten türkischen Aristokratie werden 
dieser neuen Unterrichtsanstalt anvertraut. Am Freitag Abend 
(dem Sonntag der Muselmänner) habe ich die jungen Leute 
aus ihren Familien von glänzender Eskorte begleitet zu Pferde 
in ihre Schulanstalt zurückkehren sehen. Alle Schüler sind 
uniformirt, als gleichmässige Kopfbedeckung ist der Fez vor- 
vorgeschrieben. Die äussere Einrichtung ist militärisch. Der 
Stundenwechsel wird durch Trommelschlag angekündigt, eben 
so werden die Zöglinge zu den Mahlzeiten gerufen. 

Die türkische Regierung selbst kann sich der Ueberzeu- 
gung nicht verschliessen, dass eine Regeneration nur auf dem 
Wege der Erziehung und des Unterrichts angebahnt werden 
kann. Da die Pensionen bei der Opulenz der Ausstattung 
viel zu gering sind, und viele türkische Zöglinge ganze oder 
halbe Freistellen haben, so schätze ich den jährlichen Staats- 
zuschuss auf mindestens 50,000 Thaler. 

Bei dem erbitterten gegenseitigen Hass der verschiedenen 
in Konstantinopel einheimischen Nationalitäten, wovon wir 
hier nur eine ungefähre Vorstellung haben können, erfordert 
die Leitung einer solchen Schule grosse Umsicht, und wird 
dem zeitigen Direktor gewiss noch manche schwierige Stunde 
bereitet werden. Mr. de Salve scheint jedoch seiner grossen, 



129 

man möchte sagen, weltgeschichtlichen Aufgabe gewachsen zu 
sein. Ich meinerseits werde die Stunden, welche ich im Aus- 
tausche der Gedanken über Erziehung und Unterricht mit 
diesem für ein grosses Werk ausersehenen Mann verlebt habe, 
stets als einen reichen Gewinn betrachten, und wird die Er- 
innerung daran in meinem orientalischen Ausfluge eine hervor- 
ragende Stelle einnehmen. 

- « 

39. Keisekaravane. Die Gasthöfe yon Pera. 

Sonnabend, den 3. October 1868, Nach türkischer Zeit- 
rechnung am 17. Djiem-ul-ahir der Hedschra 1285 um ItUhr 
Vormittags (nach christlicher Tageseintheilung) setzte sich 
unsere Karavane vom Hotel de Byzance in Pera aus in Bewe- 
gung. Unsere Karavane bestand aus vierzehn zahlenden Per- 
sonen und drei Dragomans (Dollmetscher, Führer). Jede der 
zahlenden Personen hatte zwanzig Franken beigesteuert, um 
die Kosten des Ferman und der Trinkgelder zu bestreiten. 
Der Ferman ist eine Kabinetsorder des Sultans und wird be- 
zahlt mit 800 Piastern, d. h. mit etwas über 50 preussischen 
Thalern. Dieser Ferman enthielt die Anweisung, uns unter 
Führung des uns zugewiesenen türkischen Offiziers, der uns 
auf der Hauptwache vor dem Sera'i erwartete, überall unge- 
hindert zuzulassen, wo es irgend einem fremden Muselmann 
einzudringen erlaubt ist. 

Unsere Karavane war zusammengesetzt: 1) aus einem 
östreichischen Major mit seiner Gattin, für welche eine Equi- 
page gemiethet war, während alle übrigen Theilnehmer be- 
ritten waren; 2) aus einem östreichischen Hauptmann mit 
seiner jungen neu vermählten Gattin, der Baronin, wie sie 
hiess; 3) einigen deutsch redenden Gutsbesitzern aus Sieben- 
, bürgen ; 4) zwei französischen Touristen, die im Hotel d'Angle- 
terre wohnten; 5) aus zwei unvermeidlichen englischen Rei- 
senden. Um diese Reisegesellschaft von vornherein abzufertigen, 
sei es gesagt, dass nur die beiden Damen eine verständige 
Auffassung und Unterscheidungsgabe (discernement) besassen ; 
auch die beiden Franzosen hatten etwas Witz, während die 
deutsch-östreichisch-siebenbürgische Männergesellschaft stumpf 
war. Die beiden Damen hatten Vorstudien gemacht, waren 

9 



ISO 

mit den nöthigen Reisehandbüchern versehen, führten auch 
sonstige Hülfsmittel, wie binocles, mit sich, und verfassten ein 
Reisetagebuch, in das sie mir Einblick gestatteten, um mich 
von ihrer geistigen Ueberlegenheit zu überzeugen. 

Die europäischen Hotels in Pera liegen alle dicht neben 
einander an der bergaufsteigenden grossen Strasse von Pera, 
an welcher auch die Gesandtschaften sich befinden. Hotel 
de Pest war meine Residenz bei Herrn Tofalusi, einem früheren 
Offizier der ungarischen Revolutionsarmee, der mit seinem 
Gasthofe eine umfangreiche Weinhandlung verbindet, auch in 
Skutari ein besuchtes europäisches Kaffeehaus besitzt, also 
seine Kundschaft in zwei verschiedenen Erdtheilen zugleich 
bedient. Es giebt gegenwärtig eigentlich fünf grössere Hotels 
in Pera dicht neben einander: Pest, Byzance, Angleterre 
(Missiris), Orient und das deutsche Baltzer, im letzteren wohnt 
General Pascha Blum (Instructor der türkischen Armee). Diese 
Hotels sind mit in die Augen fallendem Luxus eingerichtet, 
während für die wahre Bequemlichkeit, z. B. gute Betten, 
schlecht gesorgt ist. Die Verpflegung ist, was Essen und 
Trinken betrifft, gediegen; die Preise sind angemessen, nicht 
höher als in unseren besten Hotels; nur pflegt man vorher im 
Ganzen zu akkordiren, tag- oder wochenweise, Wohnung und 
Beköstigung inbegriffen. Die partie honteuse ist die Bedienung, 
von welcher man bestohlen und beschwindelt wird bei aller 
angewandten Vorsicht; dazu ist jeder Fremde in Konstantinopel 
prädestinirt. Als sehr honetten Wirth kann ich Herrn Tofalusi 
bezeichnen, in dessen Hotel de Pest auch die Mitglieder der 
preussischen Gesandtschaft vorzugsweise verkehren und diniren, 
für einen Thaler das Couvert (incl. Wein unbemessen) ganz 
vorzüglich. 

Die Pferde unserer Cavalcade (gemiethet pro Tag für 
sechs Franken) waren edler Race, mein Schimmel echt arabi- 
scher Abkunft, ein feuriges, dabei aber doch geduldiges Thier 
mit angenehmen Bewegungen. Hinter jedem Reiter lief der 
Vermiether in blossen Füssen, ohne Kopfbedeckung und offener 
Brust, überhaupt in leichtester Bekleidung. Er verlor nie das 
Pferd, den Gegenstand seiner Affektion, aus dem Auge, selbst 
wenn wir trabten und galoppirten, wo er Gelegenheit fand, 
sein Schnellläufer-Talent zu entwickeln. Ich kann nicht umhin, 



131 



mich auch an dieser Stelle zum Lobredner der türkischen 
niederen Klasse aufzuwerfen. Jedes Mal, wenn ich mit einem 
solchen Pferde -Vernaiether- Knecht in Beziehung trat, musste 
ich seine Anstelligkeit, Gefälligkeit, Bescheidenheit und Ehr- 
lichkeit anerkennen, wozu die durch Religion und Sitte ge- 
botene Nüchternheit auch wohl viel beiträgt. 

Unser Aufzug erregte wenig Beachtung. Kaum nahmen 
die herrenlosen Hunde von uns Notiz ; unsere Pferde schritten 
vorsichtig über ihre Leiber hin, ohne ihren Schlummer zu 
stören. In einer guten Viertelstunde schnellen Rittes waren 
wir an der einen Schiffbrücke, welche über das Goldene Hörn 
führt, angelangt. Wir mussten pro Reiter zwei Piaster Brücken- 
geld in die Kasse des Sultans pour ses menus plaisirs bezah- 
len und uns durch das dort wogende bunte Menschengewühl 
hindurcharbeiten. Bald stampften unsere Rosse den blutge- 
tränkten Boden des alten Stambul. Nach kurzem Ritte durch 
die Kesselflicker - Strasse hielten wir an vor den Mauern und 
der Pforte des Serai, wo der uns zugewiesene Ordonnanz- 
Offizier uns empfing. 

40. Die Achmedtöh. 

Nach Besichtigung des Serai' und der Agia Sophia wurden 
wir zu den sie umgebenden Gräbern der Mitglieder des kai- 
serlichen Hauses geführt, nachher in die Achmedieh, d. h. die 
Moschee, welche der Sultan Achmed I. im Jahre 1610 gebaut 
hat. Sie wird von sechs Minarehs umgeben. Die Haupt- 
Kuppel, welche einen Durchmesser von mehr als 100 Fuss 
besitzt, wird von vier ungeheuren Riesen-Säulen getragen, deren 
jede einen Umfang von 36 Ellen hat. Der ganze Bau ist, 
wie bei allen grossen Moscheen, der Agia Sophia nachgebildet. 
Wundervoll sind die herrlichen Platanen (platanus orientalis), 
welche die Moschee umgeben, welche die Türken mit besonderer 
Vorliebe bei ihren Prachtgebäuden anzupflanzen pflegen. Von 
hier bricht jährlich die Mekkakaravane auf und hierher kehrt 
sie beim Wiedereinzuge zurück. Hier wird jährlich das Ge- 
burtstagsfest des Propheten gefeiert, wo der Sultan im grössten 
Pomp erscheint, um den Lobgesängen auf den Propheten bei- 
zuwohnen, welche von den besten Sängern vorgetragen werden. 

9* 



13!3 

In der Nähe der Achmedieh ist ein viereckiger geräumiger 
von Säulengängen umgebener Hof; auf jeder Seite befinden 
sich zehn Kuppeln, welche von Säulen, aus ägyptischem 
Granit getragen werden. Es fiel uns besonders der elegante 
erzene Thorweg auf mit Verzierungen in arabischem Ge- 
schmack. 



41. Der Atmeidan. 

Von hier gelangten wir zum Atmeidan, dem ehemaligen 
Forum, jetzt auch Hippodrom genannt, vom Kaiser Severus 
nach der Einnahme des alten Byzanz eingerichtet, früher der 
Hauptplatz und Stolz von Byzanz, wo die öffentlichen Kampf- 
Wettspiele (Wagen- und Pferderennen), die militärischen Pa- 
raden u. s. w. stattfanden, jetzt verwahrlost und theilweise 
nur noch als Reitbahn benutzt. Wir sind heute in unseren 
grossen Städten an prachtvolle Plätze gewöhnt, der Atmeidan 
in seiner jetzigen Verfassung macht aber einen wenig erhe- 
benden Eindruck. Indessen ist dies fast der einzige Platz, 
wo noch üeberbleibsel von Kunstwerken des Alterthums anzu- ' 
treffen sind, sonst hat die türkische Zerstörungswuth kein 
antikes Kunstwerk verschont. 

Auf dem Atmeidan ist ein ägjrptischer Obeslisk aufgepflanzt 
von röthlichem Granit, 61 Fuss hoch und auf allen vier Seiten 
mit hieroglyphischen Inschriften bedeckt. Auf demselben Platze 
steht eine andere, 91 Fuss hohe, 8 Fuss starke Säule, welche 
ehemals mit Goldblechen überzogen war, aber ihrer kostbaren 
Umhüllung beraubt worden ist. 

Die grösste Merkwürdigkeit auf dem. Hippodrom ist aber 
die zwischen jenen beiden genannten Säulen in einer Vertiefung 
befindliche grüne Schlangensäule, ein 10 Fuss hoher, 13 Zoll 
starker eherner Pfahl, wie eine Schraube gestaltet. Ehemals 
soll dieses sonderbare Denkmal noch höher und mit drei 
Schlangenköpfen versehen gewesen sein. Die Athener hatten 
diese Säule aus Beiträgen der Bundesgenossen nach der über 
die Perser gewonnenen Schlacht von Plataeae als Dankopfer 
errichtet. Die Inschrift enthält die Aufzählung der geleisteten 
Beiträge in altgriechischer Sprache. Früher soll diese Säule 
den Dreifuss des pythischen Orakels zu Delphi getragen haben. 



133 



Als Mahomet II. am 29. Mai 1453 Konstantinopel erobert 
hatte und an der Spitze seines Heeres seinen Einzug hielt, 
stutzte er bei dem Anblicke dieser Säule und glaubte, in der- 
selben ein die Stadt beschützendes Götzenbild zu sehen. Um 
also den Griechen auch diese letzte vermeintliche Stütze zu 
rauben, schlug er mit seiner Streitaxt einen dieser Schlangen- 
köpfe herunter; die beiden anderen Köpfe sind im acht- 
zehnten Jahrhundert in einer Nacht durch ruchlose Hand 
abgebrochen worden. 

42. Die Yernichtang der Janitscharen. 

Am Atmeidan stand früher die Kaserne der Janitscharen, 
der ehemaligen Gardetruppen des Reichs. Als dieselben sich 
im Frühjahr 1826 gegen ihren Kriegsherrn Sultan Mahmoud 
auflehnten, beschloss er, sie zu vernichten als lästige Gegner 
seiner Unumschränktheit und Mörder so vieler seiner Vor- 
fahren. Der Mufti sprach feierlich den Fluch über sie aus 
und erklärte ihre Niedermachung für ein gottgefälliges Werk. 
Als am 15. Juni 1826, oder im Jahre 1241 der Hedschra der 
Aufstand ausbrach und die Janitscharen auf dem Hippodrom 
sich aufstellten, wurden sie umzingelt; sie wollten sich in die 
Kaserne zurückziehen, dieselbe wurde aber in Brand gesteckt. 
Es begann ein furchtbares Blutbad. Wer sich den Flammen 
der brennenden Kasernen entzog, fand seinen Tod durch die 
Waffen, sobald er ins Freie trat. Ueber 6000 Gardetruppen 
wurden durch die Linientruppen niedergemetzelt, und die 
Leichen ins nahe Marmara-Meer geworfen. Am 16. Juni er- 
schien ein Ferman, welcher die Vernichtung des Corps und 
seinen Ersatz durch eine neue Truppe aussprach. Es heisst 
in diesem Ferman: „Aller Religion baar habe man bei vielen 
Leichen das christliche Kreuz auf dem Arme eintätowirt ge- 
funden; ein Abscheu des Publikums seien die Janitscharen 
niedergemetzelt worden. Uebrigens wisse man, dass andere 
Korporationen, z. B. die Brandlöscher und Lastträger, heimlich 
die Rebellion gefördert hätten." So dauerten die Hinrich- 
tungen in Konstantinopel und den Provinzen fort; in Kon- 
stantinopel erreichte die Zahl der anderweitig Erdrosselten 
bald 4000. 



134 

Um eine Vorstellung von türkischen Zuständen zu geben, 
lassen wir einen Auszug aus einem andern Ferman folgen, 
welcher kurz darauf erlassen wurde: 

„Sie sind vernichtet, Ruhe und Ordnung herrschen wieder; 
jeder Muselmann sollte dafür Gott danken. Dennoch aber giebt 
es unruhige Köpfe, welche unter dem Deckmantel des Reli- 
gionseifers heimlich die Sache der Rebellen fördern. Diesen 
gesellen sich die Weiber der Hingerichteten bei, welche überall 
freche Reden führen. Mit besonderem Erfolge arbeiten solche 
Wühler an Feuersbrünsten, welche doch der wahre Musel- 
mann als göttliche Züchtigung und Anlass zur Busse hinneh- 
men sollte. — Von heute ab werden Spione der Regierung in 
einer sie völlig unkenntlich machenden Verkleidung die ver- 
schiedenen Stadttheile besuchen und nicht minder werden 
Frauen, ebenfalls verkleidet, in die Privathäuser, die öflFent- 
liehen Bäder u. s. w. eindringen und die Unterhaltungen be- 
lauschen. Wer immer. Mann oder Weib, Gross oder Klein, 
sich erfrecht, falsche Gerüchte zu verbreiten oder aufwieg- 
lerische Reden zu führen, der soll sofort ergriflfen, keine Gnade, 
keine Verzeihung soll ihm bewilligt, auf keine Protektion soll 
Rücksicht genommen, auf keinerlei Flehen oder Fürbitte gehört 

werden Männer und Frauen, gleichviel welches Standes, 

sollen arretirt und zum abschreckenden Beispiel jene auf 
der Stelle hingerichtet, diese erdrosselt und ins Meer ge- 
worfen werden." 

43. Das Museum. 

Vom Hippodrom traten wir in eine Art Museum ein, wo 
286 Figuren in Wachs poussirt, dem Leben nachgebildet, auf- 
gestellt sind, umgeben mit ächten Kostümen, auf geschmackvolle 
Weise drapirt, lauter Charakteranzüge. Es ist dies eine Illu- 
stration der neuesten türkischen Geschichte. Die meisten 
dieser Wachsfiguren stellen die niedergemetzelten Haupt- 
rädelsführer der Janitscharen bei der letzten Revolution vor. 
Indessen sind auch andere wichtige Personen, zum Theil 
noch lebende, durch einen Platz hier ausgezeichnet worden, 
z. B. II buffone che fa ridere il Soltano, der grossherrliche 
Hofnarr, ein missgestalteter Zwerg seinem Wüchse nach ; eben 



135 

so der Chef der Leibwachen (Eunuchen); der mit schweren 
Geldbeuteln beladene Beamte, welcher die Scherflein der 
Gläubigen nach Mekka schleppt und seiner schweren Last 
fast unterliegt. 

44. Zisterne der 1001 Säulen. 

Wir traten darauf ein in die Zisterne der 1001 Säulen 
(Bin we bir direk auf türkisch), wo sonst das Regenwasser 
aufgesammelt wurde, ehe Konstantinopel noch mit so vorzüg- 
lichen Wasserleitungen, wie jetzt, versehen war. In den ersten 
Zeiten nach Erbauung von Konstantinopel waren die Einwohner 
genöthigt, um sich Trinkwasser zu beschaffen, Regenwasser von 
den Gebäuden durch Dachrinnen in eigens dazu eingerichteten 
Behältnissen einzusammeln; später wurden mit ungeheurem 
Kostenaufwande Wasserleitungen gebaut, wodurch ganze Ströme 
in die Stadt gelenkt wurden. Wasser ist den Morgenländern 
das Symbol des Lebens, und der Kernspruch: „Durch Wasser 
lebt alles Ding", bildet die Inschrift vieler öffentlicher Brunnen. 
Die unterirdische Krypte der Zisterne der 1001 Säulen macht 
auf den Beschauer durch ihren Umfang und die Menge der 
Säulen einen wunderbaren Eindruck. Es sind übrigens nur 
216 weisse Marmor-Säulen da, welche herrliche Bogengänge 
bilden, die aber jetzt zu zwei Dritteln mit Erde verschüttet 
sind. Wir trafen in dieser Krypte Seiler , die ihre langen 
Bahnen dort aufgepflanzt hatten, auch Haspeler, welche Seide 
abwickelten, und müssiges Gesindel, woran es in der Türkei 
nirgends fehlt. 

45. Turb^ des Sultans Mahmoud (f 1823). 

Von der Zisterne der 1001 Säulen wurden wir in den Turbe 
(Begräbnissstätte) des Sultans Mahmoud und seiner Lieblings- 
frauen geführt; es war dies der Vater des gegenwärtigen Sul- 
tans. Wir fanden dort andächtig betende Türken, die täglich 
in gewissen Stunden ihrem Schmerze und ihrer Trauer gegen 
Bezahlung Ausdruck geben. Auf dem Sarge des Sultans lag ein 
Fess (Kopfbedeckung), der mit einem grossen Diamant geziert 
war. Der Sarkophag war mit prächtigen Cachemirs bedeckt, 



136 

eben so derjenige der Sultanin Valide, Mutter des jetzigen 
Sultans. Der Katafalk beider ist mit einem reichen silbernen 
Gitter umzogen, ausgelegt mit Perlmutter und Perlen; zu 
Füssen der kolossalen Särge ist ein Teppich aus Mekka aus- 
gebreitet. In dem Turbe befinden sich einige vom Sultan 
Mahmoud mit eigener Hand auf Pergament kunstvoll geschrie- 
bene Bücher, auch die eigenhändig von ihm angefertigte Ab- 
schrift des ganzen Korans. Die Stellung der Särge ist immer 
derartig, dass das Gesicht nach Mekka schaut. Ein frommer 
Türke trägt immer einen Kompass mit sich, um jederzeit die 
Richtung nach Mekka aufzufinden. 

In der Umgebung dieses Turbe befanden sich viele Brun- 
nen, eben so ein gut in Ordnung gehaltener Garten, in welchem 
die Rosen in schönster zweiter Blüthe standen. Die Zier- 
und Blumengärten werden überhaupt im Orient sorgfältig 
kultivirt, vor allen Blumen steht die Rose in hoher Gunst. 

Wir begaben uns darauf zu einem mit einem Säulengange 
umschlossenen Hofe, wo die heiligen Tauben zu Tausenden 
gefüttert wurden. 

46. Kriegsmiulsterium^ Solimantöh. 

Darauf passirten wir vor dem Kriegsministerium vorbei, 
wo eine grosse Geschäftigkeit herrschte, und sahen uns von 
aussen den Seraskier- Thurm an. Die Gitterthür, welche zum 
Kriegsministerium führt, ist die eigentliche wirkliche „hohe 
Pforte, la sublime Porte proprement dite." 

So gelangten wir zur Solimanieh, d. h. zu der vom Sultan 
Soliman dem Prächtigen gebauten Moschee. Dieselbe ist 
von vier Minarehs umgeben, wovon zwei grössere mit drei 
Gallerien umher und zwei kleinere mit zwei Gallerien versehen 
sind. Der Porticus bildet einen bedeckten gewölbten Gang, 
er ruht auf Säulen von Granit und Porphyr, welche 24 Fuss 
hoch sind. Dieser Säulengang schliesst einen 70 Schritt lan- 
gen und 50 Schritt breiten Hofraum ein, der mit breiten 
Marmor- und Porphyr-Platten gepflastert ist. 

Wir wurden mit Bewunderung erfüllt, als wir in diese 
prachtvollste, von Türken erbaute Moschee eintraten, ein Meister- 
werk echt sarazenischen Styls, nach dem Vorbilde der Agia 




137 

Sophia erbaut, aber regelrecht, d. h. in der Richtung nach 
Mekka. Der Durchmesser der Kuppel ist derselbe wie bei der 
Agia Sophia, dieselbe ist aber nicht so flach, sondern 15 Fuss 
höher. Die Solimaiiieh ist so gross, dass während unserer 
Anwesenheit in verschiedenen Theilen Andachtsübungen statt- 
fanden, ohne sich gegenseitig zu stören. Unsere besondere 
Aufmerksamkeit zog ein Geistlicher auf sich, der mit der 
Auslegung des Korans beschäftigt war, aber dabei Hände und 
Füsse lebhaft bewegte, obgleich er auf dem Fussboden hinge- 
kauert war. Er las vor, seine Zuhörerschaft umlagerte ihn, 
schauete sich aber neugierig um, und schien wenig auf ihn 
zu hören. — Auch hier ist die Mosaik reichlich verschwendet, 
selbst an Thüren und Fenstern angebracht, welche letzteren 
meist von buntfarbigem Glase sind, so dass sie die Moschee 
mit mystischem Lichte erfüllen. 

Neben der Moschee ist das Mausoleum des Sultans Soliman 
und der französischen Prinzessin Roxelane, die von Seeräubern 
gekapert und dem Sultan zum Geschenk dargebracht war. In 
dem Mausoleum befindet sich eine Relief-Darstellung der heili- 
gen Kaaba von Mekka, bis in die kleinsten Details in Holz 
ausgeschnitzt. 

Der Solimanieh gegenüber steht eine Reihe hölzerner Buden, 
in denen mit Opium gehandelt wird. — 

Hier endete gegen Sonnenuntergang unsere Exkursion. 
Wir bestiegen unsere Miethsgäule und kehrten bei einbrechen- 
der Dunkelheit, mit geistigen Eindrücken übersättigt, mit 
reichen Erinnerungen für die Zukunft beglückt, körperlich aber 
hungrig und müde, nach demselben Platz hoch oben in Pera 
zurück, wo wir uns am Vormittag zusammenfanden, erfüllt 
von Wissbegierd^. Unsere Erwartungen waren weit übertrofFen 
worden. 

47. Das asiatische Ufer und die himmlischen süssen 

Wasser von Asien. 

Freitag, den 2. Oktober, unternahm ich einen Ausflug 
nach der kleinasiatischen Küste. Zunächst bestieg ich ein 
Dampfschifif, das von der neuen Galata-Brücke abfährt und 
nahm meinen Platz bis Candilli. Da das Wetter wundervoll 
war, hatte sich das Dampfschifl' mit Passagieren überfüllt, 



138 

namentlich die für türkische Frauen reservirte Abtheilung, 
deren Dominos von grüner, gelber und rother Seide in hellem 
Farbenglanze prangten. 

Der Zufall hatte mir auf dem Dampfschiffe einen Platz 
neben einem Herrn Moritz Sanft, gebürtig aus Bukarest, jetzt 
Graveur in der Hauptstrasse von Pera, angewiesen. Er be- 
gleitete seine Frau, die er in Cairo hatte kennen lernen, wo 
ihr Vater nach dem Inneren von Afrika mit den Negerstämmen 
Handel trieb. Meine Reisegefährtin verstand und sprach die 
Sprache dieser Neger, sie verwerthet ihre Sprachkenntnisse 
dadurch vortheilhaft, dass sie sich verständigen kann mit den 
schwarzen Wächtern (Eunuchen) der Harems, um einen Ge- 
winn bringenden Handel mit Schönheitsmitteln, als da sind 
Seifen, Parfüms, Schminken u. s. w., zu treiben. So machte 
sie auch heute unter dem Schutze ihres Ehemannes eine 
Reise nach der asiatischen Seite, um Bestellungen bei Mustapha 
Pascha zu effectuiren. Herr und Frau Sanft sprachen tür- 
kisch, waren ausserdem gut orientirt und konnten mir so 
vortrefflich als DoUmetscher und Führer dienen, da sie zu- 
gleich geläufig italienisch sprachen. Durch ihre Vermittelung 
erhielt ich Zutritt in den prachtvollen Garten des Mustapha 
Pascha, der sich auf dem asiatischen Ufer längs des Bosporus 
hinzieht. 

Es waren trotz der vorgerückten Jahreszeit die Rosen in 
herrlichster Entfaltung, namentlich hochstämmige Exemplare 
von La Reine; das Arrangement der Blumenbeete war 
ä Tanglaise, von derselben Sorte waren Hunderte von Exem- 
plaren zu Gruppen vereinigt, um durch ihre Massen zu wirken. 
Auch neu- holländische Araucarien gediehen fröhlich unter 
diesem glücklichen Himmelsstriche, eben so blühten Pawlonia- 
Bäume. 

Der erste Seki*etär des Fürsten kam freundlich auf mich 
zu, redete mich in französischer Sprache an, forderte mich 
auf zur Besichtigung des Palastes und unterhielt sich mit mir 
ganz ungezwungen. 

Denselben Herrn traf ich später wieder, indem ich mit 
ihm die Fahrt von Konstantinopel nach Pest machte, wo wir 
uns trennten, indem er nach Paris fuhr und ich nach Posen, 
Auf dem Dampfboot hatte er mich zuerst angeredet und sich 



1 

V 



13 9 

noch ergötzt über die Aengstlichkeit und Schüchternheit, die 
ich damals im Garten und Hause des Pasclia gezeigt hatte. 
Er war wie alle gebildeten Türken von den feinsten Sitten und 
dem liebenswürdigsten yerkehr, dabei aber der Leidenschaft 
des Kartenspiels ergeben und verlor auf dem Dampfschiffe an 
einen Abenteurer, den Pseudonymen Grafen Cambdolo, unge- 
heure Summen. 

Inzwischen hatte Frau Sanft ihre Handelsgeschäfte im 
Harem abgemacht, einige Damen begleiteten sie lächelnd bis 
in den Garten, zogen sich jedoch auf Anordnung der schwar- 
zen Wächter bald zurück. Unterdessen hatte ich mit Herrn 
Sanft so zu sagen Freundschaft geschlossen und ihn überredet, 
den übrigen Theil des Tages, es war noch Vormittag, zu wei- 
teren Exkursionen zu benutzen, wobei seine Gattin immer noch 
Geschäftsbesuche machen könnte. 

Unser nächstes Ziel waren die „süssen himmlischen Wasser 
von Asien", die Lieblingspromenade der vornahmen türkischen 
Damenwelt am Freitag. In zehn Minuten waren wir vom Palast 
des Mustapha Pascha an Ort und Stelle. Es mündet hier 
ein von den Bergen herabkommender Bach in den Bosporus und 
bildet ein reizendes Flussthal. Es sind grosse wiesenartige 
Flächen ausgebreitet, die beschattet werden von Platanen, 
Sykomoren, Wallnuss- und Kastanienbäumen in einer Stärke 
und Höhe, die uns bei diesen Bäumen unbekannt ist. 

Wir fanden schon eine Anzahl Harems auf ausgebreiteten 
Teppichen auf der Wiese gelagert und sich an der schönen 
Natur ergötzend, dabei ihr einfaches Frühstück verzehrend 
und die Verkäufer von Weintrauben, Feigen und Melonen, die 
sich zahlreich eingefunden hatten und ihre Waare schreiend 
ausboten, in Bewegung setzend. Die in Marmor gefassten 
Quellen lieferten vorzügliches Trinkwasser. Es waren auch 
mehrere Kochheerde zum Kaffeekochen improvisirt. Genug, 
es war hier Alles .zu haben, was für genügsame Türkinnen 
ausreicht, nur die vielen ungezogenen phantastisch ausgeklei- 
deten Kinder schrieen fortwährend nach Zuckerwerk und 
Süssigkeiten. Es kamen gegen Mittag noch immer mehr Kaiks 
von der Wasserseite und Equipagen von der Landseite, um 
zahlreiche Spaziergängerinnen , eigentlich Spazierliegerinnen, 
herbeizuführen. Ausser den Wächtern und Dienern war .aber 



140 



auch nicht eine einzige, der eigentlichen Gesellschaft ange- 
hörige Mannsperson zu sehen. Die Geschlechter amüsiren 
sich in der Türkei völlig getrennt, das männliche ist indolent 
und apathisch, nur dem weiblichen wohnt noch Freude an 
Gottes schöner Natur inne. 

Nachdem wir uns den Kiosk, welchen der Sulian in den 
süssen Wassern am Rande des Bosporus im Konditorstyle hat 
aufführen lassen, angesehen hatten, setzten wir unsere Wan- 
derung fort. Wir gingen querfeldein und bestiegen ein hohes 
Plateau, um eine neue Aussicht auf den Bosporus zu gewinnen. 
Der Weg führte uns durch wohl unterhaltene Wein- und 
Obstgärten, 

48. UnToUendete Palast - Bninen am Bosporus. 

Auf der Anhöhe fortschreitend kamen wir zu dem un- 
vollendeten Palast von Mehemet Ali Pascha, Schwager des 
Sultans. Wir erbaten uns vom Wächter die Erlaubniss, diese 
künstliche Ruine zu besuchen. Dieser unvollendete Palast 
sieht ungefähr so aus, als ob er von einer Feuersbrunst heim- 
gesucht worden wäre. „In den öden Fensterhöhlen wohnt das 
Grauen, und des Himmels Wolken schauen hoch hinein." Es 
soll dieser Palast die schönste Aussicht auf den Bosporus ge- 
währen. Nicht satt konnte ich mich sehen an dem lieblichen 
Gemälde, im Norden das Schwarze Meer, im Süden das 
Marmara-Meer, vor mir der von unzähligen Kaiks belebte 
Bosporus mit seinen Buchten und Abwechselungen, der Himmel 
tiefblau ohne ein Wölkchen, die Luft heiter und warm, aber 
durch eine kühlende Brise gemässigt, mit Wohlgerüchen von 
dem üppigen Blumenflor der anstossenden Gärten erfüllt. Ich 
habe wiederholentlich die Runde dieses verödeten Palastes 
gemacht, aus allen Fenstern der Reihe nach gesehen und 
immer wieder neue Eindrücke gewonnen. 

49. Yilla Hansom. 

Gleich über dieser Ruine befindet sich die Villa des 
Direktors der ottomanischen Bank, des Herrn Hansom, eines 
Engländers, eines der ehrenhaftesten und geschicktesten 



141 



Finanziers des Orients. Ich war mit einer Empfehlung an ihn 
versehen. Er war anwesend und lud mich und meine Gesell- 
schaft, von der ich mich nicht trennen wollte, ein, seine Gär- 
ten zu besehen. Er stellte mich seiner Gattin vor, die uns 
mit in den Garten begleitete. Ich habe nie schönere Wein- 
gelände gesehen. Herr Hansom gestattete mir, reife Feigen 
edelster Art vom Baum abzupflücken. Es interessirten mich be- 
sonders die vielen Pomegranate trees, Bäume, die zugleich rothe 
Blüthen und Früchte in Unzahl trugen. Herr Hansom erklärte 
mir die Methode der Bewässerung, die Einrichtung seiner 
Zisternen; darauf zeigte er mir werthvoUe Marmortafeln mit 
Inschriften, Bruchstücke von Statuen, die er von der englischen 
Expedition nach Sebastopol im Krimmkriege erworben hatte, 
genug er war liebenswürdig und gentleman-like. Inzwischen 
hörten wir den Kanonendonner zu Ehren des Sultans, der 
von seiner Andacht aus der Moschee mit zahlreichem Gefolge 
zu Wasser nach Dolmabadsche zurückkehrte. 

60. Beylerbßy. 

Wir setzten unsere Reise fort nach Beylerbey (zu deutsch: 
„Fürst der Fürsten''), welcher Palast unserm Kronprinzen bei 
seinem Aufenthalt im Herbst 1869 als Residenz angewiesen 
war. Frau Sanft besuchte den Harem des verstorbenen Sultans, 
um dort Geschäfte zu verabreden. Herr Sanft und ich blieben 
im Garten, nachdem seine Gattin uns vorgestellt hatte. Da 
es Feiertag war, fanden wir eine ganze Gesellschaft feister 
Eunuchen im Garten, die sich lebhaft mit meiner Begleitung, 
aber mit leiser Stimme, unterhielten; ihre Wohlbeleibtheit 
überschritt weit das gewöhnliche Maass und flösste Ekel ein. 
In Beylerbey herrschte ein wahres Jahrmarktstreiben, wo 
Jongleurs ihre Kunststücke unter den ohrzerreissenden Klän- 
gen türkischer Musik zeigten. 

Nachdem wir in aller Eile in einem Wirthshause uns 
durch ein Kaviarfrühstück, wo der Kaviar in Olivenöl schwamm, 
und durch eine Flasche vortrefflichen kleinasiatischen Weins 
(Paschalimon) gestärkt hatten, welches reichliche Frühstück 
für drei Personen etwa auf einen halben Thaler zu stehen 
kam, mietheten wir zwei Kaiks, um nach Skutari zu fahren. 



142 



51. Kaiks. 

Diese Kaiks sind schmale, spitz zulaufende längliche Boote 
ift allen Grössenverhältnissen mit eins, zwei, vier bis zu zwanzig 
und mehr Ruderern, gewöhnlich aber nur mit einem Ruderer. 
Die Schiffsleute sind in sauberstes Weiss gekleidet, wie aus 
dem Ei geschält, mit blossen Füssen und unbedecktem Haupte; 
sie müssen sich ausserordentlich anstrengen, um das Boot 
sicher durch und gegen die gewaltige Strömung des Bosporus 
zu führen. Der Passagier kauert sich nieder in einer Ver- 
tiefung des Bootes, wo ein Teppich ausgebreitet ist; er muss 
mit grosser Vorsicht das Gleichgewicht halten und darf sich 
kaum rühren. Das Ein- und Aussteigen ist unbequem und 
gefährlich, erfordert grosse Vorsicht und Uebung. Eine Fahrt 
auf dem Bosporus bei so wundervollem Wetter, wie ich es 
traf, ist eine wahre Quintessenz von Wonne. Unsere Fahrt 
ging am asiatischen Ufer entlang, das viel baumreicher ist 
als das europäische, auch in seiner Felsenküstenbildung eine 
grössere Abwechselung gewährt. 

Zu den erheiterndsten Eigenthümlichkeiten von Konstaii- 
tinopel gehören die Kaiks oder Wasserdroschken. Ihre Führer, 
die Kaikdschi, bieten mit ihrer entblössten Brust und freiem 
Halse und ihren nackten muskulösen Armen ein Bild der 
Gesundheit und Kraft dar; sie sind dabei von einer Sauber- 
keit, dass sie ihre schmutzigen Collegen, die venetianischen 
Gondolieri, weit überstrahlen. Es sind urwüchsige Naturen, 
sie glauben ohne Kritik an Allah und seinen Propheten, sind 
dabei von einer vorsündfluthlichen Ehrlichkeit. Willst du dir 
einen besonderen Genuss bereiten, so stöige hinab zu den 
glänzenden Wassern und setze dich türken- und schneiderge- 
mäss mit über Kreuz geschlagenen Beinen in eine jener flie- 
genden Schwalben, versprich einige Piaster Backschisch, und 
du wirst staunen über die Muskelkraft und Geschicklichkeit 
der Bootführer. Wie sich die Ruder ächzend biegen, wenn 
sie den Gischt des Bosporus um sich herspritzen I Die breiten 
Brustkasten der Kaikdschi schwellen, das Boot springt zitternd 
unter den mächtigen Streichen und zischt durch die Wellen 
wie eine erzürnte Schlange. Der vordere Schnabel durch- 
schneidet das Wasser wie eine Damaszener-Klinge und lässt 



143 



hinten eine klaffende Wunde zurück. Wilde Seevögel, welche 
als verlorene oder verdammte „Seelen" unausgesetzt von der 
äussersten Spitze des Bosporus his an das Ende der Darda- 
nellen ruhelos hin- und herfliegen und diese Gewässer mit 
ihrem unermüdlichen Gekrächze beunruhigen, sind kaum im 
Stande, diese pfeilschnellen Kaiks zu überholen. Die Ka'ikdschi 
sind derbe Asiaten, sie zeigen in ihrer Kraft und Ursprüng- 
lichkeit noch, was einst der Türke war und lassen begreifen, 
warum man ihn fürchten musste. Europa ist den Türken in 
dem 400jährigen Lager zu einem Kapua geworden, in welchem 
sie verweichlicht und entartet sind, so dass sie sich nur noch 
durch künstliche Mittel und fremde Hülfe aufrecht erhalten. 
Auf dem Bosporus im leichten Kaik bei guter Witterung 
umherzuschwimmen und die Aussicht links und rechts zu ge- 
messen, das ist wahre Poesie. Vom Wasser her gesehen ist 
Konstantinopel die bezaubernde Hauptstadt eines Feenlandes, 
wie sie sich in schwebenden Domen und glänzenden Pavillons 
auf beiden Seiten der spiegelnden belebten Gewässer erhebt 
und einem weichen wolkenlosen Himmel entgegen lacht. — 
Nur zu bald erreichten wir die Scala von Skutari. 

52. Skntari. 

In Skutari stiegen wir ans Land. Es war ein ungeheures 
Treiben in der heiligen Stadt. Trotz des Feiertags waren die 
Läden geöffnet. Zunächst fielen uns die vielen Springbrunnen 
auf, Stiftungen frommer Männer; wir kosteten das frische 
Wasser mit Behagen. Wir begegneten grossen Heerden lang- 
haariger Schafe, deren Wolle sich wie Seide anfühlte. 

Skutari (Iskudar) war das alte Chrysopolis. Es steigt, 
wie die meisten türkischen Städte, amphitheatralisch den Berg 
hinauf. Es war früher die Hauptstation des asiatischen Land- 
handels, hat jetzt durch anderweitige Dampfschifffahrtsverbin- 
dungen (z. B. nach Trebizonde) seine frühere Bedeutung als 
Handelsplatz verloren. Es ist aber der Lieblingsaufenthalt 
vornehmer Türken geworden, welche sich aus Europa nach 
Asien zurückziehen, und heisst: „Die heilige Stadt." 

Skutari ist heute berühmt als Frucht- und Obstmarkt. Wir 
kauften hier wundervolle Weintrauben und tranken dazu Wasser, 



144 

ganz nach türkischer Sitte, aus den von zahllosen Tauben um- 
schwärmten heiligen Springbrunnen. Dann mietheten wir einen 
buntbemalten Einspänner, deren eine grosse Menge aufgefahren 
waren. Oben auf dem Plateau war grosser Corso der Sulta- 
ninnen, wie man uns mittheilte. 

53. Der grösste Friedhof aaf Erden. 

Der Weg führte uns durch die sanft die Höhen aufstei- 
gende Todtenstadt (Nekropolis), deren schwarze hundertjährige 
himmelanstrebende Zypressen vom Berge bis ans blaue Mar- 
mara-Meer sich hinabziehen. Es ist dies der grösste und 
wahrscheinlich auch der am schönsten gelegene Friedhof der 
Welt. Ueber eine halbe Quadratmeile ist hier mit Grabsteinen 
bedeckt. Es gilt nämlich als Entweihung, einen Todten aus- 
zugraben. Jeder Todte, arm oder reich, einmal ausgestreckt 
auf seinem letzten Lager, schläft dort, bis die Trompete des 
jüngsten Gerichts ihn auferweckt; wenigstens begehen Menschen- 
hände nicht den Frevel, seine letzte Ruhe zu stören. Auch 
ist es nicht gestattet, mehrere Leichen über einander zu 
thürmen. Die Todten drohen hier, die Lebendigen zu vertrei- 
ben. Die Grabmonumente sind so dicht an einander gedrängt, 
dass kaum eine Passage dazwischen möglich ist. Nach dem 
Kirchhofe zu trifft man zahllose Werkstätten von Bildhauern 
für Grabmonumente an. An der Grenze des Friedhofes nehmen 
fromme reiche Türken ihre Wohnung, um sich die Vergäng- 
lichkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens vor Augeu 
zu stellen. Der Tod hat für die Islambekenner seine Schrecken 
verloren, erscheint ihnen als Verklärung, als Uebergang zu 
einem besseren Dasein. Die. Hölle des Islam ist nur ein 
Fegefeuer. Jeder Gläubige, nachdem er seine Fehler durch 
kürzere oder längere, mehr oder minder erschreckliche Qualen 
gebüsst hat, glaubt endlich doch der höchsten unaussprech- 
lichen Seligkeit theilhaftig zu werden. 

Die Türken, im Allgemeinen ernst, langsam und würdevoll 
im Leben, haben nur Eile, wenn sie todt sind. Sobald ein 
Muselmann gestorben ist, wird seine Leiche nach Vollziehung 
der üblichen Abwaschungen im Sturmschritt nach dem Fried- 
hofe geschafft, dort mit dem Antlitz nach Mekka orientirt und 



145 

mit wenigen Zollen Staub schnell überschüttet, damit die 
Erde ihm leicht werde. Diese Hast der Beerdigung ist in 
der Furcht begründet, dass der Todte so lange leidet, bis er 
der Erde, von der sein Leib genommen war, zurückgegeben 
ist. Am Grabe wird er vom Iman über seinen Glauben 
befragt und sein Stillschweigen als Zustimmung ausgelegt. 
Das Gefolge antwortet in seinem Auftrage: „Amin", und 
zerstreut sich alsbald, den Todten allein lassend mit der 
Ewigkeit. 

Fast alle Gräber sind durch Leichensteine von Marmor 
bezeichnet. Am Fussende erhebt sich eine Marmorplatte von 
Mannshöhe und gewöhnlich einen Fuss breit, sie endet oben 
in eine Art von Kugel, einem Menschenkopfe ähnlich, bedeckt 
mit einem in Marmor ausgehauenen Turban, dessen Falten, 
Grösse und Gestalt die Stellung kennzeichnen, welche der 
Todte im Leben einnahm. So ist es bei Gräbern, wo ein Mann 
beerdigt ist, während bei Frauengräbern der Leichenstein an 
der Spitze eine Art Lotus -Stengel oder eine Weinrebe trägt 
mit in Marmor ausgehauenen Weinblättern und Trauben ver- 
ziert. Am Fusse dieses aufrecht gestellten Leichensteins be- 
findet sich gewöhnlich eine kleine Marmorplatte, die in der 
Mitte eine einige Zoll tief ausgehöhlte Oeffnung enthält, worin 
die Freunde und Verwandten Blumen stecken oder Milch und 
Wohlgerüche giessen; später, wenn das Grab vernachlässigt 
wird, gestaltet sich diese Oeffnung zum Regenwasserbehälter, 
wo die Tauben und anderes wildes Geflügel, von dem der 
Kirchhof zu Skutari wimmelt, sich tränken. 

Am Kopfende wird ebenfalls ein Loch angebracht und 
eine Röhrenleitung eingelegt, die zum Ohre des Verstorbenen 
führt, um das Wehklagegeschrei der Angehörigen besser zu 
vernehmen ; es ist gewissermaassen das Kellerloch des Grabes, 
die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits, die oft 
aber von hungrigen Hunden aufgekratzt wird, welche immer 
die Kirchhöfe umlagern. 

Auch in Skutari fielen mir die vielen Brandstätten und 
Schutthaufen auf, trotzdem dass Skutari in Vergleich zu 
Konstantinopel eine emporkommende Stadt ist. 

10 



146 



54. Ein Eadliiiien - Korso. 

Endlich gelangten wir auf das Plateau vor der Stadt, 
genannt die Ebene von Hyder-Pacha, eine Art Exercierplatz 
zwischen Skutari und den weitläuftigen Kasernen von Kadi- 
Kieui. Es erwartete uns dort ein neues Schauspiel, ein förm- 
licher Corso. In europäischen Equipagen, so elegant wie man 
sie in Paris in den elysäischen Feldern oder zu London in 
Rotten Row im Hydepark nur zirkuliren sieht, sassen stolze 
Kadinnen, je zwei in jeder Kutsche, rechts und links, wo die 
Fenster heruntergelassen waren, neugierig hinaussehend und 
sich oft vorbeugend, während schwarze, mit langem Säbel be- 
hangene Wächter an jeder Seite des Wagens daneben ritten, 
um die Blicke ihrer Gebieterinnen zu überwachen. Hinter 
jeder Damenkutsche fuhr ein sogenannter „Arraba", d. h. ein 
niedriger, zwar überdachter, aber an den Seiten offener Wagen, 
bemalt mit allen Farben des Regenbogens, wobei aber goldgelb 
und feuerroth vorherrschten, in welchem Arraba sich vier bis 
sechs Dienerinnen (Odalisken) befanden, seitwärts auf gepol- 
sterten Bänken sitzend. Herrinnen und Dienerinnen schienen 
heiter gelaunt zu sein, erstere bewahrten jedoch eine gewisse 
Würde, während die Dienerinnen muthwillig unter sich schä- 
kerten. Es bewegte sich ein ziemlich gleichförmiger Zug von 
Karossen im Kreise um den weiten Platz herumfahrend, wäh- 
rend die angrenzenden Kaffeehäuser zu Hunderten mit müssi- 
gen rauchenden Türken vor den Thüren besetzt waren, die 
dem Korso jedoch nur geringe Aufmerksamkeit zu widmen 
schienen. 



55. Der Berg Bürgerin. 

Da wir unser Ziel höher gesteckt hatten, fuhren wir auf 
der ziemlich guten Chaussee, die weiter nach Asien hinein- 
führt, an den Fuss des Berges Bürgerin. Rechts und links 
vom Wege befinden sich Villen türkischer Grossen. 

Da der Berg steil ansteigt, mussten wir unser Fuhrwerk 
verlassen und zu Fuss die Bergspitze erklimmen. Am Abhänge 
des Berges bemerkten wir verschiedene Harems auf Teppichen 
ausgebreitet, im Genüsse der schönen Natur versunken, sich 



147 



mit Wasser und Süssigkeiten erfrischend. Kurz unterhalb des 
Gipfels ist ein Brunnen herrlichen Wassers , Dschamlia ge- 
nannt, von welchem der Sultan zu trinken pflegt, der sich 
hier auch einen Kiosk erbaut hat. In der Nähe dieser Quelle 
breiten ein Kastanienbaum, zwei Linden und drei Platanen 
ihre Aeste aus und laden zum Ausruhen ein. Wir müssen 
indessen weiter eilen, um noch vom höchsten Gipfel die wun- 
dervolle Aussicht bei Sonnenbeleuchtung zu gemessen. Oben 
auf der Spitze des Berges ist ein kleines türkisches Kloster. 
Ein Backschisch eröffnet uns den Zugang, es liegt ein Riese 
dort begraben, Taschiloba nennt ihn uns der Mönch. Das 
Riesengrab ist zwölf Fuss lang und soll 1300 Jahre alt 
sein. Die Türken haben eine wahre Wuth auf Riesengräber. 

Vor unseren Blicken liegen links die Gefilde von Brussa 
ausgebreitet. Unsere Blicke schweifen nach Asien hinein, un- 
sere Aussicht wird begrenzt von dem hohen Olymp bei Brussa. 
Vor uns liegt die ganze Propontis, das Weisse Meer, ausge- 
breitet, unmittelbar vor uns die sieben Prinzeninseln in näch- 
ster Nähe. Wir können bis in weite Ferne von unserem 
1000 Fuss über dem Meere erhobenen Standpunkte die Ge- 
birgskette am nördlichen Ufer des Weissen Meeres verfolgen, 
man zeigt uns in weiter Ferne zu unserer Rechten den thra- 
zischen Olymp ; während wir zu unserer Linken die schneebe- 
deckten Gipfel des Olymps von Brussa erblicken. 

Doch die Schatten werden länger, wir beobachten einen 
prachtvollen Sonnenuntergang, eilen im Sturmschritt den Berg 
hinunter, um unser Fuhrwerk wieder zu besteigen. Es ging 
im Galopp die Chaussee nach Skutari hinunter. In der Vor- 
stadt gewahrten wir einige nach europäischer Weise gebaute 
Häuser, davor eine Gruppe Spanierinnen, in weissen Gewän- 
dern, mit langen schwarzen, bis auf den Boden herunter hän- 
genden Zöpfen; man erzählt uns, dass hier reiche spanische 
Juden ihre Wohnungen vor der Stadt aufgeschlagen haben. 

56. Nächtliche üeberfahrt von Asien nach Europa. 

In der Stadt Skutari ist es einstweilen stockfinster ge- 
worden, nur die Ortskenntniss unseres türkischen, in Skutari 
ansässigen Fuhrmanns führt uns durch das Strassenlabyrinth 

10* 



i48 

zum Hafen. Jedoch alles Treiben ist dort verstummt. Die 
Dampfschifffahrtsverbindung mit Stambul hat seit Sonnen- 
untergang aufgehört, wir sind in grosser Verlegenheit, wo wir 
den Morgen abwarten wollen; schon umringen uns Hunde- 
schaaren und bellen uns an. Dennoch gelingt es uns, zwei 
Ka'iks zu miethen, um uns nach Galata von einem Welttheile 
zum anderen durch die reissende Strömung überzufahren. 
Meine Reisegefährten nahmen das eine Kaik in Beschlag, ich 
das andere. Mit Angst stieg ich hinein, da die Fälle nicht 
selten sind, wo Ka'iks umkippen und man ihren Inhalt nie 
wieder sieht; auch soll es vorkommen, dass unvorsichtige 
Franken von dem Bootführer ausgeplündert und selbst ins 
Meer geworfen werden, um nie wieder zum Vorschein zu 
kommen. In der Dunkelheit traten mir alle diese Gefahren 
lebhaft vor Augen. Jedoch es erschien mir ein rettender Engel 
in der Person eines türkischen Polizeibeamten, der sich eben- 
falls in Skutari verspätet hatte: er bat um Erlaubniss, mich 
begleiten zu dürfen, was von mir freudig akzeptirt wurde. 
So durchschnitten wir die Salzfluth. Doch kaum waren wir vom 
Ufer abgestossen, so ging der Mond über den Bosporus auf, und 
erhellte die wundervolle Theaterdekoration. Mein redseliger 
Polizist wollte durchaus Konversation mit mir anknüpfen, er 
verstand aber nur Türkisch, so dass wir uns schliesslich mit 
Pantomimen aushelfen mussten, um uns zu verständigen. 

57. Kiz-Kulessi oder Leander -Thurm. 

Wir fuhren rings um den einsamen Felsen im Meere, den 
die Türken Kiz-Kulessi nennen, die Franken den Jungfrauen- 
oder Leander- Thurm. Thatsache ist, dass der athenische Feld- 
herr Chares hier seine Gattin Damalis begraben liess, die ihn 
auf seinem Feldzuge gegen die Flotte Philipp*s von Macedonien 
begleitet hatte und starb. Die Türken indessen erzählen fol- 
gende Legende: 

Eine Wahrsagerin hatte dem Sultan Mohammed voraus- 
gesagt, dass seine Tochter an dem Bisse einer giftigen Schlange 
sterben würde. Er liess daher im Meere diesen Thurm er- 
bauen und seine Tochter dort übersiedeln. Er war sicher, 
dass keine Schlange ihren Weg doi-thin finden konnte. 



149 



Meharschegid, so hiess die Tochter, wuchs heran und blühte 
so wundervoll auf, dass der Ruf ihrer Schönheit in alle Lande 
und auch bis zu den Ohren des Schachs von Persien erscholl. 
Derselbe entschloss sich, ihr seine Liebe zu erklären. Er 
liess zu diesem Zwecke ein prachtvolles, sinnreich ausgewähl- 
tes Blumenbouquet anfertigen, das der schönen Gefangenen 
Kunde bringen sollte von seiner Leidenschaft.* Unglücklicher 
Weise hatte sich in die Blumen eine Schlange eingeschlichen, 
welche die Prinzessin biss und tödtlich verwundete. Da erschien 
der Liebhaber plötzlich und sog das Gift aus der Wunde. 
Mohammed belohnte den Muth des persischen Prinzen und 
gab ihm seine Tochter zur Ehe. 

58. Rückkehr nach Pera. 

Als ich im Mondschein beim herrlichsten Himmel unter 
dem Felsen vorbei fuhr, kam mir diese Legende in den Sinn. 
Unsere Fahrt ging glücklich von statten. Wir landeten in 
Europa beim Zollhause von Galata. Mein Gefährte, der Poli- 
zeibeamte, half mir aus dem Ka'ik steigen, was bei dem Schau- 
keln des unsicheren Ka'iks nicht ohne Gefahr ist. Ich legte 
die halbe Stunde Weges vom Hafen durch Galata bis zu meinem 
Hotel im Mondschein zurück, kam dort ermüdet und ausge- 
hungert an. Meine gewöhnlichen Tischgenossen, der preussi- 
sche Konsul und ein Sekretär der Gesandtschaft, waren bereits 
beim Dessert angelangt. Ich hielt die Herren zurück mit der 
Erzählung der Erlebnisse des verflossenen Tages, und gegen 
neun Uhr begannen wir unsere gewohnten nächtlichen Wan- 
derungen durch den Jardin des fleurs, nachher durch den 
Zypressenhain des kleinen Todtenackers, über den armenischen 
Kirchhof, und betrachteten die schön vor uns ausgebreitete 
Mondscheinlandschaft, namentlich die schimmernden Wellen 
des Bosporus. 

59. Die Frinzeninseln. Prinkopo. 

Am 4. Oktober, Sonntag früh, wurde von mir eine Fahrt 
nach den Prinzen- oder Prinzessinneninseln unternommen. 
Der dafür bestimmte Dampfer war von der Galata-Brücke aus 



150 

zu erreichen. Bei dem furchtbaren Gedränge auf der Brücke 
war es schwierig, sich den Weg zum richtigen Dampfschiff zu 
bahnen. Im Nu war unser Dampfschiff überfüllt, da das 
schöne Wetter viele Menschen zu dieser Vergnügungsfahrt auf- 
gefordert hatte. Diese Inseln heissen Prinzeninseln, weil 
die Prinzen des griechisch-oströmischen Kaiserreichs dort ihre 
Sommervillen hatten; Prinzessinneninseln, weil die 
Prinzessinnen, die aus Liebe gesündigt hatten, dorthin ver- 
bannt zu werden pflegten, um ihre Schuld zu büssen, dafür 
aber diese Inseln durch fromme Stiftungen bereicherten. Die 
Türken nennen diese Inseln „die Priesterinseln" wegen der dort 
gegründeten Klöster. Unsere Fahrt ging um die Spitze des 
Serai vorbei ins Marmara-Meer, wo diese Inseln, vier grössere 
bewohnte (Proti, Antigene, Chalki und Prinkopo)^ und drei 
kleinere unbewohnte, nackte Felsenriffe, in der Nähe der 
kleinasiatischen Küste sich befinden. Diese Inseln werden 
ausschliesslich von Christen, vorzugsweise Griechen, bewohnt, 
welche dort wahrhaft im Naturgenusse schwelgen. Die Fahrt 
ging längs der asiatischen Küste bei Kadikeui entlang, dessen 
stattlichen, nach europäischer Art angelegten Quai wir vom 
Schiffe aus beschauen konnten, eben so wie das Monument, 
welches die Engländer ihren im Krimmkriege gefallenen Lands- 
leuten dort gesetzt haben. Während Skutari fast ausschliess- 
lich von Türken bewohnt wird, haben sich in Kadikeui (Chal- 
cedon) in neuerer Zeit vorzugsweise Christen, namentlich 
Griechen und Armenier, niedergelassen. 

Wir landeten nach anderthalbstündiger Fahrt in Prinkopo, 
der bedeutendsten und am meisten bewohnten Insel. Eine 
Anzahl Kaffeehäuser mit Gärten breiten sich am Strande aus. 
.Am Landungsplatze wurden wir mit Musik empfangen, die in 
einem benachbarten öffentlichen Garten konzertirte. Es ist 
diese Insel der Sommeraufenthalt reicher griechischer und 
armenischer Familien, und war namentlich die Damenwelt 
reichlich vertreten. Mit besonderer Vorliebe kultiviren Grie- 
chen und Griechinnen die Fülle ihres Haarwuchses. Eben so 
wie die Coiffure ist die Chaussure Gegenstand raffinirter Ueber- 
legung; die kleinen Füsse werden in engeBottinen eingezwängt, 
so dass die Leichdornen-Operateurs hier vollauf Beschäftigung 
finden. Die griechischen Schuhmacher sind daher berühmt, 



151 

weil sie es lernen müssen, sich den Anforderungen ihrer 
Kundschaft anzubequemen. In Prinkopo empfing man den 
Eindruck eines fashionablen Badelebens. Trotz der vorge- 
rückten Jahreszeit hatte das Meereswasser nach dem Gefühle 
noch wenigstens eine Temperatur von 18 ^ R. Die Hausbe- 
sitzer haben hier überall Badehäuser, welche sie an die Frem- 
den vermiethen, angelegt; aus einem solchen Badehause kann 
man nachher in die ofi'ene See hinausschwimmen, wie ich es 
zu meiner Erfrischung that. 

Nach dem Bade forderte mich meine siebenbürgische 
Reisebekanntschaft auf, in der Villa Giacomo zu dejeuniren. 
Ich lehnte ab. Erst die Pflicht und dann das Vergnügen! 
Meine Absicht war, die Insel zu exploriren. Ich machte mich 
zu diesem Zwecke beritten auf einem Esel und entwand mich 
den . sybaritischen Genüssen der Tafel. Zunächst durchritt 
ich das lange, an einem Berge hinansteigende Dorf, das aus 
lauter malerischen Villas mit Fernsicht auf das Meer besteht, 
wohin wohlhabende Leute sich im Alter zurückziehen, um fern 
vom Geräusche der Welt ein Stillleben zu führen. Hernach 
kam ich zu einem in einem Fichtenwalde gelegenen griechi- 
schen Kloster, wo mich ein frommer Bruder mit frisch ge- 
keltertem Moste von Weintrauben, die in eigenem Garten 
gewachsen waren, bewirthete. Dann setzte ich meine Exkur- 
sion auf dem Grat des Gebirges, bis zum höchsten Punkte mit 
meinem Esel emporklimmend, fort, während das arme Thier 
bei der Mittagshitze unter der Last seines erbarmungslosen 
Reiters keuchte. Auf dem höchsten Punkte, den ich auf 
mindestens 800' schätze, fand ich wieder ein griechisches 
Kloster. Da inzwischen mein Magen sein Recht verlangte, 
bat ich um Brot, Käse und Wein, womit die mitleidigen 
Mönche mich und meinen Eseltreiber auch freundlich versorg- 
ten. Zu meinen Füssen breitete sich dann eine Rundsicht 
aus, die geeignet war, mich in Entzücken zu versetzen. Der 
Himmel war wolkenlos, die Luft heiter, durchsichtig und lau. 
Ich konnte die Insel in ihrer ganzen Ausdehnung übersehen, 
dann umgab mich ringsherum das Marmara-Meer, die bithyni- 
sche Küste konnte ich bis in weite Ferne verfolgen. 



152 



60. Der Thnrm zu Oalata. 

Mitten in Galata steht auf einem Berge ein von den Ge- 
nuesern erbauter 140 Fuss hoher Thurm, die Christus -Bastei 
genannt. Dieser Thurm des Anastases dient als Feuerwache. 
Wir nahmen Gelegenheit, von seiner Spitze einen der schön- 
sten Sonnenuntergänge zu betrachten, und unsere Blicke bei 
dieser Beleuchtung über das zu unseren .Füssen ausgebreitete 
Stambul umherschweifen zu lassen, mit dessen einzelnen be- 
merkenswerthen Punkten wir schon längst vertraut geworden 
waren. 

In dem Momente, als die Sonne unterging, breitete der 
Thurm- und Feuerwächter seinen Teppich auf der Erde aus 
und begann seine religiösen Zeremonien, in der Richtung nach 
Mekka fünfmal die Erde mit seiner Stirn berührend, mit 
übereinander gekreuzten Annen Gebete murmelnd. 

Nachher erhob er sich freudig im Bewusstsein treu erfüll- 
ter Pflicht. Als ich hinuntersteigen wollte, gab er mir das 
Geleit, mit einer Kerze mir behutsam voranleuchtend imd 
mich auf jede ungleiche Stufe aufmerksam hinweisend. 

61. Goldenes Hörn und die süssen Wasser von Europa. 

Der Hafen von Konstantinopel, schon von den Alten das 
Goldene Hörn genannt, ist beinahe eine deutsche Meile lang 
und drei Mal überbrückt; an einigen Stellen gegen 1500 Fuss 
breit. Der Hafen zerfällt in zwei Theile, den Theil für Kauf- 
fahrteischifife und den für Kriegsschiffe ; in dem letzteren lagen 
mehrere Kriegsschiffe vor Anker; daran grenzen die Docks 
und die Schiffswerfte, in welchen die Kriegsschiffe ausgebessert 
und neu gebaut werden. Zahllose Kaiks und Böte jeder Grösse 
wimmeln im Hafen, man bemerkt dort viel Bewegung und 
Leben. Der Hafen verengt sich bei der Ejub- Moschee, an 
einer Stelle, wo vormals der Palast der griechischen Kaiser 
stand. In der Ecke des Hafens ergiessen sich in das Goldene 
Hörn zwei kleine Flüsse, welche die Erdbeschreiber des Alter- 
thums Kydaris (Alibeykeusu) und Berbyses (Kiahatsu) nann- 
ten. Die Franken bezeichnen dieselben mit der gemeinschaft- 
lichen Benennung der „süssen Gewässer von Europa". Das 



153 

Thal, in welchem sich der Kiahatsu dahinschlängelt, ist über 
alle Beschreibung schön. Es ist am Sonntag Nachmittag der 
Versammlungsort der christlichen beau monde. An dem Flusse 
Kiahatsu, einige Tausend Schritt von seiner Mündung,' steht 
ein Schloss des Sultans, Kiahathane genannt. Den Vorhof 
dieses Schlosses bildet ein freier Platz, wo sich die Pagen des 
Grossherrn in kriegerischen Spielen üben. 

Ungeheure Zypressen und Platanen verleihen dem Thale 
Kiahathane viel Anmuth. Die Türken legen grossen Werth 
auf hohe schattige Bäume. Bei dem Schlosse des Sultans be- 
finden sich weitläuftige Gartenanlagen, welche in Abwesenheit 
des Hofes dem Publikum oflEen stehen. Auch an Sonntagen 
erscheinen hier türkische Harems und gruppiren sich malerisch 
auf Teppichen, die auf dem Rasen ausgebreitet sind. 

62. Besestan- Bazar. 

Der Besestan ist eine ganze Stadt, er besteht aus vielen 
gewölbten, sich kreuzenden Gassen, eigentlich gemauerten Gän- 
gen. Die Waaren derselben Gattung werden in derselben 
Strasse feilgeboten. Es existirt ein eigener Waffen bazar, 
wo man die seltensten und kostbarsten Waffen ausgestellt 
findet, für welche freilich fabelhafte Preise gefordert werden. 
Ebenso ist ein eigener Gewürzbazar vorhanden, ganze Gassen 
von Goldarbeitern, Juwelenhändlern, Buchhändlern, Fussbe- 
kleidungsfabrikanten , Händlern mit Shawls, Teppichen, kost- 
baren Schlafröcken u. s. w. 

Die Ruhe und Gelassenheit, womit die Türken ihre Han- 
delsgeschäfte betreiben, ist klassisch; man bemerkt nie die 
Heftigkeit, womit bei uns Käufer und Verkäufer sich gegen- 
seitig ereifern, um sich zu übervortheilen. Bei dem dritten 
Worte ist ein Handel gemacht, oder man trennt sich. 

Die Gewinnsucht hält den Muselmann nicht ab, die täg- 
lichen fünf Gebete genau zu verrichten. Sobald der Muezzin 
die zum Gebet bestimmte Stunde ankündigt, eilen alle seinen 
Ruf hörenden Gläubigen nach der nächsten Moschee. Die 
Kaufleute lassen meistens ihre Gewölbe oflfen, und ziehen nur 
einen Bindfaden vor dieselben, um dadurch anzudeuten, dass 
sie bald zurückkommen werden. Dies ehrenvolle Zutrauen 



154 



wird nach Verdienst gewürdigt, die Türken halten ihre Hände 
rein vom Diebstahl. 

Ich machte mehrere Einkäufe im Bazar, kaufte z. B. 
einige türkische Bücher, eine rothe wollene Tischdecke mit 
Seidestickereien (enthaltend den Namenszug des Sultans und 
Sprüche aus dem Koran), ein Paar prachtvolle Pantoffeln aus 
blauem Sammt mit ächten Goldstickereien u. s. w. Meine 
Befürchtung, getäuscht zu werden, da der Kaufmann meine 
Unerfahrenheit und ünkenntniss in dergleichen Dingen gewiss 
wahrgenommen hat, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegen- 
theil habe ich ganz solide Waare gekauft zu ungewöhnlich 
billigen Preisen, wie man mir hier allgemein bezeugt. Nach 
abgeschlossenem Kaufe bewirthete mich der türkische Handels- 
mann mit süsser gewürzter Mehlspeise und drückte mir seine 
Befriedigung und Freundschaft aus, was mir damals um so 
mehr Verdacht einflösste, hintergangen worden zu sein. Ich 
leiste dem edlen Manne hiermit Abbitte für meinen unbegrün- 
deten Argwohn. 

Der Waffenbazar wird um 3 Uhr Nachmittags geschlossen, 
die übrigen gegen 5 Uhr Nachmittags. Es muss hier ein 
riesiger Waaren- Umsatz bewirkt werden. In der Nähe des 
Bazars sind eine Anzahl Chans, viele Kaffeehäuser und tür- 
kische Bäder. 

63. Häuser - Amenblement. 

Jenseits der Galata-Brücke schimmert im Goldglanze das 
alte Stambul, feenhaft von aussen, hölzern, schmutzig, moderig 
und muffig im Innern. Da die türkischen Häuser genau wie 
die griechischen eingerichtet sein soUen und ich mehrere 
griechische Häuser besucht habe, kann die Beschreibung eines 
griechischen Hauses seine Anwendung finden auf die türkischen 
Häuser. Den Mittelraum des Hauses nimmt ein Saal ein, den 
man „Selamlik" (Begrüssungszimmer) nennt. Die an der einen 
Seite an den Selamlik anstossenden Gemächer bewohnt der 
Eigenthümer selbst, die andere Seite ist seinem Harem, d. h. 
den Frauen und Kindern, eingeräumt. Das Ameublement ist 
einfach, der Spiegel giebt es wenige ; Gemälde- und Bildhauer- 
Arbeit,- welche menschliche Figuren darstellen, sind den Tür- 



155 

ken durch den Koran verboten. Die Wände sind nicht tape- 
ziert, an Stelle von Tapeten mit einer glänzenden Oelfarbe 
angestrichen. In den meisten Häusern sind die Wände weiss, 
die Fussböden getäfelt, die Decken blau, roth und gelb ge- 
malt. Die Stuben sind mit niedrigen breiten Sofas an den 
Wänden versehen, auf denen oft zwei bis drei Reihen Polster 
liegen, um Haupt, Schultern und Arme anzulehnen. 

In den Häusern der Leute niederen Standes ist ebenfalls 
ein oberflächlicher Anstrich vorhanden, aber dahinter und 
darunter ist Alles hohl, wurmstichig und wanzig. 

64. Die Frauen in Konstantinopel. 

Bei den Muselmännern haben die Frauen keine gesell- 
schaftliche Stellung, sie üben nicht die Herrschaft des Hauses, 
wie bei uns. Die türkischen Frauen sind zu der verächt- 
lichen Rolle von Buhlerinnen und Sklavinnen herabgewürdigt, 
nicht einmal der Besuch der Moscheen und das gemeinschaft- 
liche Gebet mit den Männern im Gotteshause wird ihnen ge- 
stattet. 

Die türkischen Frauen tragen Oberkleider, welche den 
Mänteln unserer Männer gleichen, mit mehreren über ein- 
ander fallenden, nach unten hangenden Kragen. Diese 
Oberkleider (Jermaks) sind aus feinem Tuche angefertigt, hell- 
farbig (grün, roth, gelb). Die Mohrinnen pflegen sie aus- 
schliesslich gelb zu wählen. Die hellen Farben sind von ma- 
lerischer Wirkung. Doch wird der leichte schwebende Gang, 
worin die Pariserinnen sich so auszeichnen, durch die Weite 
dieser Mäntel gehindert; da der Mantel wegen seiner Länge 
nachschleppt, sind sie gezwungen, ihn zu halten und zu heben. 
Der transparente Schleier, der ihre Stirn, das Kinn und die 
Wangen bedeckt, aus welchem nur die Augen und die Nasen- 
spitzen hervorschauen, wird Machrema genannt ^^^ ist von 
weissem feinstem Muslin. 

Die Fussbekleidung, bestehend in farbigen eng anschliessen- 
den, mit Gold- und Silberstickereien versehenen Bottines, scheint 
für die vornehmen Damen ein Gegenstand besonderer Sorgfalt 
und Eitelkeit zu sein. Die Damen der niederen Stände schlot- 
tern dagegen in gelben Pantoffeln unsicheren Ganges einher. 



156 

Die niederen Frauen sind zu harter Sklavinnenarbeit 
verdammt, wie wir sie auf den Feldern die anstrengendsten 
Arbeiten haben verrichten sehen, während die Männer ruhig 
im Dorfkaffeehause ihre Pfeife schmauchten. Dagegen sollen 
in den Harems der Grossen die theuer erkauften Tscherkessin- 
nen und Georgierinnen nach alt türkischer Manier auf Tep- 
pichen und Divans umherliegen und faulenzen; ihr Kultur- 
fortschritt soll sich beschränken auf den Uebergang vom Nar- 
gileh zur Zigarette. Ihre kostbaren Kleider, in denen sie 
während der Nacht schliefen, hangen zerknittert um ihre 
schlaffen Glieder, während die schmarotzenden Autochthonen 
des Kopfes zwischen den ungekämmten Haaren und glänzenden 
Juwelen ungehindert und unverschämt umherkriechen. Dabei 
soll der Luxus in kostbaren Geweben, Spitzen, Edelsteinen u. s.w. 
unsinnig sein. Unter dieser Haremswirthschaft der Grossen 
kann kein Familienleben und Glück gedeihen, keine staatliche 
Gemeinschaft erstarken. Alles ist mit dem Fluche der Ver- 
nichtung und des Untergangs beladen. 

65. Islam. 

Das Hauptdogma des Islam ist: „Ich glaube an Gott, 
seine Engel, sein Gesetzbuch, seine Propheten und die Vorher- 
bestimmung zum Guten und Bösen (Fatalismus)." Wegen 
seines unerschütterlichen Glaubens an ein Fatum fügt sicli der 
Muselmann in alle Lagen des Lebens mit unüberwindlichem 
Gleichmuth, der jeden Widerstand gegen drohendes Missge- 
schick aufhebt. „Gott ist gross, er gab es, er nahm es", 
spricht der Muselmann. Das heilige Buch der Türken ist der 
Koran, deutsch „zu Lesendes". Der Koran wird von den 
Muhamedanern als der Maassstab alles Rechts und aller 
Uebungen anerkannt, als dasjenige, woran man sich in der 
Forschung und im Leben zu halten habe, als die Botschaft, 
welche unmittelbar vom Himmel gesandt worden ist. 

66. Fremde nnd Einheimische in Konstantinopel. 

In Konstantinopel ist ein Zusammenfluss verschiedener 
Nationalitäten, ein wahres Simmelsammelsurium, ein Pandä- 
monium, wie nirgends sonst auf der Erde. In Konstantinopel 
kommen die Abenteurer aus drei Welttheilen zusammen: 



157 

Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener, Holländer, Schwe- 
den, Ungarn, Polen, Russen, Walachen, Serben, Bulgaren, Zigeu- 
ner, Griechen, Juden, Armenier, Tscherkessen, Perser^ Araber, 
Barbaresken, Neger aus allen Theilen Afrika's fliessen hier 
zusammen. Die occidentalischen Nationalitäten werden unter 
dem Namen „Franken" begriffen, der Türke bezeichnet sie als 
„Hutträger". Die dritte Person, der man in Konstantinopel 
begegnet, ist ein Schwarzer. Alle diese Racen treiben sich 
hier auf einem kleinen Räume in buntem Wirrwarr, herum. 
Es sind disparate gesellige Zustände. Kein Charakter ist rein 
original ausgesprochen, nichts als Uebergänge, ohne Grenzlinien, 
in beständiger Vermischung; jeder hat aus seiner bunten Um- 
gebung etwas in sich aufgenommen. 

Die Anzahl der Deutschen in Konstantinopel beläuft 
sich auf 8000, sie stehen zum Theil unter östreichischem 
Schutz, zum Theil unter preussischem. Die Deutschen unter- 
halten hier drei Schulen, eine östreichische, eine preussische 
und eine deutsche, wie sie sich ausdrücken. Die östreichische 
Schule unter dem verdienstvollen Direktor Dethier haben wir 
aus eigenem Augenschein näher kennen lernen. Die Deutschen 
haben einen- besonderen Verein: „Die Teutonia", welcher sein 
Gebäude in der Hauptstrasse von Pera gemiethet hat, mit 
einem Garten, der eine wundervolle Aussicht auf den Bosporus 
bietet, wofür sie 2000 Thaler Miethe bezahlen. In dem Lokal 
der Teutonia befindet sich ein Lesezimmer mit den gelesensten 
deutschen Zeitschriften, eine Kegelbahn u. s. w., es wird dort 
Wiener Bier vom Fass gezapft. In Konstantinopel bedeutet 
„deutsch" soviel als „ehrlich" und „tugendreich". Die Deutschen 
in Konstantinopel sind bekannt wegen ihrer Biederkeit, Emsig- 
keit, Ausdauer und Geduld. Sie gehören vorzugsweise dem 
Handwerksstande an. Alle Kunsttischler, Drechsler, Schlosser, 
Tapezierer u. s. w. sind Deutsche; die Schlösser des Sultans 
werden fast ausschliesslich von deutschen Handwerkern herge- 
richtet und ausgeschmückt. Der Unterschied der Jovialität 
und Munterkeit des Süddeutschen und der ernsteren Stimmung 
und besonneneren Haltung des Norddeutschen hat sich auoh 
in so weiter Ferne noch nicht verloren. Die Tugend der 
deutschen Mädchen ist über allen Zweifel erhaben; die Sän- 
gerinnen, Violinspielerinnen und Harfenistinnen aus Deutsch- 



158 

Böhmen verheirathen sich vortheilhaft an Gewerbtreibende, 
Kauf leute, Aerzte u. s. w. Ein in Konstantinopel in Funktion 
befindlicher Diplomat sagte mir wörtlich: ^Die böhmischen 
Musikmädchen tragen viel dazu bei, Konstantinopel zu ger- 
manisiren." 

Schildern wir kurz einige Nationalitäten, die in Konstan- 
tinopel verbreitet sind: 

Der Grieche zeichnet sich aus durch die Regelmässig- 
keit seiner feinen Gesichtszüge und seine grosse Beweglich- 
keit; Schlauheit und Verschmitztheit sehen ihm aus den Augen; 
er übervortheilt im Handel jeden, der mit ihm Geschäfte ab- 
schliesst. Die Griechinnen sind sehr gefallsüchtig, wählerisch 
in coiffure und chaussure, „Elles posent merveilleusement." 

Der Armenier hat scharf geschnittene Züge, eine her- 
vorspringende Adlernase. Die Armenier sind die Intendanten 
der Paschas und die Pächter der Staats-Steuern und Einkünfte; 
sie bilden „la haute finance." Im Handwerkerstande sind sie 
Gold- oder Silberschmiede. 

Die eigentlichen Türken haben meistens eine untersetzte 
Gestalt, sie inkliniren zur Fettleibigkeit; ihre Gesichtszüge 
sind schlaff und molluskenartig; Apathie und Indolenz sind 
in ihren Zügen ausgeprägt, die Nase ist stumpf, die Backen- 
knochen stehen hervor, die Augen sind geschlitzt; sie verrathen 
die tartarische Abkunft und ihre Verwandtschaft mit dem 
mongolischen Typus. Gutmüthigkeit, Barmherzigkeit, Wohl- 
thätigkeitssinn und Ehrlichkeit sind bei ihnen angebome Tu- 
genden. Die Türken von besserer Erziehung zeichnen sich 
aus durch ihre Leichtigkeit und Gefälligkeit im Umgang, ihre 
feinen insinuirenden Manieren, ihre Gewandtheit in Damen- 
gesellschaft, so dass sie alle Europäer in geselliger Beziehung 
in den Schatten stellen und sicherlich die allgemeine Gunst 
und Beliebtheit sich ihnen zuwendet. So sind die türkischen 
Diplomaten im Auslande stets die bevorzugten Lieblinge, „les 
lions de la haute societe." 

Die kräftigsten und markigsten Figuren findet man unter 
den Arabern, welche meist als Kaikdschi (Nachenführer) 
und Hamals (Lastträger) dienen. Sie entwickeln eine Kör- 
perkraft und Ausdauer, dabei eine Geschicklichkeit für ihren 
Beruf, die zur Bewunderung auffordert. 



159 

Ihnen zunächst stehen die Perser von schlanken, wohl- 
geformten Körperverhältnissen und dunkler Hautfarbe, erkennt- 
lich an den hohen, spitz zulaufenden Mützen von schwarzem 
oder grauem Schafpelz und dem weiten flatternden Kaftan. 

Erwähnen wir hier noch jene dunkelbraunen Pferde- 
burschen, die stundenlang neben den Steigbügeln ihrer tra- 
benden Herren wie Windhunde herlaufen; sie gehören dem 
Stamme der Lazem- am Schwarzen Meere an, welcher auch 
die Feldarbeiter, Gärtner, Holzhauer und Tagelöhner aller 
Art für das schöne Land Thrazien liefert. 

Ferner die Hamals, jene vierschrötigen Lastti^äger, die 
wie begraben unter den Lasten auf ihren Rücken einhereilen, 
sind Türken von den Ufern des Schwarzen Meeres und noch 
Ueberbleibsel der alten furchtbaren Sekte von Anhängern 
Mohameds, vor denen einst drei Welttheile zitterten. Der 
Hamal trägt ganze Fuder von Steinen, Waarenballen, Bauholz 
oder Möbeln auf seinem massiven Rücken die steilen steinigen 
Wege entlang, wie es ihm kein Pferd mit einem beladenen 
Wagen nachmachen würde. 

67. Schlnssbetrachtung über EonstantinopeL 

Gläubige Türken in Konstantinopel lassen sich auf dem 
grossen Kirchhofe gegenüber in Kleinasien begraben, um in 
heimischer, geweihter Erde zu ruhen. In Europa fühlten 
sie sich nie zu Hause. Ihre europäischen Besitzungen haben 
sie stets als ein zeitweilig bezogenes Feldlager betrachtet. 
Sie fühlen längst, dass sie von europäischer Kultur besiegt 
und bezwungen sind. 

In Konstantinopel sind drei Zivilisationen übereinander 
gelagert: 1) Die griechisch -oströmische, welche noch heute 
die wahre reale Grundlage der Lebensanschauung in Konstan- 
tinopel bildet; 2) die türkische, welche nur oberflächlich die 
ursprüngliche griechisch -oströmische Zivilisation überwuchert 
hat. Die Türken haben als Fremde und Eroberer lange genug 
in diesen paradiesischen Regionen gefaulenzt und geschwelgt. 
Die weiche Luft Konstantinopels und der Fatalismus ihres 
Korans haben sie noch mehr entnervt. Auf ihren Beinen 
kauernd, Mokka trinkend und Tabak rauchend, sehen sie mit 



160 



schwermüthiger Gleichgültigkeit zu, wie sie allmählig über- 
wältigt werden. 3) Seit dem Tage, wo Redschid Pascha vor 
dreissig Jahren die grosse Reformproklamation vom Altan 
des Rosenhauses im Sera'i der lauschenden Menge vorlas, ge- 
wannen europäische Kultur und Christenthum nicht nur Dul- 
dung,, sondern auch Bürgerrecht und manches Privilegium im 
türkischen Reiche. 

Merkwürdig genug ist eine Sache, die ich nicht geahnt 
hatte, es ist das Deutschthum, das sichtbarlich hier alle an- 
deren Nationalitäten überholt hat; alles redliche Gewerbe in 
Konstantinopel ist in deutschen Händen; die Italiener haben 
hierher nur ihre Betrügereien und Spitzbübereien, die Franzosen 
ihre frivole ünsittlichkeit verpflanzt; ja selbst bei den Türken 
ist die volle Sympathie nur für die Deutschen. In Pera sind 
die deutschen Bierkneipen (Karl Keilhau in der grossen Strasse) 
u. s. w., die deutschen Vereine (die Teutonia) obenan. Die 
Haremsdamen kommen heimlich hierher, um den deutschen 
Liederweisen zu lauschen, die aus den Kaffeehäusern und aus 
den Sälen und dem Garten der Teutonia im kräftigen melo- 
dischen Männergesang hervortönen. 



-♦— 



Anhänge. 



Notizen über das Bahnnetz in Rumänien, 

amtlich festgestellt am 10. Dezember 1869. 

A. Die Vr. Strousberg'sche CeneesdoD unfasst folgende Linien i 

a. im Bau begriffen: 

1) Galatz - Tecuciu - Adjut - Bakau - Roman . 244,5 Kilom. *) 

2) Galatz - Bra'ila - Buseo - Mezil - Plojesti - 
Bukarest 271,5 v 

3) Tecuciu - Berlad „ „ 49,o „ 

4) Bukarest -Pitesti „ „ 107,o „ 

b. demnächst in Angriff zu nehmen: 

Pitesti -Slatina-Crajova-Tum-Severin . . 224,o r 

c. es werden Vorarbeiten gemacht für: 
Buseo - Rybnic - Focsani - Maracesti . . . 90,o „ 

Ausser diesen concessionirten Linien sind Vorar- 
beiten gemacht worden für: 
Tecuciu - Belgrad - Kilia - Jibriani .... 
resp. Galatz -Kheny-Bolgrad -Kilia- Jibriani 

Tecuciu - Furgeni (Lagerbahn) 

Es sollen noch femer bearbeitet werden 
die Anschlüsse: 
von Adjut über Okna an das ungarische 

Bahnnetz, 
von Buzeo nach Kronstadt, 
von Tum-Severin an das ungarische Bahnnetz. 
Ueber letztere drei Linien schweben noch die Verhandlungen. 



180,0 Kilom. 
164,0 „ 



8 



)0 



7V2 Küometer = 1 geogr. Meile 



11 



162 



B. Bie Staatsbahn Bukarest - diwgewo, von Eng- 
ländern gebauet (fertig) 67,o Kilom. 

C. Offenhein'sche Bahn , Boman - Suczawa bis 

zum Anschluss an die Lemberg - Czer- 
nowitzer Bahn mit einer vor Boman ab- 
gehenden Zweigbahn nach Jassy (fertig) 220,© „ 

Galatz -Boman und Galatz - Bukarest, begonnen im Juli 
1868 in den Vorarbeiten, mit den Erd- Arbeiten bei Galatz, 
im November bei Bacau, ist heute mit Ausnahme schwieri- 
ger Einschnitte an den Höhen von Galatz, am Sereth bei 
Cosmesti, 1 ,Meile hinter Tecuciu, und an der Bistritz bei 
Bacau in den Erdarbeiten fast vollendet. Es sind bereits viele 
Meilen Schwellen und Schienen gelegt |und werden bei Bukarest, 
Braüa und Galatz bereits mit der Locomotive Arbeitszüge ge- 
fahren. Die Strecken in der Walachei sind als Flachland, die 
der Moldau aber mindestens als Hügelland zu bezeichnen. Es 
kommen daher auch in der Moldau Steigungen von 1:100 
vor, in der Walachei nur einmal und zwar vor Plojesti. 

Die Durchlässe und grossen Brücken sind trotz ihrer 
grossen Zahl, trotz stellenweise schwieriger Fundirung, trotz- 
dem dass das Material oft weit hergeholt werden musste, bis 
auf wenige Pfeiler schon vollendet. Der Ueberbau der grossen 
Brücken ist in Schmiedeeisen meistens als Parabelträger, ab- 
gestumpfte Parabelträger und als Fachwerksträger konstruirt. 
Die vorkommenden lichten Spannenweiten sind 40', 60', 72', 
120', 150'. Die bedeutendsten dieser Brücken sind: die beiden 
Sereth - Brücken bei Barbosi, 1 Meile von Galatz, und bei 
Cosmesti, 1 Meile von Tecuciu, die Trotus-Brücke bei Adjut, 
die Bistritz-Brücke bei Bacau, die Moldova-Brücke bei Eoman, 
die Telegea- und Crikow-, Prahova- und Jalomitza- Brücke, 
resp. diesseits und jenseits Plojesti. Die Sereth -Brücke bei 
Cosmesti hat neun Oeffnungen ä 120'. Bistritz-Brücke 5 ä 
120'. Moldarva 8 ä 72'. Trotus 1 ä 60', 2 ä 120', 4 ä 150'. 
Telegea 1 ä 150', 8 ä 72'. Crikow 2 ä 120'. Prahova 2 ä 
120', 1 ä 150'. Jalomitza 2 ä 150'; 

Die sämmtlichen Schienen und Betriebsmittel, Locomotiven, 
Tender (Fabrik Strousberg, Hannover), Drehscheiben, Weichen, 
Wagen sind bereits hier. Letztere werden zum Theil in Galatz 



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und in Braila montirt. Auch Schwellen sind in grosser Quan- 
tität von Deutschland über Hamburg hergebracht. Femer 
eiserne Dächer, hölzerne und eiserne Fenster, hölzerne Thüren, 
eiserne Wasserreservoirs sind bereits hier, und ist man fleissig 
mit Montiren und Aufstellen u. s. w. beschäftigt. 

Die Bahnhofsbauten sind zur Hälfte mindestens auf bei- 
den Strecken bei A, a, 1 und 2 im Rohbau fertig. Die Lie- 
ferung sämmtlicher Möbel hat die Firma Kronthal in 
Posen übernommen. 

Zum 1. Juni 1870 steht die Eröffnung dieser 68 Meilen 
langen Strecken A, a, 1 und 2 in einem Steppenlande in 
Aussicht. 

Tecuciu-Berlad wurde im Mai begonnen und wird im 
künftigen Herbst zur Eröffnung kommen, ebenso die erst im 
Monat November 1869 in Angriff genommene Strecke Bukarest- 
Pitesti. 



Notiz über Galatz 

vom dortigen preussiachen Konsul Herrn Blücher. 

Galatz ist von Pest an gerechnet bis Sulina die grösste 
und wichtigste Stadt an der Donau. Wenn auch aus dem 
Hafen von Braila ungefähr ^^g Getreide mehr als aus Galatz 
exportirt zu werden pflegt, so ist Galatz dennoch als Handels- 
platz bedeutender, weil sich in Galatz der Geldmarkt, die Basis 
aller Umsätze im Ex- und Import, befindet. Die Galatzer 
Börse verkehrt mit allen Börsenplätzen Europas. Es existirt 
sogar ein besonderer Galatzer Geldkours, der für den Napoleon 
773/4 Galatzer Piaster (ä 40 Para = 2 Silbergroschen preuss.) 
und den östreichischen Dukaten ä 46 Galatzer Piaster aus- 
wirft. Galatz hat sich in den letzten zwanziger Jahren an 
Grösse und Einwohnerzahl verdoppelt. 1850 zählte es 40,000 
Einwohner und nur wenige ansehnliche Wohnhäuser, jetzt hat 
es schon ganze Strassen nach europäischer Art gebauter Häuser 
und circa 90,000 Einwohnpr. Brafla zählt 40,000 Einwohner 
und hat sich in den letzten zehn Jahren kaum merklich ver- 
grössert 

11* 



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Nach allen Richtungen, sowohl nach dem Orient als 
Occident, bestehen von Galatz aus Telegraphen- Verbindungen 
und an dem Bau von Eisenbahnen, die alle irgendwie wichtigen 
Städte des Landes unter einander verbinden werden und 
hauptsächlich auch auf den Getreidetransport nach den Hafen- 
städten berechnet sind, wird von Seiten des Consortiums 
Dr. Strousberg mit kolossalen Kräften und Mitteln eifrig ge- 
arbeitet. 

Die endliche Inangriffnahme der Eisenbahnen in Rumänien 
ist lediglich dem Fürsten Karl zuzuschreiben und ihm allein 
zu verdanken. 

Sollte das Projekt der rumänischen Regierung, bei der neu 
angelegten Stadt Karlstadt am Ausflusse des Kilia-Arms ins 
Schwarze Meer einen für Seeschiffe geeigneten guten Hafen her- 
zustellen und denselben in Verbindung mit dem grossen europäi- 
schen Eisenbahnnetz zu setzen, ins Leben treten , so könnte da- 
durch wohl die Thatsache hervorgerufen werden, dass dann diese 
Hafenstadt (Karlstadt) zwar zum örtlichen Nachtheile von Galatz, 
wohl aber zum grossen V ortheile für ganz Rumänien, bedeutend 
in den Vordergrund träte. Dass es aber der rumänischen Re- 
gierung vollkommen 'Ernst ist mit diesem Projekte, beweist 
wohl der Umstand zur Genüge, dass bereis die Vorarbeiten, 
Anschläge u. s. w. zu einer Eisenbahn von Galatz nach Karl- 
stadt bewirkt worden sind. Am meisten möchte dabei die 
neue Hafenstadt Sulina beeinträchtigt werden. 



* ♦ * 



Skizzen und Bilder 

aus den Ländern an der unteren Donau. 

(Aus der Posener Zeitung wieder abgedruckt, Jahrgang 1870, Nr. 4.) 



tlerr Geheimer und Ober-Regierungsrath Bitter hat vier Jahre an 
der unteren Donau in hoher amtlicher Preussischer Stellung gelebt und 
die Gelegenheit benutzt, sich mit den dortigen Verhältnissen gründlich 
bekannt zu machen. Einen Theil seiner Beobachtungen hat derselbe in 
einem Vortrage wiedergegeben, welchen er am 4. d. M. in der Aula des 
königlichen Friedrich- Wilhelm-Gymnasiums zum Besten des Diakonissen- 
Vereins hielt. Berichterstatter, aus eigener Anschauung mit den Ländern 
an der unteren Donau bekannt, ist mit gespanntester Theilnahme dem 
interessanten Vortrage gefolgt und liefert hiermit einen kurzen Auszug 
aus demselben. 

Wir wollen uns bemühen, die Gliederung des Vortrages unseren 
Lesern zu veranschaulichen. Der erste Theil enthielt eine Schilderung 
der Reise von Pest nach Sulina, wo die kanalisirte Sulina in das Schwarze 
Meer mündet. Redner gab eine Schilderung der Reisegesellschaft, welche 
man auf den sonst so komfortablen Eilbooten der D. Dampfschifffahrts- 
gesellschaft antrifft. Der geringste Theil davon gehört der gebildeten 
Welt an. Die Mehrzahl besteht aus jenen unverschämten Burschen, 
welche dem Kaufmannsstande der Städte Bukarest, Jassy, Galatz, Odessa 
und Konstantinopel angehören, zum überwiegenden Theile Europa als 
Betrüger oder Bankerotteurs verlassen haben und in ihrer neuen Heimath 
das Geschäft mit Glück fortsetzen. Ausserdem begegnet man einigen 
wüsten Bojaren, die sich „Mon Prince** oder „Votre Excellence" anreden 
lassen; selten fehlt eine italienische, an europäischen Bühnen nicht mehr 
zulässige Opemgesellschaft, ein Iiäpressario mit einigen Sängerinnen, die 
für seine Töchter oder Nichten gelten. 

Die gelben Gesichter mit ihren glühenden Augen und schwarzen 
Barten, der Dampf der Zigaretten, welche auch bei den Damen selten 
ausgehen, verbinden sich mit einer Sündfluth von Sprachen, von denen 
imgarisch, griechisch, deutsch, italienisch, französisch, englisch, russisch, 



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slawisch, walachisch und wienerisch die gebräuchlichstepi sind. Wie frei 
fühlt man sich, wenn maai, aus dem wüsten Gewirr des Salons heraus- 
tretend, von dem Verdeck des Schiffes aus den weiten Horizont über- 
blicken kann, der sich oft bis in unübersehbare Ferne ausbreitet; wenn 
man den mächtigen Strom unter sich rauschen hört und die Ufer mit 
ihrer Geschichte zu sich reden lässt. Mit dem Gefühl ehrerbietiger, fast 
andächtiger Bewunderung sieht man zwischen Moldova und Drenkova, 
so wie bei Tum-Severin aus dem schattigen Grün der Ufer die grauen 
Thürme hervorragen, welche, der glänzendsten Zeit des römischen Kai- 
serreichs entstammend, einst den von Trag an und Hadrian erbauten Brücken 
zum Schutze dienten. 

Redner gab darauf eine Schilderung der Passage, welche man „das 
eiserne Thor* nennt. Nichts gleicht der wildromantischen Schönheit 
dieser Stelle des Donauthals. Diese grauen zerklüfteten, hoch in die 
Luft ragenden Felsen zeigen noch heute in ihren mit dem Grün einer 
reichen Vegetation bekränzten malerischen Formen die von keiner Kultur, 
von keiner menschlichen Nähe veränderte ürgestalt. Die Oede und Ein- 
samkeit dieser Gegenden, in denen Bären und Wölfe hausen, während 
hoch in der Luft riesige Adler ihre Kreise ziehen, ist nur durch den 
majestätischen Strom belebt. 

Hierauf folgte die Schilderung der drei Donau-Katarakten und der 
Fahrt über dieselben bis Tum-Severin und die Donau abwärts bis Braila, 
wo das -Auge durch einen Wald von Masten angenehm überrascht wird. 
Daran schloss sich eine Beschreibung der ertlichkeiten und des gross- 
artigen Handelsverkehrs von Braila und Galatz, wo ein jährlicher Umsatz 
von mehr als hundert Millionen preussischer Thaler stattfindet. 

Im zweiten Theil gab Redner eine Schilderung der Oertlichkeit von 
und um Galatz, so wie die der dort herrschenden Entsittlichung. In den 
Strassen von Galatz wühlt im dichtesten Gemisch eine bunte Bevölkerung 
von Griechen, Türken, Bulgaren, Europäern, Moldauern, Trödlern und 
Zigeunern hin und her. Die Karossen mit ihren kleinen Kosakenpferdchen 
jagen wild durch das Gewühl ; lange karawanenartige Züge von mit Ochsen 
bespannten Wagen führen Getreide vom Lande in die Stadt und an den 
Hafen, und die unvermeidlichen Schweine und Hunde wandern mit mageren 
Kühen und finsterblickenden Büffeloehsen im Bunde einher, um sich 
aus den zahllosen Schmutz- und Kehrichthaufen ihre Nahrung zu suchen. 
Ueber diesem Wirrwarr schwebt ein feiner Staub, der von jedem Wagen 
zu dicken Wolken aufgejagt wird. Alles bedeckt und durchdringt, Men- 
schen, Vieh, Gebäude, Gras, Blätter, Schweine, Hunde, Büffelochsen und 
Zigeuner. 

Die Schilderung eines Spazierganges ins Freie übergehen wir. 
Redner sprach sodann über die ethische Seite der dortigen gesellschaüt- 



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liehen Zustände, die einen tiefen sittlichen Abgrund büden und den Ver- 
fall dessen, was für uns heilig und verehrungswürdig ist. Er führte an, 
wie der Klerus der griechischen Kirche für Geld jede Ehe löst und zu- 
sammenfügt; daher es selbst in der besseren Gesellschaft Frauen giebt, 
welche den vierten Mann, Männer, welche die fünfte oder sechste Frau 
haben und mit früheren Gatten und Gattinnen ganz gemütblich verkehren. 
Man denke sich aus allen diesen verschiedenen Ehen Kinder, welche in 
der Regel zwischen den Eltern bei der Scheidung nach dem Geschlechte 
getheilt werden, und man kann sich einen Begriff von der ungeheuren 
Verwirrung der Verhältnisse machen, welche in solchen Familien herrscht, 
so wie «von den Prozessen und Streitigkeiten , in welche die Kinder aus 
allen diesen verschiedenen Ehen nach dem Tode der Eltern verwickelt 
werden.' 

Im dritten Theile seines Vortrages gab der Redner die Schilderung: 

1) einer Trauung in den höheren Ständen, 2) eines Begräb- 
nisses, 3) der Wasserweihe am heiligen Drei -Königs- Tage , 4) der 
Hafenstadt Sulina, 5) eines Ausfluges in das Innere des Donau-Delta nach 
dem Dorfe Kara-Orman. 

1) Ein Oberst und Kommandeur eines dortigen Infanterie-Regiments 
hatte mich zu seiner Hochzeit mit der Tochter eines reichen Bojaren 
eingeladen. Die Trauung fand nach dem griechischen Ritus statt. In 
der Mitte des ungeschmückten Zimmers, wo die Trauung vor sich gehen 
sollte, stand ein runder Tisch ohne Decke. Vier Kerzen auf gewöhn- 
lichen Leuchtern und ein Kruzifix, ein kleiner Kelch mit dem Wein, ein 
grosses und zwei kleine Messbücher bildete die kirchliche Ausschmückung. 

Die Braut trug eine Robe von weisser Seide, welche aus Paris direkt 
verschrieben war. Auf Geschmack und Eleganz kommt es dort bei der 
Damentoilette viel weniger an, als darauf, dass der Preis exorbitant ist, 
um damit andere weniger reich situirte Frauen bei Gelegenheit niederzu- 
schmettern. Die Braut trug auf dem Kopfe einen Kranz von Orange- 
blüthen und statt des Schleiers einen langen Schweif von Goldfäden, der 
bis auf den Gürtel herabfiel. Zwei ältere weibliche Verwandte lösten 
aus diesem Goldschweif so viel kleine Büschel von Goldfäden, als unver- 
heirathete Personen beiderlei Geschlechts anwesend waren; diese Gold- 
fäden wurden den unverheiratheten Personen mit einigen Redensarten an 
der Brust befestigt. Dann erschien der Erzpriester mit vier Popen in 
prachtvollen, von Gold strotzenden £[irchengewändem. Das Brautpaar 
trat vor den Tisch, nachdem die Kerzen angezündet waren. Vater und 
Mutter der Braut standen neben ihr im Nationalkosttlm. Jede dieser 
beiden grotesken Erscheinungen erhielt aus den Händen des Erzpriesters 
eine angezündete, vergoldete, mit Blumen und Bändern verzierte Kerze, 
wofür sie mit vielen Verbeugungen dankten. Dann nahm der Erzpriester 



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ein Eauchfass, womit er den Tisch, Braut, Bräutigam, Vater, Mutter und 
die nahe stehenden Personen beräucherte, indem er einen furchtbaren 
Qualm verbreitete. Der Erzpriester nahm die beiden Trauringe, bekreuzte 
und segnete sie ein. Dann berührte er dem Bräutigam mit dem geweih- 
ten Ringe dreimal die Brust, ebenso verfuhr er mit der Braut; unter 
fortwährendem Kreuzschlagen und Händeküssen erhielten endlich beide 
die Ringe, die leider nicht passen wollten und durch andere ungeweihte 
ersetzt werden mussten. Dann setzte der Erzpriester eine der grossen 
Blumenkronen aus gemachten Blumen dem Bräutigam auf das Haupt, 
dessen kriegerisches Aeussere in der glänzenden Staatsuniform durch die 
mähnenartig herabfallenden breiten rothen Bänder in eigenthümlicher 
Weise modifizirt wurde. Eine ähnliche Krone wurde der Braut auf dem 
Haupte befestigt. Es erhielt darauf der Oberst unter vielen Zeremonien 
den Bokal, darauf die Braut, dann der Vater und die Mutter, worauf das 
Brautpaar zum Kuss an das mit der geweihten Hostie versehene Kruzifix 
zugelassen wurde, bei welcher Veranlassung alle fünf Priester mit lauter 
näselnder Stimme eine Art Lobgesang anstimmten. Dann ergriff ein 
Priester eine brennende Kerze vom Tisch und führte einen Rundtanz 
um den Tisch aus, dem sich die ganze Gesellschaft, das Brautpaar und 
die Eltern voran, anschloss. Später wurden auf die Zuschauer ganze 
Ströme von Zuckerwerk ausgeschüttet, die wie Hagel einschlugen und zum 
Theil empfindlich trafen. Am Schlüsse wurde die Gesellschaft gehörig 
beräuchert und exorcisirt. Zuletzt folgten die unvermeidlichen Beglück- 
wünschungsverbeugungen und Händedrücke. 

2) Die Bestattung der Todten geschieht wegen der dortigen klimati- 
schen Verhältnisse sehr eilig. Um so freigiebiger ist man mit der Schau- 
stellung 'des Schmerzes und den Formen der Trauerzeremonien. Die 
Militärmusik in Paradeuniform eröffnet den Zug und spielt einen Trauer- 
marsch. Dann folgt eine Anzahl Männer, welche in breiten Körben 
Kuchen, Früchte und Wein als Speise und* Trank für den Verstorbenen 
auf ihren Köpfen tragen. Ihnen folgen zerlumpte Knaben mit den Pro- 
zessionskreuzen und bunten Fahnen. Hinter ihnen trägt ein Mann auf 
dem Kopfe den Sargdeckel. Dann folgt eine Unzahl Priester, die im 
Sterbehause, wo ein Trauergottesdienst abgehalten worden ist, reichlich 
bewirthet worden sind, so dass ihr Gang nicht immer korrekt und sicher 
ist. Sie tragen prachtvoll gestickte Kirchenornate über ihren unsauberen 
Kleidern und singen im Gehen einen Todtengesang. Dann folgt der 
Leichenwageu, der roth dekorirt, reich mit goldenen Tressen und Frsni- 
zen besetzt ist, so dass man ihn leicht für den nachgelassenen Triumph- 
wagen eines asiatischen Dynasten halten könnte. An seinen vier Ecken 
erheben sich vergoldete Säulen, welche einen rothen, von goldenem Be- 
sätze strahlenden Baldachin tragen. Unter diesem befindet sich der offene 



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Sarg, die darin ruhende Leiche ist mit einer reich in Gold gestickten 
Decke aus schwerem Stoffe bedeckt. An die vier Säulen des Wagens 
lehnen sich vier karyatidenartig aussehende schwarzgekleidete Männer, 
welche weisse Tücher schwenken. Dasselbe thun die übrigen folgenden 
Leidtragenden, deren jeder eine vergoldete brennende Kerze trägt. Dann 
folgen die gemietheten Klageweiber, oft in ungeheurer Zahl. An den 
Hauptstrassen-Ecken, welche der Zug passirt, wird eine Todtenmesse ze- 
lebrirt, wobei die Klageweiber mit ihrem Geheul die Luft erfüllen. Auf 
dem Kirchhofe werden die Lebensmittel für den Todten in Beschlag ge- 
nommen. Noch nach Jahren werden den Verstorbenen Speise- und 
Trankopfer gebracht, zu deren Aufnahme auf den Gräbern verschliessbare, 
vergitterte Kästen angebracht sind. 

3) Das Fest der Wasserweihe findet an dem Dreikönigstage statt. 
In der Regel ist dann die Donau (nach unserem Kalender am 18. Januar) 
fest zugefroren, so jedoch, dass überall auf diesem Strome grosse weite 
Oeffhungen vom Eise frei geblieben sind und das strömende Wasser zei- 
gen. Zur Feier dieses Tages wird am Hafenquai eine Tribüne aus Eis- 
stücken auf«^ebaut und mit Teppichen belegt. Ein Hauptaltar, zwei 
Nebenaltäre, Heiligenbilder, Allerheiligstes und Alles, was der Ritus der 
griechischen Kirche erfordert, wird aus Eisstücken hergestellt. Am Tage 
des Festes rückt die ganze Garnison in Parade aus, so wie sämmtliche 
Würdenträger, z. B. die fremden Konsuln, die Bojaren, kurz Alles, was 
Rang und Namen besitzt. Sie stellen sich um den Altar in weitem Kreise. 
Um 10 Uhr Vormittags erscheint die gesammte Priesterschaft, der Erz- 
priester an der Spitze. Er trägt das Kreuz mit der geweihten Hostie 
und ein zweites kleines goldenes Kreuz. Eine Messe mit Te Deum wird 
gefeiert, bei deren Schluss, wenn das Allerheiligste gezeigt wird, die 
Truppen präsentiren, die Musik einfällt, drei Salven abgefeuert werden, 
die Kanonen donnern. Alle Anwesenden entblössen das Haupt, das dicht- 
gedrängte Volk kniet nieder auf der mit Schnee bedeckten Erde. Das 
kleinere goldene Kreuz wird eingesegnet und vom Erzpriester einem 
Popen übergeben. Derselbe besteigt einen Kahn und fährt damit auf 
einer offenen Stelle in die Donau. Es folgen ihm sofort andere Kähne, 
welche von Männern mit wilden, von fanatischer Leidenschaft entflammten 
Gesichtern überfüllt sind, die in ehrerbietiger Scheu den Augenblick 
ängstlich erwarten, wo der Pope das Kreuz hoch in der Sonne funkeln 
lässt, es küs«t und in den Strom schleudert. In diesem Augenblick erbebt 
das Wasser unter der Menge wilder Gestalten, die sich Kopf über hin- 
einstürzen und nach dem Kreuze suchen. Ein wildes Geschrei dringt an 
das Ufer. Plötzlich taucht eine triumphirende Hand aus der Tiefe auf, 
das Kreuz krampfhaft in die Höhe hebend, dann erscheint ein von lan- 
gem, schwarzem Haar umflossenes Haupt mit verzerrten Zügen. Demje- 



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nigen, welcher dieses Kreuz erwischt, sind alle Sünden vergehen. £s 
stürzen daher die ihn umgehenden Schwärmer auf den glücklichen Taucher 
los, um ihm, so lange er noch im Wasser ist, das Kreuz zu entreissen. 
Seine Freunde vom Ufer kommen ihm zu Hülfe. Es beginnt ein ver- 
zweifelter Kampf. Der Sieger wird aus dem Kahne gehoben, er stürzt 
mit Anspannung seiner letzten Kräfte, das Kreuz hoch erbebend, an den 
Altar, und bricht dort unter dem Segen der Priester ohnmächtig zusam- 
men. Alle seine Sünden sind ihm vergeben. Mit Ehrerbietung blickt 
man auf ihn, als einen von Gott so sichtlich Begnadigten. Die Truppen 
präsentiren. Die Priester verlassen die Eistribüne, das Volk verläuft 
sich in Schänken. 

4) Im Hafen von Sulina herrscht ein reges Treiben. Die Flaggen 
von England, Spanien, Frankreich, Amerika, Italien, Oestreich, der Türkei, 
von Russland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Norddeutschland wehen 
im bunten Gemisch mit denen von Serbien und Rumänien. Der mecklen- 
burgische Ochsenkopf begrüsst dort freundlich den siebengestimten rothen 
Ochsenkopf der Moldau. Dabei herrscht ein ungeheurer Lärm. Alles, 
was gethan wird, geschieht mit äusserster Anspannung der Lungen. Das 
Terrain um Sulina besteht aus feinem Sande, den die Winde hier zu- 
sammengeweht haben. Von landwirthschaftlicher oder Garten-Kultur ge- 
wahrt man keine Spur. 

Die von den Schiffern in hohem Grade gefürchtete Bevölkerung be- 
steht fast ausschliesslich aus Männern, sie enthält den Abschaum und 
Auswurf des europäischen Orients, mit sonnverbrannten wilden Gesichtern 
mit und ohne Turban, glühenden Augen und entschlossenen Zügen. Die 
Kaffee-, Wein- und Branntwein-Buden, aus welchen die Mehrzahl der 
Hütten besteht, sind stets überfüllt. Ein wildes, wüstes Geschrei tönt 
daraus hervor. Zwischen ihnen auf offener Strasse 'sind Roulette-Tische 
aufgestellt. Um sie versammelt sich, was der raffinirteste Betrug und 
die auf das äusserste angespannte, im Orient schon an sich so lebhaft 
hervortretende, Leidenschaft zu zeigen vermag. Mord und Beraubung 
sind an der Tagesordnung. Als das Donau -Delta in Folge des Krimm- 
Krieges der Türkei zugesprochen wurde, erliess der neue Kaimakan eine 
Verordnung, worin es hiess: „Es ist verboten, am Tage in den Strassen 
von Sulina zu morden.^ 

Der Kirchhof liegt hart am Meeresstrande. Sein Boden besteht 
aus losem Triebsande, der von den Winden hin- und hergepeitscht wird. 
Wenn diese Winde in der Stärke von Nordostwinden auftreten, so wühlen 
sie die lose Erdbedeckung von den Gräbern auf und treiben sie fort. Es 
kommen dann die halbverwesten Leichen (der Luxus der Särge kommt 
hier selten zur Anwendung) an das Tageslicht. Der Geruch der Leichen 
zieht die Hunde von Sulina heran, welche heulend und winselnd um den 



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traurigen Ort herumschleichen, bis die Dunkelheit der Nacht ihnen ge- 
stattet, ungestraft und nnverfolgt ihre widrige Mahlzeit zu beginnen. Es 
ist ein schauerlicher Anblick, wenn man an solchen Tagen über die Stätte 
des Todes dahinschreitet , und einem aus den geöffneten Gräbern jene 
grausenvollen Erscheinungen anstarren. |Aber der nächste Tag wirbelt 
schon wieder so hohe Sandmassen daher, dass die Gräber wieder zuge- 
deckt werden und die Erinnerung an jene verunstalteten Leichen nur wie 
ein wüster Traum zurückbleibt. 

5) Am 27. Dezember 1858 unternahm der Vortragende mit drei 
seiner damaligen Kollegen von Sulina aus eine Exkursion in das Donau- 
Delta auf zwei niedrigen hölzernen, mit kleinen Pferden bespannten Wagen. 
Selbst die Räder waren nicht mit Eisen beschlagen und unvollkommen 
abgerundet, so dass ^e Reisenden auf den holprigen Wegen beim Galopp 
der Pferde entsetzliche Stösse erlitten. Der Weg führte 2V2 Meilen hart 
am Meeresstrande über unfahrbare Dünen, die zum Theil mit Schiffs- 
trümmem bedeckt sind. Die Fahrt ist daher nur auf dem unter der 
letzten Meereswelle befindlichen festen Sande möglich, und die Pferde 
gingen mitunter bis zum Bauch im Meereswasser. Endlich nach fast 
dreistündiger Fahrt an dem Meeresstrande bog eine Art von Weg in das 
Land hinein. Er schlängelt sich auf einem trockenen Sandrücken durch 
das Rohr dahin. Wir stiegen vom Wagen, um unsere zermarterten Glie- 
der durch Gehen wieder in ihre natürlichen Funktionen zurück zu ver- 
setzen. Wir wanderten durch zwölf bis fünfzehn Fuss hohe Rohrwände. 
Gegen vier Uhr kam uns ein Reiter, der Starost des Dorfes Kara-Orman» 
entgegen, um uns den Weg zu zeigen; er war von unserer Ankunft vorher 
benachrichtigt worden. 

Wir mussten jetzt mehrere mit schwarzem Meerwasser bedeckte 
Flächen passiren. Plötzlich standen unsere übermüdeten Pferde still und 
waren weder durch Flüche noch durch Peitschenhiebe für lange Zeit aus 
der Stelle zu bringen. Endlich erbarmten sie sich unser und schleppten 
uns weiter. Plötzlich hörten wir in unserer Nähe ein lautes Geprassel 
und sahen die lichten Flammen uns entgegen schlagen. Eine unerwartete 
Wendung des Weges ffthrte uns gerade dem Feuermeer entgegen, das 
vom brennenden Schilfrohr genährt wurde. Eine erstickende Gluth um- 
wehte uns. Doch bald befanden wir uns auf einer bereits abgebrannten, 
von der Flamme verlassenen Fläche, auf der die erlöschende Gluth keine 
weitere Beschwerden uns verursachte. Wir hatten die Wasser- und die 
Feuerprobe bestanden. Hundegebell verkündete endlich die Nähe des 
Dorfes, dessen Starost uns am Eingange zu Fuss erwartete und uns in 
sein Prachtzimmer führte, das rings herum mit roh gewirkten Teppichen, 
buntgestickten Tüchern, heiligen Bildern und geweihten Blumen behan- 
gen war. Auf dem Tische stand Brot und Salz und ein brennendes Talg- 



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licht. Unsere Nachtruhe fanden wir auf einer schmalen hölzernen Bank, 
die an der Wand entlang lief. 

Das Dorf Eara-Orman enthält 70 Häuser, eine Kirche und zwei 
Windmühlen. Die Häuser sind aus Lehm gebaut, mit Bohr gedeckt, 
weiss angetüncht. Unmittelbar dahinter breiten alte Eichen des anstossen- 
den Waldes ihre knorrigen Zweige aus. Die Bewohner des Dorfes sind 
sämmtlich Russen. 

Der Wald gleicht einem vollkommenen Urwald. Dichtes Gebüsch 
versperrt den Weg. Im Frühjahr ist der Rasen dieses Waldes mit Rosen 
bedeckt, Päonien glühen in grossen Büschen durch das dunkle Laub, 
Jasmin und blühende Linden verbreiten einen betäubenden Duft 

Gegen 11 Uhr Vormittags waren unsere Geschäfte beendet, wir 
konnten unsere Rückreise antreten, die wir mit frischen Pferden auf einem 
ganz anderen Wege als dem, worauf wir gekommen waren, antraten. 
Wiederum mussten wir das Feuermeer passiren, mit nicht geringer Gefahr 
für unser Leben. Endlich in später Abendstunde erreichten wir unser 
Schiff, wo wir nach langer Entbehrung und ermüdender Anstrengung die 
wohlbesetzte Tafel freudig begrüssten. 

Der fttnfviertelstündige Vortrag wurde von der zahlreichen Zuhörer- 
schaft, worunter sich die höchsten Spitzen unserer Militär- und Zivilbe- 
hörden mit ihren Damen befanden, mit gespanntester Aufmerksamkeit 
und allseitiger Befriedigung entgegengenommen.